Austro Tower in Wien
Energie aus Donau und Sonne
Die Hochhaus-Silhouette des neuen Viertels in Wiens drittem
Bezirk, direkt am Knotenpunkt von Donaukanal und Autobahnen, wird
die Stadt vermutlich für eine lange Zeit prägen. Eines der dort
entstandenen Bauwerke ist der Austro Tower, dessen scheinbar
in sich verdrehte Kubatur durch eine optische Täuschung
hervorgerufen wird. Zur Energieversorgung wird der direkt neben dem
Bauwerk fließende Donaukanal genutzt.
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Recht unterschiedlich Rahmenbedingungen prägen das Baugrundstück in der Schnirchgasse. Die Autobahnen A4 und A23 bilden hier ein Kleeblatt-Kreuz und sorgen für eine stetige Geräuschkulisse. Parallel zur Autobahn fließt ruhig der Wiener Donaukanal, auf der anderen Kanalseite befindet sich eine Einfamilienhaussiedlung und schließlich das wichtigste Naherholungsgebiet der Stadt, der Wiener Prater. Bisher prägten die Drillingstürme TrIIIple den neuen Stadtteil. Mit seinen 136 Metern bildet der Austro Tower nun den neuen Hochpunkt des Ensembles.
Turmfassade mit Spezialeffekt
Der Wettbewerbsentwurf stammt aus dem Jahr 2014 von der Arge AZPML aus London und Share Architekten aus Wien. Für die Ausführungsplanung schließlich zeichnet das Wiener Büro ATP Architekten und Ingenieure verantwortlich. Die auffällige, aerodynamisch anmutende Form mit linsenförmigem Grundriss wurde aus einem Parallelogramm heraus entwickelt. Zur finalen Formfindung allerdings sind umfangreiche Studien zum Verhalten des Bauwerks bei Windbelastung sowie zur Verschattung der Umgebung durchgeführt worden. Durch die Positionierung des Bauwerks ergeben sich reizvolle Ausblicke auf den Prater sowie in Richtung des Wiener Zentrums.
Die Kubatur des Austro Tower bewirkt eine optische Täuschung:
Der Baukörper wirkt verdreht, als ob die vier Fassadenflächen zu
den Gebäudespitzen hin auseinanderdriften und das Gebäude nach oben
breiter würde. Tatsächlich aber liegen die Geschossebenen exakt
übereinander, die vertikalen Fensterprofile sind jedoch leicht
gekippt, und zwar um acht Grad. Daraus ergeben sich an den vier
Gebäudeecken gegenläufige Kegelflächen, deren Ecklinien wieder
lotrecht sind. Die Fassade ist eine Elementfassade aus zwei
Schichten, die energetisch gesehen wie ein Kastenfenster wirken und
somit bereits in der Fassadenebene für eine effiziente Regulierung
des Raumklimas im gesamten Gebäude sorgen. Der Kippeffekt
allerdings wird nur mit der wetterseitigen Schicht erzeugt.
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Geneigtes Tragwerk
Das statische System des Hochhauses besteht – wie bei vielen Hochhäusern – aus einem stabilisierenden Betonkern mit Aufzügen, Fluchttreppenhäusern, Sanitäreinheiten und anderen Nebenräumen, der im Fall des Austro Towers die Trapezform des Gebäudes nachzeichnet. Die Decken spannen von hier zu Stützen, die entlang der Fassade angeordnet sind. Dadurch entstehen stützenfreie, umlaufende Räume, die eine hohe Flexibilität für die Nutzer*innen mit sich bringen. Die Stützen sind ebenfalls im Acht-Grad-Winkel geneigt.
Wasser und Sonne als Energielieferanten
Von Beginn des Projekts an wurden – wie vom Bauherrn gewünscht –
Zertifizierungen nationaler und internationaler
Klassifizierungssysteme angestrebt. Die Grundlage des energetischen
Konzepts bildete also eine möglichst auf regenerativen Energien
basierende Versorgung mit Wärme, Kälte und Strom. Dazu ist der
Austro Tower mit den ein Jahr zuvor fertiggestellten
TrIIIple-Hochhäusern über eine gemeinsame Wärme- und Kältezentrale
verbunden. Die Größe der Technikzentrale im 35. Obergeschoss des
Austro Towers konnte so gegenüber einer herkömmlichen Planung um
die Hälfte verringert werden.
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In der Energiezentrale wird die Wärmeenergie aus dem Wasser des
Donaukanals für Hochtemperatur-Wärmepumpen genutzt, die Wärme von
bis zu 80 °C und Kälte von bis zu 6 °C erzeugen können. Pro Jahr
werden damit rund 10.000 kW Wärmeenergie und rund 8.000 kW
Kälteenergie für die Gesamtnutzfläche aller Hochhäuser von 110.000
m² und für mehr als 7.000 Menschen erzeugt. Das Flusswasser – im
Betrieb immerhin bis zu einer Million Liter pro Stunde – wird
zunächst einer Regenerierungsphase zugeführt, ehe es wieder in den
Donaukanal gelangt. Für Leistungsspitzen kann zusätzlich
Grundwasser zur Gewinnung von Umweltenergie für die Wärmepumpen
eingesetzt werden. Der Strom für all das stammt, so geben es die
Verantwortlichen an, zu hundert Prozent aus erneuerbaren Quellen.
Auf dem Dach des Austro Towers befindet sich eine
Photovoltaikanlage, ebenso sind die Gläser in den beiden oberen
Geschossen mit fassadenintegrierter PV ausgestattet.
Im Vergleich zu konventionellen Kühl- bzw. Heizsystemen können mit diesem Konzept jährlich rund 3.100 Tonnen CO₂ eingespart werden, was einem CO₂-Ausstoß von ungefähr 2.600 Vier-Personen-Haushalten entspricht. Für das Energiekonzept ist das Gebäude von den Zertifizierungsstellen LEED (Leadership in Energy and Environmental Design) und ÖGNI (Österreichische Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft) jeweils mit Platin ausgezeichnet worden. -tg
Bautafel
Architektur: ARGE AZPML, London und SHARE Architekten, Wien
Projektbeteiligte: ATP architekten ingenieure, Wien (Ausführungsplanung Architektur, Consulting (Bauphysik, Brandschutz, Zertifizierungen) Außenanlagen- und Verkehrsplanung, Versickerung und Landschaftsplanung); Vasko & Partner, Wien (TGA-Planung); ghp gmeiner, haferl & partner und KS ingenieure, beide Wien (Tragwerksplanung); Lindle+Bukor – atelier für landschaft, Wien (Landschaftsgestaltung); TRAFFIX, Wein (Verkehrsplanung und Entwässerung)
Bauherr*in: Soravia, Wien
Fertigstellung: 2022
Standort: Schnirchgasse 17, Wien
Bildnachweis: Soravia, Wien / ATP, Wien / György Palkó, Ajak; AZMPL, London
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