_Gebäudetechnik
Umnutzung eines Hochbunkers in Hamburg
Vom Koloss aus dem Zweiten Weltkrieg zum CO2-neutralen Mehrfamilienhaus
In keiner anderen Stadt wurden im Zweiten Weltkrieg mehr Bunker
gebaut als in Hamburg. Von den einst gut 1.200 existieren heute
noch rund 650 – 57 davon sind Hochbunker. Einer von ihnen steht in
der Friedensallee im Stadtteil Ottensen. Er wurde 1942 errichtet
und bot 1.560 Menschen Schutz. In den 1980er-Jahren, während des
Kalten Krieges, hatte man ihn noch technisch aufgerüstet, doch seit
einigen Jahren dient er nicht mehr dem Zivilschutz. Den
Siebengeschosser mit seinen meterdicken Außenwänden inmitten des
Wohngebietes abzureißen, wäre nur mit größtem Aufwand möglich
gewesen. Daher entschied man sich stattdessen für den Umbau des
Kolosses in ein modernes Mehrfamilienhaus mit 15 Wohneinheiten. Die
Pläne dazu lieferte der ortsansässigen Büros Björn Liese
Architektur.
Gallerie
Für die Verantwortlichen bestand der Reiz des Projektes nicht nur darin, ein schwer zu „bezähmendes“ Objekt wie einen Bunker in ein Wohnhaus zu verwandeln, sondern insbesondere auch darin, die Geschichte des Ortes für die Zukunft zu bewahren. Das Ziel seines Entwurfs war daher, ein funktionales, flexibles und darüber hinaus energieeffizientes Wohngebäude zu entwickeln, das gleichzeitig den besonderen Gebäudecharakter erhält. Das Bauwerk liegt in mischgewerblicher Hinterhoflage und ist über eine Durchfahrt zwischen zwei Gründerzeithäusern zu erreichen.
Im Spannungsfeld zwischen Alt und Neu
Um den Bestand an die neuen Anforderungen anzupassen, wurden die
massiven, meterdicken Außenwände mit großzügigen Einschnitten
versehen und das gesamte Gebäude im Inneren vollständig entkernt.
Anschließend folgte die Implantierung einer neuen Gebäudestruktur
in das vorhandene Bunkerskelett. Das ehemalige Bauwerk bleibt
dennoch durch die stets präsenten Außenwände aus rohem, knapp
achtzig Jahre altem Beton erlebbar. An den sichtbar belassenen
Schnittstellen zwischen Alt und Neu wird das Spannungsfeld des
Umwandlungsprozesses visuell erlebbar. In den
Erschließungsbereichen und zum großen Teil auch in den Wohnungen
wurden sowohl die alten als auch die neuen Betonwände und -decken
materialsichtig belassen.
Flexible Grundrisse
Fünf der sieben Vollgeschosse in dem Frieda Ottensen
getauften Wohnumbau sind als Wohnebenen mit derzeit zwei bis drei
Wohnungen zwischen 44 und 127 Quadratmetern gestaltet. Insgesamt
verfügt der Bau über eine Brutto-Grundfläche von 2.586
Quadratmetern, die Nutzfläche umfasst 1.745 Quadratmeter. Die
Grundrisse sind dabei so angelegt, dass sich die Einheiten teilen
oder zusammenlegen und damit an die Bedürfnisse der Bewohner
anpassen lassen. Dadurch können bis zu vier Wohnungen pro Geschoss
eingerichtet werden, wobei die kleinste Wohnung dann dreißig
Quadratmeter umfasst. Allen gemein ist die Atmosphäre, die durch
die massiven Bunker-Außenwände bestimmt wird. Insbesondere die
enorm tiefen Fensterlaibungen lassen den ursprünglichen Zweck des
Gebäudes nicht vergessen. Einen weiten Blick über die Stadt können
alle Bewohner von der 220 Quadratmeter großen Terrasse mit
Gemeinschaftsgarten genießen.
CO2-neutrales Gebäudetechniksystem
Das Gebäudetechniksystem bestehend aus Wärmepumpe,
Eisspeicher und Wärmerückgewinnung
aus der Wohnungsabluft arbeitet komplett CO2-neutral.
Die mit Ökostrom betriebene Wärmepumpe ist verknüpft mit dem
Eisspeicher, Solar-Luftkollektoren sowie der
Wärmerückgewinnungsanlage. Der Wärmebedarf ist dabei auf Grundlage
der EnEV
2014 ausgelegt. Im Winter wird die in einer mit Wasser gefüllten
Eisspeicher-Zisterne gespeicherte Wärmeenergie durch die Wärmepumpe
auf ein Niveau gehoben, das zum Beheizen der Innenräume und für die
Warmwasserbereitung geeignet ist. Durch den Entzug der Wärme aus
dem Wasser gefriert dieses allmählich, wobei wiederum
Kristallisationsenergie freigesetzt und genutzt wird. Beim Wechsel
des Aggregatzustands (Phasenwechsel) wird die dieselbe Energiemenge
freigesetzt, die benötigt wird, um einen Liter Wasser von null auf
achtzig Grad Celsius zu erwärmen. Ein Eisspeicher mit einem Volumen
von zehn Kubikmetern liefert somit etwa die gleiche Energiemenge
wie die Verbrennung von 110 Litern Heizöl. Der Eisspeicher im
Frieda Ottensen ist sogar 106 Kubikmeter groß.
Warm im Winter, kühl im Sommer
Solar-Luftabsorber bzw. -kollektoren, die die Energie aus der
Umgebungsluft und der Sonneneinstrahlung gewinnen, sowie die
Wärmerückgewinnung der Wohnungsabluft sind über einen
Pufferspeicher in das System aus Eisspeicher und Wärmepumpe
integriert. Sie dienen vor allem dem Regenerationsprozess im
Eisspeicher. Der der Wärmepumpe vorgeschaltete Pufferspeicher
versorgt außerdem die Fußbodenheizung mit Wärme. Hinter der
Wärmepumpe folgen (über jeweils ebenfalls einen Pufferspeicher) der
Heizkreislauf sowie die Warmwasserbereitung.
Im Sommer schließlich kehrt sich das System um: Die Energie in dem Eis, das den Winter über im Eisspeicher entstanden ist, kann im Sommer dann – ebenfalls über die Wärmepumpe – zur Kühlung der Innenräume eingesetzt werden. Dabei wird dem Eisspeicher Wärmeenergie zugeführt, die dann im Winter wieder genutzt werden kann. -tg
Bautafel
Architektur: Björn Liese Architektur, Hamburg
Projektbeteiligte: MO Architekten Ingenieure, Hamburg (Objektüberwachung); WTM Engineers, Hamburg (Tragwerksplanung, Bauphysik); EMB Planung, Hamburg (Haustechnikplanung); Ingenieurbüro T. Wackermann, Hamburg (Brandschutz); Ingenieurbüro S. Pirschel, Hamburg (Schallschutz); AVG Nord, Woltersdorf (Abbrucharbeiten)
Bauherrschaft: Frieda Ottensen, Hamburg
Fertigstellung: 2019
Bildnachweis: Roland Borgmann Fotografie, Münster
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