Labor- und Verwaltungsbau Technikum in Bad Boll
Grünes Energiekonzept
Bad Boll – rund vierzig Kilometer südwestlich von Stuttgart – ist ein Kurort mit Schwefel- und Thermalquellen, die bereits seit Ende des 16. Jahrhunderts genutzt werden, und seit 1950 Sitz des Unternehmens Wala Heilmittel. Dieses stellt seit 86 Jahren Arzneimittel und Kosmetika unter Berücksichtigung der anthroposophischen Heilkunde her. Als im neuen Jahrtausend der Markt für Natur- und Biokosmetik deutlich zu wachsen begann, fasste der Hersteller eine Betriebserweiterung ins Auge.
Gallerie
Im Jahr 2008 wurde deshalb ein geladener Wettbewerb zur
städtebaulichen Konzeption auf einem neuen Grundstück jenseits der
Thermalquellen ausgelobt, den h4a Gessert + Randecker für sich
entscheiden konnten. Ihre Idee sieht eine Gesamtanlage als
landschaftsgerechte Zellenstruktur vor, die Teil eines neuen
Landschaftsparks sein soll, in dem „der Einklang zwischen Mensch
und Natur sowie der respektvolle Umgang mit den Qualitäten und
Rhythmen der Natur eine entwurfsprägende Rolle spielten“, so die
Verantwortlichen. Die geplanten sieben großen und drei kleinen
amorph geformten Baukörper wurden aufgelockert in der Landschaft
verteilt. Auf dem Lageplan wirkt das, als habe jemand eine Handvoll
Kieselsteine wie zufällig zu Boden geworfen. So entstand unweit des
alten Standorts ein neues, der Unternehmensphilosophie entsprechend
entwickeltes Firmengelände.
Pflanzen als Teil des Gestaltungs- und Energiekonzepts
Der erste fertiggestellte Baukörper ist das dreigeschossige Technikum mit Verwaltungsflächen und Forschungslaboren im Südwesten des Geländes. Die Fassade zeichnet sich durch eine klare, horizontale Ordnungshierarchie aus, die durch schmale, auskragende Geschossböden (in Form von Gitterrosten) entsteht. Dazwischen spannen sich geschosshohe, transparente Glasflächen auf, die sich abwechseln mit bedruckten, opaken Glaspaneelen, deren Färbung die Grüntöne der Umgebung aufnimmt. Edelstahlseile über alle Geschosse dienen Kletterpflanzen zum Emporwachsen, wodurch eine natürliche Verschattung geschaffen werden soll – die bereits ein natürlicher Teil des Gesamtenergiekonzepts ist.
Auch der Innenraum ist von einer Klarheit geprägt, die durch
eine reduzierte Materialsprache – Parkettboden und weiß verputzte
Wände – geschaffen wird. Rund um das Herzstück des Gebäudes, dem
Atrium mit Oberlicht, befinden sich der Empfang, eine Cafeteria und
Besprechungsräume. Eine leicht geschwungene Freitreppe windet sich
wie eine weiße Skulptur nach oben zu den Laboren und Bürozonen.
Offene Galerien und sich aufweitende Flure schaffen Begegnungsorte,
mit immer wieder reizvollem Ausblick in die Umgebung. Das Atrium
übernimmt im Brandfall außerdem eine wichtige Funktion: Unter der
Oberlichtverglasung kontrolliert ein Infrarotstrahl, ob sich Rauch
ansammelt. Bei detektiertem Rauch wird eine Rauchabsaugung
aktiviert, die hinter der Verkleidung versteckt ist.
Ein künstlich angelegter See mit vorgelagerter Terrasse im
Nordosten des Gebäudes dient den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
als Aufenthaltsort im Freien.
Wie die Produkte so das Gebäude
Das Energiekonzept ist dabei Teil eines Bauwerks, das den Spagat zwischen Nachhaltigkeit und den Anforderungen eines modernen Laborgebäudes schafft. Bei seiner Entwicklung wurden unterschiedliche Optionen untersucht und miteinander verglichen. Schließlich fiel die Entscheidung zugunsten eines Systems aus Pellet-Heizkesseln kombiniert mit einem Gas-Brennwertkessel für die Spitzenlasten und den Notbetrieb. Die Heiz-Grundlast der 5.100 Quadratmeter Grundfläche, die ungefähr 70 Prozent der Jahresarbeit ausmacht, wird somit durch regenerative Ressourcen abgedeckt. Die Kälteerzeugung erfolgt über mehrstufige Kompressionskältemaschinen, die dabei integrierte freie Kühlung sorgt im Herbst und Winter sogar dafür, dass die Kältemaschinen nicht genutzt werden müssen. An die Büros und Auswertezonen der Labore wird die Wärme bzw. die Kälte über Deckensegel verteilt, die eine schnelle Ausregelung der Lasten ohne Zugerscheinungen und Geräusche sowie eine individuelle Temperaturregelung pro Raum ermöglichen.
Durch die Nutzung als Laborgebäude und den damit einhergehenden
Anforderungen an die Raumluft ist die Nutzung einer Klimaanlage zum
Heizen, Kühlen, Befeuchten und Entfeuchten erforderlich. Sie
enthält ein Wärmerückgewinnungssystem mit einem Wirkungsgrad von 75 Prozent, in dem teilweise
auch die Abwärme der Kältemaschinen umgesetzt wird. Die
Gesamtluftmenge von 86.000 m³/h wird auf zwei Geräte aufgeteilt. So
stehen bei Ausfall eines Gerätes noch rund sechzig Prozent der
Luftmenge zur Verfügung. In die Labore gelangt die Frischluft durch
Überströmung aus den dazugehörigen, aber räumlich getrennten
Auswerte- bzw. Dokumentationszonen, wodurch die Verteilung der Luft
im Innenraum sinnvoll und effizient gestaltet ist. Auch das ist im
eher ländlichen Bad Boll sinnvoll: Die gesamte Lüftungsanlage arbeitet mit hundert Prozent
Frischluft. Auf dem Dach schließlich hat eine Photovoltaikanlage
Platz gefunden, die die Stromversorgung im Gebäude maßgeblich
unterstützt.
Der Neubau ist mit dem Hugo-Häring-Preis 2020 ausgezeichnet worden,
wobei die Jury die gelungene Symbiose von lichtem Gebäude und
Landschaft hervorheben. -tg
Bautafel
Architektur: h4a Gessert + Randecker Generalplaner, Stuttgart u.a.
Projektbeteiligte: IP Innovatives Planen, Neckarenzlingen (Haustechnik); BBI Bayer Bauphysik Ingenieurgesellschaft, Fellbach (Bauphysik); IPJ Ingenieurbüro P. Jung, Köln (Gebäudesimulation/Thermische Simulation); Röwaplan, Abtsgmünd (Elektroplanung); iwp Ingenieurbüro für Tragwerksplanung, Esslingen (Tragwerksplanung); h4a mit PBI Entwicklung innovativer Fassaden, Wertingen (Fassadenplanung); h4a mit SAI, Stuttgart (Objektüberwachung); LW Konzept, Stuttgart (Brandschutz); Glück Landschaftsarchitektur, Stuttgart (Landschaftsarchitektur)
Bauherr/in: Wala Heilmittel, Bad Boll
Fertigstellung: 2017
Standort: Badwasen 2, 73087 Bad Boll
Bildnachweis: Zooey Braun, Stuttgart
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