Überdachung der Piazza Garibaldi in Neapel
Komplexes Raumtragwerk mit dreieckigen Sonnensegeln
Vor dem Bahnhof Napoli Centrale war schon immer viel los. Über Jahrzehnte verkörperte die sich vor seinem Haupteingang erstreckende, etwa sechs Hektar große Piazza Garibaldi geradezu sinnbildlich vor allem die Kehrseiten des betriebsamen Tumults, der für die süditalienische Metropole Neapel so charakteristisch ist. Mit 50 Millionen umsteigenden Fahrgästen im Jahr ist der Platz einer der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte der Stadt. Er verknüpft den Hauptbahnhof mit dem Bus- und Straßenbahnnetz sowie der unterirdisch verlaufenden Regionalbahn Circumvesuviana, der U-Bahn Linie 2 und neuerdings mit Neapels jüngster und längster U-Bahn-Linie 1, wegen ihrer von Künstlern gestalteten Stationen auch als Linea d'Arte bekannt. Die anlässlich des neuen U-Bahn-Anschlusses durch das französische Büro Dominique Perrault Architecture (DPA) seit 2004 geplante und derzeit zum Teil noch im Bau befindliche Umstrukturierung des Platzes soll die Verkehrsströme ordnen und dem Platz zu neuer Aufenthaltsqualität verhelfen.
Gallerie
Städtebaulich gesehen verbindet die Piazza Garibaldi das historische und kommerzielle Zentrum der Stadt mit den Stadterweiterungen des 19. Jahrhunderts und einem hinter dem Bahnhof gelegenen Industriegebiet. Ihre etwa 360 auf 165 Meter große, rechteckige Fläche wurde in den 1950er Jahren in die historische Stadtstruktur aus dem 19. Jahrhundert eingeschnitten. Damals hatte man das erste, 1867 in Betrieb genommene Bahnhofsgebäude durch einen Neubau nach dem Entwurf von Pier Luigi Nervi, Bruno Zevi und Luigi Piccinato ersetzt. Dessen markantes, spitz auf den Platz kragende Vordach des 1960 fertiggestellten Bahnhofsgebäudes mit seiner eigenwilligen Dreiecksstruktur wurde zum Gestaltungsmotiv der neuen Überdachung, die den Kern der umfassenden und vielfältigen Restrukturierungsmaßnahmen ausmacht.
Um eine Revitalisierung der Fläche zu erreichen, setzten die Planer von DPA vor allem auf räumliche Vielfalt. So wurde der Platz in verschiedene Bereiche mit jeweils eigenen Qualitäten untergliedert. Vor dem Haupteingang des Bahnhofs an der östlichen Stirnseite des Platzes sind die Busterminals und Taxistände angeordnet, die sich einst in der Mitte des Platzes befanden. Diesen gegenüber steht am westlichen Ende jenseits der Straßenbahngleise die Statue des namensgebenden italienischen Nationalhelden Giuseppe Garibaldi aus dem 19. Jahrhundert, beidseitig von drei, nach historischem Vorbild rekonstruierten Baumreihen gefasst. Zwei weitere Grünflächen im Norden des Platzes laden zum Verweilen ein, auf einer gepflasterten Fläche dazwischen wird ein Eingang zur Metro entstehen.
Auf der anderen Seite, im Süden, ist die Piazza Garibaldi hingegen komplett versiegelt. Hier erstreckt sich die etwa 15 Meter breite, 200 Meter lange und gegenüber dem Platzniveau acht Meter abgesenkte offene „Galeria“. Sie beherbergt auf zwei Geschossen zahlreiche Läden und Cafés. Von hier aus erreicht man ebenerdig sowohl die Züge der Linie 2 als auch die der Regionalbahn im Hauptbahnhof. Im Zentrum der Einkaufsstraße geht es weiter hinab in die Tiefe – mehrere Rolltreppen führen zur neuen Linie 1, deren Gleise 40 Meter unterhalb des Platzes verlaufen.
Sonnenschutz
Ein komplexes Raumtragwerk aus Stahl
überspannt mit einer Fläche von 8.000 m² große Teile der südlichen
Piazza mitsamt der neuen Einkaufsstraße. Acht graue Stützenbündel
tragen das Dach und heben es auf eine Höhe von sechs Metern über
dem Platzniveau. In ihrer Form erinnern die Stützen an riesige,
verzweigte Bäume, die zwar in regelmäßigen Abstand, aber leicht
versetzt zueinander inmitten der Galeria aufgestellt wurden.
Zwei übereinander angeordnete Ebenen aus zusammengeschweißten Stahlrohren bilden die Dachfläche. Das Primärtragwerk besteht aus 160 weißen, rechteckigen Stahlrahmen. Mit den Maßen 6,25 x 8,00 Meter wurden sie zu einem Raster zusammengesetzt, je fünf von ihnen bilden aneinandergereiht die Breite und 32 von ihnen die Länge des Daches. Das Sekundärtragwerk ist abgehängt und besteht aus unzähligen, unterschiedlich geneigten Dreiecken und nimmt so Bezug zur eigenwilligen Dreiecksstruktur des Bahnhofsvordaches. Die Dreiecke laufen zu einem komplexen System aus vielen Knotenpunkten zusammenlaufen, die die anfallenden Kräfte, wie die Äste eines Baumes, in die Stützen abtragen.
Viele der Dreiecke sind mit hellgrauen Sonnensegeln bespannt, die das Dach zu großen Teilen schließen und so die Galeria verschatten. Die bis zu 20 m² großen Segel bestehen aus Soltis – einem feinmaschigen, hoch reißfesten Polyestergewebe, das zu mehreren Bahnen zusammengenäht wurde. Die beidseitige PVC-Beschichtung macht das Gewebe UV- und wetterbeständig sowie form- und flächenstabil. Über Ösen an den Rändern sowie Verstärkungen an den Ecken wurden die Segel mit elastischen Polyesterseilen an den Stahlrahmen befestigt. Das Gewebe reflektiert und filtert einen Teil der auftreffenden Sonnenstrahlen und sorgt so für eine blendfreie Belichtung der Einkaufsstraße.
Bautafel
Architekten: Dominique Perrault Architecture (DPA), Paris
Baubeteiligte: Bollinger + Grohmann, Frankfurt (Tragwerksplanung); Cesma, Bordeaux (Stahlstruktur Tragwerk); Napoli Metro Engineering, Neapel / Metropolitana Milanese, Mailand (Beratung); Pizzarotti, Parma (Generalunternehmer); Serge Ferrari, La Tour du Pin Cedex (Soltis-Gewebe)
Bauherr: Metropolitana di Napoli
Fertigstellung: U-Bahn-Station 2013, Galerie 2014, Außenanlagen für 2015 geplant
Standort: Piazza Garibaldi, Neapel
Bildnachweis: Dominique Perrault Architecture (DPA) und Adagp, Paris; Peppe Maisto, Neapel
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