Was mögen wohl die Nachbarn gedacht haben, als am Rothbach das
sechzig Meter lange Haus ans Bachufer gebaut wurde? Der
eingeschossige Riegel mit dem hohen Satteldach sticht deutlich
heraus aus der städtebaulichen Körnung im kleinen Schwabhausen.
Geplant haben den Sonderling die Architekten Alexander Tochtermann
und Philipp Wündrich.
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Der Hauptstraße zugewandt dürfte die ehemalige Gastwirtschaft
Untere Post allen bekannt sein, die einmal durch die
6.000-Einwohner-Gemeinde nach Augsburg gefahren sind. Das
imposante, denkmalgeschützte Gebäude mit der gelblichen Fassade und
dem Krüppelwalmdach wird schon seit Längerem als Wohnhaus genutzt.
Ein Teil der dort ansässigen Großfamilie ist jedoch
ausgezogen – in den Garten, ans Ufer des Rothbachs. Hier
befinden sich drei neue Wohnungen. Auf der einen Seite richtet sich
der Blick auf die weiten, grünen Felder, die sich hinter dem Bach
ausbreiten, auf der anderen Seite zum ehemaligen Postgasthof. Eine
Sichtbetonmauer trennt das dreieckige Gartenstück von der
Straße.
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Aus der Erde gehoben
Der langgestreckte Bau schmiegt sich an die Böschung und steht
auf einer scheinbar schwebenden Plinthe. In ihrem Schatten
verborgen liegt die eigentliche Bodenplatte, die von Bohrpfählen
aus dem Erdreich gehoben wird – aufgrund der Nähe zum Bach. An drei
Stellen führen ein paar vorgesetzte Stufen hinauf. Hier liegen die
Eingänge zu den drei Wohnungen. Allseitig auskragend bietet die
Plinthe auch die Möglichkeit, um die zurücktretende Fassade
herumzugehen. Auf der Bachseite ragt ein halbkreisförmiger Balkon
über die Böschung.
Knapp über die Betonplatte hinaus ragt das Satteldach, das die
Ankommenden schützt. Regnet es, fällt das Wasser von der
Trapezblechdeckung direkt in die unter der Plinthe hervorlugende
Kiesdrainage. Die prägnanten Dachflächen sind um 45 Grad geneigt.
Hinter den bis auf 1,95 Meter hinunterragenden Traufen verschwindet
die Oberkante der über die gesamte Gebäudelänge vollverglasten
Fassade. Türrahmen und hervortretende Beton- und Holzwandstücke
rhythmisieren sie und deuten zugleich die Grundrissstruktur an: Die
Innenräume befinden sich zwischen 21 parallel angeordneten
Wänden.
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Enfilade am Garten entlang
In der Mitte des Hauses befindet sich eine große Wohnung für
eine Familie mit zwei Kindern. An den beiden Gebäudeenden liegt
jeweils eine kleinere Wohnung: die ist für eine alleinstehende
Person ausgelegt, die andere für eine Familie mit einem
Kind. Zwischen der östlichen und der mittleren Wohneinheit
befindet sich ein von außen zugänglicher, gemeinschaftlich
genutzter Hauswirtschaftsraum, in dem auch die Haustechnik
untergebracht ist.
Alle Wohnungen werden zentral über eine Art Empfangszimmer
erschlossen. Vor hier gelangt man links und rechts entlang der
Gartenfassade zu den unterschiedlichen Räumen – eine Enfilade. Die
19 Zimmer reihen sich scheibenweise auf. Das Konzept: Jedes der
Gebäudesegmente ist jeweils einer Nutzung gewidmet, sortiert nach
Privatheit. In der mittleren Wohnung etwa folgen auf das
Empfangszimmer eine große Wohnküche, dann ein Wohnzimmer, das Bad
und ein Elternschlafzimmer. Dabei variiert das Achsmaß der Wände –
je nach Funktion des Zwischenraums.
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Einfache Konstruktion, zielgenauer Betoneinsatz
Sechzehn der Wände wurden aus kräftig gemaserten
Massivholzplatten gefertigt, die übrigen fünf aus dunklem, lebendig
gemustertem Sichtbeton. Die Holzwände sind allesamt gerade.
Die Betonwände hingegen weisen Knicke und Rundungen auf. Diese
waren einerseits nötig, um das Tragwerk auszusteifen, andererseits
schirmen sie die Bäder vor Blicken aus Garten und Straßenraum ab.
Ein Sonderfall ist die langgestreckte, im 45-Grad-Winkel geknickte
Wand zwischen der westlichen und der mittleren Wohnung. Hier ist
das Kopfende des Ehebetts herangerückt und richtet so den Blick in
die Landschaft.
Von Wand zu Wand spannen die Massivholzplatten, aus denen das
Dach konstruiert wurde. Entsprechend luftig sind die Innenräume,
auch die Duschen sind nach oben offen. Konstruktive Einfachheit
reduzierte die Baukosten. Abgesehen vom gedämmten Dach und den
äußeren Schotten und der Bodenplatte wurden alle Elemente
einschalig ausgebildet. Dies erforderte die bauliche Trennung der
scheinbar die Fassade durchstoßenden Schotten. Die außenliegenden
Wandabschnitte sind der Glasebene also nur vorgestellt.
Großformatige, festverglaste Holzfenster und Fenstertüren wurden
verbaut. Es handelt sich dabei aber nicht um eine
Sonderanfertigung. Stattdessen wurden konventionelle Fenster so
eingebaut, dass sie sich nach außen öffnen – zwischen den
Fassaden liegen nämlich gerade einmal 5,5 Meter.
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Beton: pigmentiert und hydrophobiert
Die 5,5 Meter hohen Betonwände wurden jeweils in einem Stück
gegossen. Dabei war die Betonzusammensetzung weitgehend klassisch,
mit leicht erhöhtem Wasserzementwert. Besonders ist die Zugabe
schwarzen Pigments. Derart dunkler nehmen sich die Wände gegenüber
den übrigen Bauteilen etwas zurück. Der Beton wurde insgesamt nur
wenig nachbearbeitet, sodass er seine Wolken und Flecken,
Ankerlöcher und Schalplattenspuren behielt – ein vielschichtiges
Erscheinungsbild, das manche als Mangel empfinden. Allerdings
mussten die Betonoberflächen zum Schutz gegen die Feuchtigkeit der
Sanitärräume hydrophobiert werden, ebenso wie die
Zementestrichböden.
Um mit den grauen Wänden zu korrespondieren, erhielt auch das
Holz eine Behandlung: Zunächst wurde eine Lauge aufgetragen, die
die langfristig auftretende Vergilbung stoppen soll. Anschließend
folgte ein Anstrich aus Leinöl mit mehrfarbigen Pigmenten. Die
Holzwände wurden also nicht angemalt, sondern vielmehr durchfärbt.
-ml
Bautafel
Architektur: Alexander Tochtermann und Philipp Wündrich Bauherr/in: privat Standort: 85247 Schwabhausen Fertigstellung: 2021 Bildnachweis: Mikael Olsson (Fotos); Alexander Tochtermann und Philipp Wündrich (Pläne)
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