Von der Quelle zur Senke
Schweizer Unternehmen speichert Kohlendioxid in Beton
In vielen Ländern wird bereits daran gearbeitet, die CO2-Emissionen von Verkehr und Industrie zu reduzieren, auch in der Schweiz. Doch was passiert mit dem bereits ausgestoßenen Kohlendioxid? Das Team von Neustark aus Bern hat einen Weg gefunden, wie es wieder gebunden werden kann – und zwar in Beton. Das 2019 gegründete Unternehmen hat seine Wurzeln an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) und verfügt mittlerweile über ein Netzwerk von Abscheide- und Karbonatisierungsanlagen.
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Wohin mit dem Kohlendioxid?
Um die sogenannte „Erzeugung negativer Emissionen“ geht es bei DemoUpCARMA (kurz für Demonstration and Upscaling of Carbon dioxide Management solutions for a net-zero Switzerland). Bei dem von der ETH Zürich geleiteten Vorhaben arbeiten 24 Partner aus Industrie und Forschung zusammen, darunter neben Neustark auch das Paul Scherrer Institut (PSI) und die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa). Zwei Pilotprojekte stehen im Fokus: Einerseits experimentieren die Forscher*innen damit, CO2 von der Schweiz nach Island zu transportieren und dort in einem geologischen Reservoir zu speichern. Zum anderen wird die Speicherung des Gases in neuem und rezykliertem Beton geprüft – ein Pfad, den Neustark weiterverfolgte.
Die Entwickler*innen setzten bei der Karbonatisierung an: Das im Beton enthaltene Calciumhydroxid reagiert über viele Jahre hinweg mit Kohlendioxid aus der Luft. Dabei entsteht Kalkstein. Beton könnte also nach seiner Herstellung, bei der große Mengen des Gases ausgestoßen werden, dieses später wieder aufnehmen und binden – er wird zur sogenannten CO2-Senke. Mit welcher Geschwindigkeit dieser Prozess verläuft, ist allerdings von zahlreichen Faktoren abhängig. Neustark hat es geschafft, die CO2-Aufnahme kontrolliert zu beschleunigen. Bereits 2017 begann das Team mit der Entwicklung. 2022 konnte es das Verfahren im Rahmen von DemoUpCARMA erstmals im industriellen Maßstab anwenden.
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Mobile Karbonatisierungsfabrik
Neustark arbeitet mit Baustoffrecyclern und Betonherstellern zusammen, die Gesteinskörnungen und Betonschlämme produzieren. Das Kohlendioxid stammt nicht etwa aus dem Zementwerk, sondern wird bei Klär- und Biogasanlagen abgeschieden und direkt vor Ort verflüssigt. In dieser Form ist es transportfähig und zudem kompakter. Danach bringt ein mit Biogas betriebener Lastwagen das CO2 in speziellen Behältern zu einem Recyclingwerk oder einer Abbruchstelle. Dort steht eine mobile Infrastruktur bereit, zu der spezielle Speichersilos und Verdampfer gehören, die das Kohlendioxid wieder in den gasförmigen Zustand bringen.
Ebenfalls vor Ort befindet sich die sogenannte Mineralisierungsanlage, in der die Recycling-Gesteinskörnung kontinuierlich reinem CO2 ausgesetzt – im Fachjargon „geflutet“ oder „begast“ – wird. Dabei mineralisiert das Kohlendioxid zu Calciumcarbonat und bleibt so dauerhaft gespeichert. Lediglich Temperaturen von über 600 °C oder sehr starke Säuren könnten es lösen. Anschließend lässt sich die angereicherte Gesteinskörnung nach den üblichen Verfahren weiterverarbeiten, etwa zu Recyclingbeton (RC-Beton).
In einem DemoUpCARMA-Bericht heißt es, dass jede Tonne rezyklierter Gesteinskörnung rund 13 kg CO2 binden kann. Labortests der Empa zeigten zudem, dass der angereicherte Recyclingbeton – abhängig von der Aufbereitungsmethodik und Rezeptur – eine höhere Druckfestigkeit aufweist als Primärbeton. Dadurch könnten der Zementanteil und die mit ihm verbundenen Emissionen reduziert werden – laut Empa um 5 bis 7 %, laut Neustark sogar um bis zu 10 % bei gleicher Druckfestigkeit.
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CO2-Speicherung in der Praxis
Die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt meldet, dass Praxisversuche die im Labor festgestellten Eigenschaften bestätigen. In der Schweiz, wo Recyclingbeton bereits einen Marktanteil von rund 15 % hat, war Neustark etwa am Bau eines großen Wohnblocks in Bern beteiligt. Auch bei einem Neubau für die Niederländischen Zentralbank arbeitet das Unternehmen mit. In Deutschland wird der karbonatisierte Beton erstmals in Berlin eingesetzt, beim Bau von 1.000 Wohnungen auf dem Areal Friedenauer Höhe sowie bei der Neugestaltung von Außenanlagen im Kosmosviertel.
Die Praxis zeigt, dass sich der Baustoff für Hoch- und Tiefbau eignet. Einige Fragen sind dennoch offen, etwa wie sich das Verfahren in großem Maßstab in Betonwerken umsetzen lässt. Außerdem muss beobachtet werden, wie sich die Karbonatisierung der Recycling-Granulate über die kommenden Jahrzehnte hinweg auswirkt. Neustark arbeitet aktuell an der Skalierung. Derweil führt das Paul Scherrer Institut Lebenszyklus-Analysen durch und eine Bilanzierung der ökologischen Vorteile und negativen Auswirkungen der CO2-Speicherung im Beton. -ml
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