Wohnen im Kohlendioxid-Speicher
Neubau auf dem Burgernziel-Areal in Bern
101 Wohnungen, eine Kita, ein Quartierrestaurant, ein Fitnessstudio und eine Migros-Filiale: Ein riesiger Gebäudekomplex mit sandgelber Fassade steht dort, wo früher in Bern Straßenbahnen gewartet wurden. Von außen nicht erkennbar: Die Neubebauung des Tramdepots Burgernziel ist ein Pilotprojekt für die CO2-Speicherung in Recyclingbeton. Dazu arbeitete das ausführende Büro Losinger Marazzi mit dem Unternehmen Neustark zusammen.
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Rückbaupraxis für Studierende
Seit 2014 nutzte die kommunale Verkehrsgesellschaft das Tramdepot schon nicht mehr. Bereits zuvor war beim Wettbewerb für eine Neubebauung des Areals der Entwurf von ds.architekten ausgewählt worden. 2020 erfolgte schließlich der Spatenstich auf dem städtischen Grundstück. Zunächst wurden Schadstoffe beseitigt und die Rückbau- Aushubarbeiten vorbereitet. Im Vorfeld des Rückbaus kam es zu einer Kollaboration mit dem EAST-Labor der EPFL. Losinger Marazzi gewährte den Studierenden Zugang zum Areal sowie Einblicke in die Ziele des Projekts, die pragmatischen Überlegungen und Herausforderungen auf der Baustelle. Sodann entwickelten die Studierenden konkrete Pläne zur möglichst effizienten Demontage und Wiederverwendung von zum Beispiel Stahlteilen und Mauerwerkssteinen der Halle. Schließlich wurde sie tatsächlich nicht einfach abgerissen, sondern gezielt zurückgebaut, sodass einige Bauteile heute wieder im Einsatz sind.
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Holzhybridbau mit Recyclingbeton
Das Wohn- und Geschäftshaus wurde nach dem Standard Minergie-ECO errichtet und als 2000-Watt-Areal zertifiziert. In der Stadtgesellschaft wurde das Bauvorhaben dennoch viel diskutiert. Einige empfanden die homogene, mit Keramikelementen bekleideten Fassade als eintönig. Hinter ihr verbirgt sich ein drei- bis viergeschossiger, vollständig unterkellerter Holzhybridbau aus vorgefertigten Holzelementen und Ortbeton. Insgesamt wurden rund 13.900 m³ Beton verbaut, davon ca. 7.350 m³ Recyclingbeton mit einem Recyclingkornanteil von über 40%, teilweise sogar über 80%.
Karbonatisierung als Speichertechnik
In dem Recyclinggesteinskorn ist außerdem CO2 eingespeichert. Das Verfahren dazu entwickelte das Unternehmen Neustark, das in Burgernziel schweizweit erstmals an einem Wohnbauprojekt mitwirkte. Es basiert auf der Karbonatisierung, die Beton natürlicherweise bei der Aufnahme von Kohlendioxid aus der Luft durchläuft. Die Idee: Beton könnte nach seiner Herstellung, bei der große Mengen des Gases ausgestoßen werden, dieses später wieder aufnehmen und binden. So ließe sich die Umweltbilanz des Baustoffs etwas verbessern.
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Das Neustark-Team hat es nicht nur geschafft, die CO2-Aufnahme kontrolliert zu beschleunigen, sondern sie auch mit der Herstellung von Recyclingbeton zu vereinen. Im ersten Schritt wird Kohlendioxid von Klär- und Biogasanlagen abgeschieden und für den LKW-Transport verflüssigt. Im Recyclingwerk oder an einer Abbruchstelle angekommen, wird das CO2 wieder in den gasförmigen Zustand gebracht und in die sogenannte Mineralisierungsanlage eingeleitet. Hier wird die Recycling-Gesteinskörnung kontinuierlich dem reinen CO2 ausgesetzt, wobei es zu Calciumcarbonat mineralisiert (kalziniert) und so dauerhaft gespeichert bleibt. Die Firma Kästli unterstützte Neustark, indem sie den Beton lieferten und die Mineralisierungsanlage installiert hatten.
Der angereicherte Recyclingbeton weist zum Teil etwas höhere Druckfestigkeitswerte auf als herkömmlicher Recyclingbeton – grundsätzlich sind ihre Eigenschaften jedoch ähnlich. Für die Tragwerksanalyse und Tragwerksbemessung beim Burgernziel-Neubau spielten die Unterschiede keine wesentliche Rolle. Insgesamt 540 m³ des mit dem Neustark-Verfahren hergestellten Betons wurden verbaut. Zum Einsatz kam er bei den tragenden Innenwänden des 2. und 3. Obergeschosses von Gebäudeteil A, B, C und D. Hier sind nun 1.845 kg Kohlendioxid gespeichert.
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