Ein rotes Schild mit einer weißen Mauer – das ist das Wappen der
Gemeinde Muri, im Kanton Aargau. Eingebettet in die Hügellandschaft
südwestlich von Zürich ist der Ort vor allem bekannt für seine
weiträumige Klosteranlage. An der Südostecke der ehemaligen
Benediktinerabtei hat die Stiftung Roth-Haus ein Wohnheim
eingerichtet. Teilweise auf der alten Klostermauer aufliegend,
dockt nun ein Beton-Haus an, entworfen vom Architekturbüro
Camponovo Baumgartner. Intra Muros – innerhalb der
Mauern – befinden sich die neuen Gemeinschaftsräume.
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Das Roth-Haus steht unterhalb der Konventgebäude am Hangfuß,
direkt an einer Kreuzung. Der Giebel ist zur Durchgangsstraße
gerichtet, der Haupteingang liegt auf der Nordseite, wo sich ein
Parkplatz, eine kleine Grünfläche und die langgezogene
Beschäftigungsstätte des Wohnheims befinden. Noch weiter nördlich
schließt der Park der Klosteranlage an, die heute unter anderem ein
Museum und das Bezirksgericht beherbergt.
Vom Kaufhaus zum Wohnheim
Das im 17. Jahrhundert errichtete Roth-Haus ist benannt nach den
auffälligen Putzflächen seiner klassizistischen Gründerzeitfassade,
die es jedoch erst 1906 erhielt. Im Laufe der Jahrhunderte befanden
sich in den Räumen bereits ein Kaufhaus, eine Seidenweberei, ein
Kornspeicher, eine Postkutschenstation, eine Metzgerei und eine
Bankfiliale. 1989 erwarb das Wohnheim Pflegimuri, das 1909 in den
Ostbau des Klosters gezogen war, schließlich das Gebäude und ließ
es komplett entkernen. Sämtliche inneren Wände und Strukturen
wurden entfernt. 1997 eröffnete hier ein Wohnheim mit
Beschäftigungsstätte für Erwachsene mit geistiger und körperlicher
Beeinträchtigung. Zwischen 2018 und 2021 erhielt der mittlerweile
von der Denkmalpflege inventarisierte Bestand einen Anbau und
erfuhr selbst abermals eine Grundrissanpassung.
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Der Bestand ist stark gegliedert mit einem grauen, glatt
verputzten Sockel, einem bossierten ersten und einem rot verputzten
zweiten Obergeschoss und schließlich einem hohen, bräunlich
gedeckten Krüppelmansarddach, der zwei weitere Geschosse aufnimmt.
Auf beiden Seiten ragen fünf Gauben hervor, die mittlere jeweils
deutlich betont durch ein eigenes Walmdach und eine verputzte
Front. Rückseitig ist sie Teil eines Mittelrisalits, das auch den
Haupteingang markiert.
Wie aus einem Guss
Mit einem auf beiden Seiten dramatisch gerundeten, sich
verjüngenden Verbindungstrakt schleißt der neue Betonkörper an –
als würde er aus dem Roth-Haus herauswachsen. Durch diesen Kniff
konnte ein Großteil der historischen Giebelseite bewahrt und
zugleich jedes der vier Geschosse angebunden werden. An zwei Seiten
ist der Anbau im Gelände eingegraben. Über die ansteigende
Nebenstraße kann am westlichen Gebäudeende, wo ein schmales
Beton-Vordach aus der Fassade ragt, das erste Obergeschoss betreten
werden. Von hier führt auch eine Freitreppe hinunter zum Garten und
zum Parkplatz.
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Im Kontrast zur detailreichen Fassade des Roth-Hauses erscheint
der Anbau zunächst wie aus einem Guss. Bei näherer Betrachtung ist
die Fassade gegliedert durch die schmalen Schichten, die die
Bretterschalung in die Betonoberflächen gezeichnet hat. Darüber
befindet sich ein asymmetrisch geneigtes Satteldach, auf dem die
Rauten der Beton-Dachplatten eine netzartige Struktur andeuten.
Straßenseitig erhebt sich eine breite Gaube. Drei Reihen großer,
quadratischer Fenster sind auf den geraden Außenwänden zu sehen.
Weitere Öffnungen sind in die Rundungen des Verbindungstraktes
geschnitten. An der Nordwestecke sind zudem Loggien
eingeschnitten.
Geschwungener Übergang
28 Wohnplätze bietet das erweiterte Roth-Haus. Die Geschosse
sind allesamt sehr ähnlich strukturiert: Im Anbau befinden sich die
Küchen und Gemeinschaftsräume der vier Wohngruppen, im Bestandsbau
die Schlafräume. Den weitreichenden Bestandsumbau erlaubte die im
Zuge der Entkernung in den 1990er-Jahren neu erstellte
Tragstruktur, bei der die Deckenplatten auf vier Stützen ruhen.
Erstmals konnten die Bewohnerinnen und Bewohner eigene Zimmer
beziehen. Sie sind allesamt an die Fassade gerückt, angrenzend gibt
es kleinere und größere Bäder. In der Mitte liegt ein großer Flur,
der über einen zentral angeordneten Fahrstuhl erschlossen wird und
über die aus dem Risalit kommende Treppe.
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Am Westende des Flurs, hinter der Engstelle in der Giebelwand
driften die gebogenen Wände des Neubaus auseinander und ein
großzügiger, gut überblickbarer Gemeinschaftsbereich breitet sich
aus. Eine rohe Beton-Rundstütze steht mitten im Raum, zur Linken
gibt eine halboffene Küche ihr blaues Interieur preis. Im gleichen
Blau gehalten sind die Fensterrahmen und die Türen zu Toilette und
Personalräumen – ein Kontrast zum Kalkputz, zu den beigen
Deckenverkleidungen und zum hellbraunen Riemenparkett. Mit sanft
abgerundeten Ecken schieben sich die Innenwände in den Blick und
bilden einen kurzen Korridor, der zur Loggia, zum Fahrstuhl und zum
Treppenhaus des Neubaus führt.
Beton: gezielt texturiert
Die Rundstützen und die Betonwände im Treppenraum wurden
vertikal geschalt, die Fassade hingegen horizontal. Die Textur –
erzeugt mit schmalen Fichten- und Tannenbrettern – spiegelt den
tektonischen Aufbau der in den Neubau integrierten Klostermauer
wider. Die konstante Breite, einheitliche Richtung und parallele
Ausrichtung der Bretterstruktur zur Schalungsfläche sind
Kennzeichen des hier angewendeten Schalungstyps 3 der Norm SIA
118/262: Allgemeine Bedingungen für Betonbau des
Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins. Gesondert
geschalt wurden die Öffnungsränder und -laibungen, sodass glatte
Rahmen die Fenster abheben. Die Fassade ist zugleich Teil der
Tragstruktur des Anbaus. Die 200 mm starken Außenwände erhielten
eine Innendämmung aus 100 mm Polyisocyanurat-Hartschaum (PIR), der
luftdicht auf den Beton geklebt wurde, und einer 60 mm starken
Steinwolle-Schicht hinter der kalkverputzten Vorsatzschale.
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Für die Betonausführung wählte das Architekturbüro gemäß SIA
118/262 die Oberflächenklasse BOK 3, die bei Planungen mit
besonders anspruchsvoller Gestaltungsabsicht angewendet wird. Dazu
gehört, dass die Planenden in einem Schalungsmusterplan genaue
Vorgaben formulieren, zum Beispiel für die Größe und Struktur der
Schalungselemente, die Art und Anordnung von Fugen, Stößen und
Ankerlöchern sowie Profil, Breite und Verlauf von Kanten. Außerdem
ist die Herstellung eines Referenzbauteils zwingend erforderlich.
-ml
Bautafel
Architektur: Camponovo Baumgartner Architekten Projektbeteiligte: GG Architektur, Bad Ragaz (Kosten- und Ausführungsplanung); Weber + Brönnimann Bauingenieure (Tragwerksplanung); Baukonstrukt, Zürich/Biel (Baugrube und Ausführung Tragwerk); Velux Schweiz, Aarburg; 4B Fenster, Crissier (Fenster); Haga Naturbaustoffe, Rupperswil (Kalkputz); Hauri, Staffelbach (Schreinerarbeiten); Holzpunkt, Wila (Parkett); Huguet Rajoles Hidrauliques, Campos (Fliesen und Platten); Ing. Peter Bucher Dachplatten Manufaktur, Fieberbrunn (Dachplatten); Josef Goldschmidt, Langenorla (Sichtbetonschalung) Bauherr/in: Stiftung Roth-Haus, Muri Fertigstellung: 2021 Standort: Aarauerstrasse 11, 5630 Muri, Schweiz Bildnachweis: Archphot, Peter Tillessen (Fotos); camponovo baumgartner (Pläne)
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