Sanierung und Erweiterung der Berufsschule Bredastraat in Antwerpen
Raumgestaltung mit Bildungsauftrag
Östlich der historischen Antwerper Hafenstadt befindet sich das
Stadtviertel Den Dam. In dem heute multikulturellen Quartier
wohnten einst vor allem Hafenarbeitende. Durch seine Nähe zu den
Docks und dem Industriegebiet wurde die Entwicklung des Viertels
jedoch lange Zeit vernachlässigt. Heute zeichnet sich die Gegend
durch modernisierte Lagerhäuser, Neubauten und ein vielfältiges
Konglomerat an Gebäudetypologien aus.
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Modernisierung und Erweiterung des Schulkomplexes Bredastraat
Die Technische Berufsschule Werkend Leren Antwerpen Noord in der Bredastraat an der westlichen Grenze des Quartiers auf Höhe des Asiadocks ist ein solches Konglomerat. Der denkmalgeschütze Bildungskomplex setzte sich vor der Intervention aus insgesamt sechs Gebäudeteilen zusammen, in denen handwerkliche und theoretische Kurse aus den Bereichen Zimmerei, Baukonstruktion, Fahrradreparatur, Textilbearbeitung und Catering angeboten werden. Die auf den ersten Blick autonom wirkenden Gebäudeteile bilden in Wirklichkeit einen gemeinsamen Komplex. Schmale Flure und gemeinsame Außenbereiche verbinden die einzelnen Volumina.
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Da das unregelmäßige Gefüge der Schule allerdings durch eine
partielle Enteignung der Stadt, u. a. für den Bau einer Tramlinie,
und die ohnehin notwendige Bestandssanierung überarbeitet werden
musste, wurde im Jahr 2014 ein Wettbewerb zur Renovierung,
Modernisierung und Erweiterung des Schulkomplexes ausgeschrieben.
Diesen entschied das Brüsseler Architekturbüro AgwA durch seine
intensive Auseinandersetzung mit dem Bestand und einem spielerisch
pragmatischen Erweiterungsansatz für sich.
Von der Maurerwerkstatt zur Fahrradreparatur
Mit dem Umbau bot sich die Möglichkeit, die neuen Räumlichkeiten in Einklang mit dem Lehrangebot zu bringen. Dabei war die Planung mit einem hohen Bedarf an Flexibilität seitens der Architekt*innen verbunden, da das Raumprogramm mehrfach angepasst werden musste. Geplant waren neben den denkmalschonenden Bestandseingriffen ursprünglich drei neue Werkstätten: eine Holz-, eine Textil- und eine Maurerwerkstatt. Realisiert wurden allerdings nur zwei eingeschossige Anbauten, die zudem anders als angedacht genutzt werden. So ist in dem als Maurerwerkstatt geplante Anbau nun eine Fahrradwerkstatt untergebracht, die Textilwerkstatt wird als Backstube genutzt.
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Raumgestaltung mit Bildungsauftrag
Die Fahrradwerkstatt schließt nordwestlich an den Bestand an und
wird an einer Längsseite von einer Grundstücksmauer gefasst. Die
Schmalseite folgt dem Verlauf der Tramlinie und schließt den
Baukörper diagonal ab. Die südwestliche Längsseite ist leicht
konkav und öffnet sich über drei großflächige Bogenfenster mit
Öffnungsflügeln zum gemeinsamen Innenhof. Da die
Fassadenverkleidung keinerlei strukturelle Funktionen übernimmt,
wählten die Architekt*innen ein eindeutig nicht-tragfähiges
Material: Fliesen. Die matt-weiß glasierte Keramik soll einen
Kontrast zum Innenraum setzen und sich gleichzeitig behutsam in das
Gebäudeensemble einfügen.
Beim Betreten des Anbaus ist eines besonders auffällig: die unverputzten, filigranen Mauerwerksbögen. Für den ursprünglich für Maurerlehrlinge vorgesehenen Raum wählten die Architekt*innen einen experimentellen Ansatz zur Veranschaulichung der Potenziale des Materials. Die leicht konkave Südwestwand soll die Möglichkeit organischer Formen demonstrieren, während die schmalen Rippen der quergespannten Bogenstruktur die Tragfähigkeit des Mauerwerks für Betrachter*innen ablesbar macht.
Die neue Tragstruktur aus hellroten Ziegeln setzt mit einer
dezenten Schattenfuge an der ebenfalls aus Mauerwerk bestehenden
Außenwand des Bestandsgebäudes an. Die Breite der Rippen basiert
auf der Länge der quer zur Außenwand vermauerten Ziegel (20
cm) und gelingt, anders als traditionell üblich, durch die
Staffelung einzelner gebogener Ziegelreihen bis zum
Deckenanschluss. Schmale Betonstützen schmiegen sich wie Atlanten
am unteren Ende an die Bögen und stützen sie in den tragenden
Querachsen. Die südwestliche, tragende Außenwand besteht gänzlich
aus dem hellroten Ziegelstein und erinnert aufgrund der großen
Bogenfenster an klassische Aquädukt-Architektur.
Sichtbeton-Fertigteilplatten schließen den eingeschossigen
Neubau nach oben ab und sorgen für ein farblich stimmiges Bild.
Auch der für gewöhnlich im Außenbereich eingesetzte Bodenbelag aus
Betonpflastersteinen fügt sich ein und erweitert den Raum
optisch.
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Von der Textilwerkstatt zur Backstube
Blickt man durch die Bogenfenster der Fahrradwerkstatt, sieht man die heutige Backstube der Berufsschule Bredastraat. Hier sollte ursprünglich die Textilwerkstatt ihren Platz finden. Der schwarz eingefärbte Baukörper fällt durch seine unregelmäßige Kubatur und die nahtlose Positionierung in der Baulücke, zwischen Bestand und Begrenzungsmauer der neuen Tramlinie, auf. Innen trägt eine massive Betonstruktur das Holzdach des Neubaus. Der Baukörper öffnet sich zu zwei von drei gemeinsamen Außenanlagen und setzt einen deutlichen Kontrast zu der sonstigen Bebauung, während er zugleich die durch den Abriss entstandene Baulücke mit seiner Farbgebung betont.
Die Holzbauwerkstatt
Die ehemaligen Schulgymnastikhalle nördlich des Haupthauses an
der Bredastraat wurde zur Holzbauwerkstatt umgebaut. Dabei wurden
bestehende Strukturen wie Vorsatzschalen und Abhangdecken
zurückgebaut, um die Lesbarkeit des Hauptraumes zu ermöglichen und
ihn zu angrenzenden Räumen zu öffnen. So soll die Kommunikation
zwischen den unterschiedlichen Nutzungen gefördert und der
Raumfluss wiederhergestellt werden. Das freigelegte Pfettendach und
die offene Leitungsführung ermöglichen den Umbau zu einem
großzügigen Arbeitsraum für Zimmereilehrlinge.
Mit dem Projekt Bredastraat schafft das Büro AgwA ein Beispiel für den sichtbaren Dialog zwischen Gebäuden und ihren Nutzern. Die 2021 vollständig fertiggestellte Sanierung- und Erweiterung des Schulensembles ist trotz Nutzungsänderung ein spannendes Zeugnis interaktiver Gebäudekonzepte. -sm
Bautafel
Architektur: AgwA, Brüssel
Projektbeteiligte: JZH & Partners, Brüssel
Bauherr*in: AG Städtische Bildung Antwerpen
Fertigstellung: 2021
Standort: Bredastraat 35 - 37, 2060 Antwerpen, Belgien
Bildnachweis: Delphine Mathy
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Entenfangweg 15
30419 Hannover
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