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Vogelobservatorium Tij bei Stellendam
Beobachtungsstation wie ein Ei aus Reet und Holz
Seeschwalbe, Möwe, Kiebitz und Co. tummeln sich in großer Zahl am Wattenmeer. Auch das küstennahe Binnengewässer Haringvliet in den Niederlanden ist ein Aufenthaltsort für Vögel. Nahe des Städtchens Stellendam trennt seit den 1970er-Jahren ein Sperrwerk die Nordsee ab – in diesem Delta erstreckt sich das Naturschutzgebiet Scheelhoek. Auf dem sandigen Boden des von Schilf gesäumten südlichen Ufers liegt ein überdimensioniertes, in Reet gehülltes Ei: das Vogelobservatorium Tij. Gut getarnt und störungsfrei für Flora und Fauna können Spaziergänger, Naturliebhaber, Ornithologen und Fotografen die vielfältige Vogelwelt aus der Nähe beobachten. Den besonderen Aussichtspunkt entwarfen die Architekten von RAU in Zusammenarbeit mit Ro&Ad Architects als Holzkonstruktion.
Gallerie
Naturnahe Planung
Der Bau ist Teil des Naturerholungsprojekts Droomfonds, an dem
sechs Umweltorganisationen seit 2015 gemeinsam arbeiten, um das
durch den Dammbau gestörte Ökosystem wieder herzustellen. Der Name
Tij (= Tide) ist ein Hinweis auf die Gezeiten, denn Ebbe und Flut
der Nordsee sollen durch spaltbreite Tore im Damm das
umweltgeschädigte Delta in ein Brackwasserbiotop wandeln. Die von
einem Deich umgebene Landschaft besteht aus großen Schilfgebieten
und einer Reihe von Sandbänken, die Wat- und Möwenvögeln als
Futter- und Brutplatz dienen. Ein von HNS Landscape Architects
entwickelter Landschaftsplan bestimmt die Wegeführung durch das
gesamte Naturschutzgebiet Scheelhoek und kulminiert in der
Beobachtungsstation. Das Konzept beinhaltet zudem Biotope für
Vögel. Damit sich Besucher den Tieren nähern können, besteht der
letzte Teil der Route aus einem Tunnel aus wiederverwendeten
Betonstelen. Die mit Sand bedeckte Unterführung stellt die
Verbindung zum Zielpunkt der Route her.
Organische Gestaltung der Vogelskieke
Die Vogelskieke, so die niederländische Bezeichnung, ist umgeben
von einem Zaun aus geflochtenem Holz, sodass die Gestaltung sehr an
ein Nest mit Ei erinnert. Die organischen Formen setzen die
Architektur in den Kontext der Natur. Unter der Hülle aus Schilf
wird die konkave Holzkonstruktion sichtbar: Das Reetdach erscheint
als ein schwungvoller Überwurf der tragenden Struktur, unterbrochen
durch längliche, gewölbte Öffnungen als Ausguck.
Innen formt eine aufgeständerte Galerie einen spiralförmigen Rundgang, von dem aus die Besucher hinaus schauen können. Die Rampe aus Ortbeton ist zum offenen Raum mit Stahlgeländer und Drahtnetz gesichert. Den Boden bedecken grobe Steine und begehbare Holzplatten. Durch eine ovale Öffnung im Zenit dringt zusätzlich Tageslicht in den Raum.
Zollingerdach aus Kiefernholz
Das gesamte Tragwerk des
Gebäudes besteht aus einem Zollingerdach.
Die selbsttragende Konstruktion ermöglicht große Spannweiten aus
relativ kleinen Modulen. In der Systembauweise werden gleichartige,
vormontierte Einzelelemente rautenförmig zu einem Stabnetztragwerk
zusammengesetzt. Die vollständig auseinanderbaubare Konstruktion
aus Kiefernholz wurde in 402 vorgefertigten Einzelzeilen auf dem
Wasserweg per Boot gebracht und vor Ort auf der Sandbank montiert.
Durch den schnellen Auf- und Abbau wurde das Ökosystem nur minimal
belastet. Wie der präzise Aufbau vonstatten ging, zeigt ein Video
(siehe Surftipps).
Gewappnet durch Acetylierung
Der untere Teil der Konstruktion, der bei hohem Wasserstand der
Flut ausgesetzt sein kann, besteht aus acetyliertem Holz. Es ist
besonders robust: Aufgrund der chemischen Holzmodifikation mit
Essigsäureanhydrid wird die Besiedlung durch holzzerstörende Pilze
oder Insekten erschwert, die Resistenz
gegen Feuchtigkeit höher und das Material hält länger.
Außenhaut aus Reet
Auch die Außenhaut endet
knapp über der höchstmöglichen Flutgrenze. Als Unterkonstruktion
für Dach und Fassade aus Reet dienen schmale Stämme, die sich auf
dem Zollingerdach befinden. Wie bei Reetdächern üblich, wurde das
Material in geschnürten Bündeln geliefert, auf der Fläche verteilt
und so verschoben, fest geklopft und genäht, dass eine durchgängige
Einheit entsteht. Das Oberlicht ist kammartig eingefasst durch
senkrechte Reetbündel. Verwendet wurde ausschließlich Schilfrohr
aus dem umliegenden Naturschutzgebiet Scheelhoek.
Das Vogelobservatorium ist als temporärer Bau geplant. Aufgrund
des Konstruktionsprinzips und der verwendeten Materialien kann es
ohne nachteilige Auswirkung auf die Natur wiederverwendet oder
recycelt werden.
Bautafel
Architekten: RAU Architects, Amsterdam, und RO&AD Architects, Bergen op Zoom
Projektbeteiligte: Aalto Universität, Helsinki (Holzbau); Geometria, Helsinki (Holztechnik); BreedID, Den Haag (Konstruktion und Fundament); Van Hese Infra, Middelburg (Bauunternehmer); Elg Rietdekkers, Schoonebeek (Reetdeckung); HNS Landscape Architects, Ammersfoort (Lanschaftsarchitektur); Rhodia Acetow, Freiburg (acetyliertes Holz Accoya)
Bauherrschaft: Vogelbescherming Nederland, Zeist
Standort: Stellendam, Haringvliet / Niederlande
Fertigstellung: 2019
Bildnachweis: Katja Effting, Amsterdam
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