Freie Waldorfschule Uhlandshöhe in Stuttgart
Wind- und wärmegetriebenes Klimatisierungskonzept
Die Freie Waldorfschule Uhlandshöhe in Stuttgart wurde im September 1919 von Emil Molt und Rudolf Steiner gegründet. Damit war sie die erste Waldorfschule der Welt. Gelegen auf Halbhöhenlage zwischen dem Stadtkern und den Arbeitersiedlungen im Stuttgarter Osten hat man von hier aus einen freien Blick auf den Bahnhof und den Stadtkessel. Die Bestandsgebäude wurden jüngst von Behnisch Architekten um ein Oberstufengebäude erweitert, dessen Gestaltung dem anthroposophischen Ansatz der Schule folgt und diesen zeitgemäß interpretiert. Das Ziel war ein nachhaltiges Gebäude mit einem geringen Bedarf an fossiler Energie.
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Die Bestandsbauten auf dem Campus – ein Haupthaus mit Unterrichtsräumen, ein Saal- und Seminarbau, das Mittagshaus, der Kindergarten, die Turnhalle sowie der Hort – wurden überwiegend in der Nachkriegszeit errichtet. In den letzten Jahren stellte sich jedoch heraus, dass aufgrund der gestiegenen Nachfrage neuer Raum für die Oberstufe geschaffen werden musste. Der Architekt Stefan Behnisch ist selbst bereits auf diese Schule gegangen, ebenso seine Mutter sowie seine Söhne. So war ein starker persönlicher Bezug zur Schule und eine gute Kenntnis des Ortes gewiss. Auf den bisherigen Flächen des Verwaltungsbaus und der Heileurythmie-Baracke sollte also nun ein Gebäude mit Klassenzimmern, Fachräumen für Naturwissenschaften und Kunst, einem Eurythmiesaal und einem neuen Speisesaal entstehen. Der fünfgeschossige Oberstufenneubau besitzt eine BGF von 5.490 m²; zwei der Geschosse sind aufgrund des nach Norden abfallenden Grundstück nur von der Haußmannstraße aus sichtbar und liegen unterhalb des Schulhofniveaus. In dem Gebäude findet sich (fast) kein rechter Winkel, dafür sind sämtliche Formen aus dem Bedarf und der Funktion heraus nach einem ganzheitlichen Prinzip entwickelt.
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Angemessene Gebäudegestalt
Von der Straße aus wirkt das polygonale Gebäude eher monolithisch. Der Blick vom Schulhof aus verrät allerdings, dass es durch gestaffelte Ebenen differenziert ist und so in Höhe und Gestalt zur bestehenden Bebauungssituation vermittelt. Die freie Form der äußeren Gestalt setzt sich im Inneren fort: Die Verkehrsflächen dienen nicht nur der Erschließung, sondern auch der Begegnung, der Kommunikation und dem informellen Austausch. Das Herz des Neubaus ist das große, zentrale Atrium, in dem alle Wege zusammenführen und das sich über eine fast gebäudehohe transparente Fassade zum Pausenhof öffnet und zum Verweilen einlädt. Hier befindet sich auch der Haupteingang. Das Dach ist schuppenartig gefaltet und entwickelt sich als abstrahiertes Mansarddach nach unten, wodurch das doch beträchtliche Bauvolumen dem Maßstab der nachbarschaftlichen Umgebung angepasst wird.
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Niedriger Primärenergieverbrauch
Der Neubau wurde in einem integralen Planungsprozess entwickelt, bei dem Architekten, Ingenieure, Bauphysiker, Energie- und HLK-Planer sowie andere Gewerke in enger Abstimmung mit dem Bauherrn und den Nutzern standen. Gemeinsam wurde ein Niedrigenergiegebäude entwickelt, bei dem der Energiebedarf zu einem großen Teil aus erneuerbaren Energien gedeckt und auch die graue Energie der verwendeten Materialien berücksichtigt wird. Der Wärmebedarf wird durch einen Anschluss an das schuleigene Blockheizkraftwerk sowie einen Gaskessel (mit Ölkessel als Reserve) gedeckt. Für umweltfreundlichen Strom sorgt eine Photovoltaikanlage auf dem Dach in Form von Solarziegeln, die den oberen Dachabschluss bilden und sich dezent in das Gesamtbild integrieren.
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Wind- und wärmegetriebene Belüftung
Eine besondere Aufmerksamkeit hat bei Schulgebäuden die Klimatisierung und speziell die Belüftung der Räume, da die Luftqualität für die Konzentration stets eine wichtige Rolle spielt. Das Planungsteam der Stuttgarter Waldorfschule hat den Neubau so entworfen, dass eine natürliche, wind- und wärmegetriebene Belüftung möglich ist. Den Planungsprozess haben die Expert*innen von Transsolar mit dynamischen Simulationsberechnungen begleitet und dabei die Effizienz verschiedener Maßnahmen quantifiziert sowie den Nutzerkomfort in den Klassenräumen nachgewiesen. So wird die Zuluft über einen Erdkanal am Boden des Atriums ins Gebäude gebracht. Im Winter wird die Luft vorkonditioniert und im Erdgeschoss über eine Fußbodenheizung zusätzlich erwärmt. Die nach oben steigende, warme Luft wird über das Atrium und die Verkehrswege zu den Klassenzimmern verteilt und dort schließlich über die Fenster hinaus befördert.
Im Sommer wird der Erdkanal zusammen mit geothermischen Kollektoren unter der Bodenplatte zum Ansaugen kühlerer Luft genutzt, die über denselben Weg zu den Klassenräumen gelangt. Die Luftbewegung wird nach individuellem Bedarf von aktiven Überströmgeräten zwischen den einzelnen Räumen sowie Deckenventilatoren im Refektorium und im Foyer unterstützt. Ein zusätzliches Kühlsystem in der Wand hat der Eurythmiesaal erhalten. Die Sommernächte schließlich werden zur Nachtauskühlung genutzt, wobei die offenen Bauteile als thermische Masse und die Dachfenster zur Abluft genutzt werden. Um auch bei der Beleuchtung Strom zu sparen, ist die Nutzung von blendfreiem Tageslicht bestmöglich optimiert. All diese Maßnahmen haben zu einem Primärenergieverbrauch von nur 3,5 kWh/m² pro Jahr geführt. -tg
Bautafel
Architektur: Behnisch Architekten, Stuttgart
Projektbeteiligte: TRANSSOLAR Energietechnik, Stuttgart (Energie- und Umwelttechnik); wagnerplanung, Stuttgart (Tragwerk); TRANSPLAN Technik, Stuttgart (HLS); Bobran Ingenieure für Akustik + Bauphysik, Stuttgart (Bauphysik); Guggenberger + Ott Architekten, Leinfelden-Echterdingen (Objektüberwachung): g+h ProjektPlan, Eislingen/Fils (Elektro und Kunstlicht); Endreß Ingenieurgesellschaft, Ludwigshafen (Brandschutz); Knippers Helbig, Stuttgart (Fassade); Hertenberger Architekten, Stuttgart (Freiraum); Holger König, Ascona – Gesellschaft für ökologische Projekte, Karlsfeld (Beratung Bauökologie und Baubiologie)
Bauherr*in: Verein für ein freies Schulwesen, Waldorfschulverein e.V., Stuttgart
Fertigstellung: 2023
Standort: Haußmannstraße 44, 70188 Stuttgart
Bildnachweis: David Matthiessen, Stuttgart
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