Stufenbauten im olympischen Dorf in München
Generalsanierung der früheren Sportlerwohnheime
Mindestens so spannend wie das zeltartige Glasdach des Münchner Olympiastadions sind wohl die früheren Unterkünfte der Sportler*innen. Regelmäßig besuchen Architekturstudierende das seit 1998 geschützte, heute von über 5.000 Menschen bewohnte Areal. Zum ehemaligen Olympiadorf gehören neben den bekannten Terrassen- und Reihenhäusern auch die sogenannten Stufenbauten. Karbonatisierung und Korrosion sowie veränderte bauphysikalische Standards und Grundrissvorlieben erforderten umfassende Eingriffe an dem rund vierzig Jahre alten Bestand. Von 2014 bis 2022 erfolgte die Generalsanierung unter Leitung von Bogevischs Buero.
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Stufen und Podeste, Rampen und Gassen erzeugen den landschaftlichen Charakter der 1972 fertiggestellten Anlage, in der Autos übrigens nur unterirdisch fahren. Umgeben von seriellen, weißlichen Betonfassaden und überquellenden Pflanztrögen durchläuft man ein geradezu labyrinthisch anmutendes Wegenetz mit vielen abknickenden Routen und Niveauwechseln. Orientierung bietet die rot gepflasterte Connollystraße. Auf der einen Seite ragen hier die zwölfgeschossigen Terrassenbauten in die Höhe, die andere Seite flankieren die Stufenbauten. Sie vermitteln den Größenunterschied zu den zweigeschossigen Reihenhäusern, die sich weiter unten, einem Teppich gleich ausbreiten.
Namensgebend für die Stufenbauten sind die drei unterschiedlich hohen, hintereinander sitzenden Gebäuderiegel: Der nördliche ist dreigeschossig und sitzt noch auf dem Plateau der Terrassenhäuser. Der mittlere Riegel ist eingeschossig und sitzt auf einer halb eingegrabenen Garagenzeile. Der südliche Riegel ist eingeschossig und ebenerdig. In fünf Sektionen unterteilt verlaufen die Stufenbauten parallel zur zweifach geknickten Bahn der Terrassenhäuser. Die Reihenhäuser hingegen sind quer dazu, in Nord-Süd-Richtung angelegt. Zwischen den Gebäudesektionen befinden sich die außenliegenden Treppenhäuser der Stufenbauten. Von hier führen Laubengänge zu den Wohnungen des dreigeschossigen Riegels, während die beiden tiefer gelegenen Riegel eine überdeckte Gasse erschließt.
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Instandsetzung statt Abriss und Neubau
Noch bevor die Stadt den Zuschlag für die Austragung erhielt, stand das Studierendenwerk München als Bauträger der von Werner Wirsing entworfenen Reihen- und Stufenhäuser fest. Während der olympischen Spiele wohnten dort die weiblichen Sportler*innen, anschließend zogen Studierende ein. Von 2006 bis 2010 wurden die Reihenhäuser größtenteils abgerissen und neu errichtet, da eine bauphysikalische Ertüchtigung und Sichtbetonsanierung als zu teuer und langwierig galt. Eben diesen Weg beschritt Bogevischs Buero, das bereits für die Reihenhäuser zuständig war, nun bei den Stufenbauten.
Abgesehen von einer Dacherneuerung 2005 wurde in die Instandhaltung jahrzehntelang kaum investiert. Das Ingenieurbüro Schiessl Gehlen Sodeikat stellte bei der Voruntersuchung fest, dass die Bewehrungskorrosion unter der für die Zeit typischen geringen Betonüberdeckung vielerorts weit fortgeschritten war, angetrieben von Karbonatisierung und Chlorideinträgen. Angesichts dessen entschied man, die Gebäude bis auf ihre Tragstruktur zurückzubauen. Mit der Entkernung ließen sich über die Betoninstandsetzung hinaus weitere Ziele erreichen: bedarfsgerechtere Wohnungen, zusätzliche Fluchtwege und eine besser gedämmte Gebäudehülle. All diese Eingriffe waren zugleich mit den Vorgaben des Ensembleschutzes zu vereinbaren, zu denen etwa der Erhalt der bauzeitlichen Kubatur, aber auch des Tragwerks gehörte. Nach den Arbeiten sollte das Erscheinungsbild samt aller Außenanlagen wieder dem Zustand von 1972 entsprechen.
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Anpassung an heutige Standards
In das Sechs-Meter-Achsmaß der Schotten waren ursprünglich Doppelapartments eingepasst. Sie erschienen nicht mehr zeitgemäß, insbesondere hinsichtlich der Sanitäranlagen und Grundrisse. In den Obergeschossen wurden einige für Alleinerziehende mit Kind und Paare hergerichtet, viele in kleinere Einzelapartments geteilt. Im Erdgeschoss befinden sich heute größere, barrierefreie Wohneinheiten für Familien. Ein neuer Aufzug erleichtert Rollstuhlfahrenden und Eltern mit Kinderwagen die Bewegung in der terrassierten Anlage – die existierenden Rampen sind nach heutigen Standards nämlich zu steil.
Alle Wohnungen sind auch ein Stück kleiner geworden: Die 20 cm starken Porenbetonwände an der Nordseite wurden nämlich durch 36,5 cm dicke Wärmedämmziegel ersetzt, ohne die Außenmaße der Gebäude zu verändern. Anstelle der asbesthaltigen Fassadenpaneele befinden sich heute beschichtete Faserzementplatten mit platzsparender Vakuumdämmung. Die neuen Holzfenster verfügen über eine Dreifach-Wärmeschutz-Isolierverglasung.
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Beton: Instandgesetzt und geschützt, ersetzt und ergänzt
In der Tiefgarage wurden die chloridbelasteten Schichten an den Stützenfüßen mit Höchstdruckwasserstrahlen abgetragen, der Querschnitt reprofiliert und anschließend ein Oberflächenschutzsystem gegen Tausalze aufgebracht. An den Fassaden der Wohngeschosse zeigten sich Spuren karbonatisierungsinduzierter Korrosion, die ebenfalls eine Instandsetzung der Stahlbetonbauteile erforderte. Der anschließend aufgetragene Schutzanstrich soll das Eindringen von Wasser und Kohlendioxid reduzieren.
Neben den Fassaden waren auch die Balkone, Laubengänge und Dachüberstände stark angegriffen. Diese waren überdies mit den Wandscheiben verbunden – eine Wärmebrücke, die zu Schwarzschimmel in den Innenräumen führte. Im Zuge der Entkernung wurden die alten Kragarme abgesägt. Dann bereiteten die Bauarbeitenden die Anschlussstellen vor: Mit Hochdruckwasserstrahlen und Presslufthammer legten sie die Bewehrung der Schotten und Decken bis zu einer Raumtiefe von 1,10 m frei. Anschließend wurden die neuen, thermisch getrennten Fertigteil-Kragarme positioniert, mit Edelstahl-Gewindestäben in der bestehenden Bewehrung rückverankert und vergossen. Nun konnten die neuen Laubengang-Fertigteile aufgelegt werden.
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Die Außentreppen, deren Instandsetzung zu kostspielig schien, wurden abgerissen und nach altem Vorbild neu errichtet. Zusammen mit den Laubengängen bildeten sie ursprünglich den einzigen Fluchtweg. Daher wurden drei einläufige Treppen an den Laubengängen ergänzt. Damit sie nicht sofort ins Auge fallen, passte man sie in Nischen hinter der Fassade ein. An diesen Stellen schnitten die Bauarbeitenden die Deckenplatte ein Stück zurück und verstärkten den Rand. Die Anschlussbewehrung legten sie wiederum mit Hochdruckwasserstrahlen frei. Dann wurden die Fertigteiltreppen durch einen Dachausschnitt eingehoben und verankert.
Bautafel
Architektur: Werner Wirsing (Bestand 1972); bogevischs buero (Sanierung 2014 bis 2022)
Projektbeteiligte: bracher bock ingenieure, München (Tragwerksplanung); Keller Damm Kollegen, München (Landschaftsplanung); Konrad Huber, München (TGA-Planung); Ve Plan, Pfaffenhofen (Elektroplanung); K33 Brandschutz, München (Brandschutzplanung); PMI, Unterhaching (Bauphysik); Schießl Gehlen Sodekeit, München (Zustandserfassung und Instandsetzungskonzept; Planung und Ausschreibung der Instandsetzungsmaßnahme; baubegleitende Untersuchungen, Bauüberwachung); Lauck & Kalorias (Planung Schadstoffentkernung); Zech Bau, München (Rohbauarbeiten, Betonsanierung und -instandsetzung); Hama Alu- und Holzwerke, Rottenburg (Fassadenbau); Werder Bedachungen, Leutersdorf (Dachdichtungsarbeiten); County plus, Krauschwitz (Schreinerarbeiten)
Bauherr*in: Studierendenwerk München
Standort: Conollystraße 5 bis 19, 80809 München
Fertigstellung: 2019 (1. Bauabschnitt), 2022 (2. Bauabschnitt)
Bildnachweis: Michael Heinrich und Julia Knop (Fotos); bogevischs buero (Baustellenfotos und Pläne)
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