Ein Bürogebäude mit essbarer Fassade? In Ho-Chi-Minh-Stadt
möchten VTN Architects mit dem Urban Farming
Office dazu beitragen, die urbanen Lebensbedingungen
zu verbessern. Ihr Projekt soll exemplarisch aufzeigen, wie
weiteres Stadtgrün geschaffen und die urbane Lebensmittelproduktion
gefördert werden kann.
Gallerie
Eine Stadt im Klimawandel
Ho-Chi-Minh-Stadt ist mit knapp neun Millionen Einwohner*innen
die größte Stadt Vietnams und gilt als das wirtschaftliche Zentrum
des Landes. Etwas nördlich des Mekong-Deltas gelegen und durchzogen
vom Saigon-Fluss, verfügt die Metropole einerseits über einen
großen Seehafen, andererseits über eine hohe Luftfeuchtigkeit und
ganzjährige Durchschnittstemperaturen von 26 bis 30 °C.
Im Kern der früheren Hauptstadt Südvietnams finden sich
Wolkenkratzer, etwas außerhalb breiten sich teppichartige und
zugleich ländlich wirkende Siedlungen aus. Wenngleich es einige
Parks gibt, können sie den Mangel an städtischen Grünräumen nicht
wettmachen, sodass Ho-Chi-Minh-Stadt unter dem sogenannten
Hitzeinsel-Effekt leidet. Zusätzlich sorgt der dichtgedrängte
Straßenverkehr mit einer großen Anzahl an Motorrädern für eine hohe
Luftverschmutzung.
Prognosen häufen sich, denen zufolge Vietnam von den Folgen des
Klimawandels stark betroffen sein wird. Schon jetzt sind viele
Menschen im Land von Dürreperioden, Versalzung und Überschwemmungen
betroffen. Die sich verschärfende Wetterlage bedroht die Versorgung
der vietnamesischen Bevölkerung genauso wie den umfangreichen
Lebensmittelexport, warnen Forschende.
Das 300 Quadratmeter großen Eckgrundstück des Urban Farming
Offices befindet sich an einer Kreuzung im Viertel Ta Hien,
einem über die letzten Jahre gewachsenen Gebiet in
Ho-Chi-Minh-Stadt. Das Team von VTN Architects entwarf ein
kompaktes Volumen mit einem annähernd quadratischen Grundriss. Auf
der Westseite rückt das Gebäude bis an ein Nachbargebäude heran,
zur Straßenecke hin wurde eine Kante des Volumens quasi
abgeschnitten, sodass dort eine fünfte Fassadenfläche entstanden
ist.
Mächtige Betondecken und -treppen prägen den Innenraum. Das
dichte Blattwerk vor der raumhohen Verglasung erzeugt eine
schummrige Lichtstimmung, untermalt von der dunkelgrauen
Tragstruktur. So kann blendfrei an den Computern des
Architekturbüros, das hier selbst eingezogen ist, gearbeitet
werden. An einigen Stellen sind die Deckenplatten großflächig
ausgespart, sodass der Blick von den unteren Geschossen in den fast
wandlosen, von Stützen getragenen Raum möglich ist, hinter dem sich
die grüne Fassadendickicht wie ein Vorhang zuziehen scheint.
Gallerie
Im Kellergeschoss wurden eine Tiefgarage sowie Technikräume und
Klärbehälter für das Regenwasser untergebracht. Das Erdgeschoss
umfasst Arbeitsräume sowie Küche und WC, während sich in einem
separaten kleinen Seitengebäude eine Wohnung befindet. Das erste
Obergeschoss ist als großer Versammlungsraum gestaltet, der von
Toiletten und einem Waschraum ergänzt wird. Im zweiten und dritten
Obergeschoss kann an Gruppentischen gearbeitet werden oder an
Einzelschreibtischen, die sich entlang der Außenwand aufreihen. Die
Flächen im vierten und fünften Obergeschoss sind flexibel nutzbar
und auf dem Flachdach ist Platz für Begegnungen und Besprechungen
sowie für weitere Bepflanzungen. Hier sorgen außerdem mehrere
großzügige Oberlichter dafür, dass ins Gebäudeinnern genügend
natürliches Licht einfällt.
Gallerie
Essbares Sonnenschutz für ein gutes Mikroklima
Die gesamte Fassade des sechsgeschossigen Gebäudes zeigt sich in
einem üppigen satten Grün. In hängenden Pflanzkästen hat man hier
verschiedene lokale Pflanzen so angeordnet, dass sie selbst
genügend Sonnenlicht erhalten, im Innenraum aber eine angenehme
Verschattung stattfindet. Der Clou an der begrünten Fassade: Es
handelt sich nicht nur um Zierpflanzen, sondern auch Obst und
Gemüse wachsen heran. Bewässert wird sie mit gespeichertem
Regenwasser. Konzipiert als „vertikale Farm“ sorgen die drei
Grünfassaden für ein angenehmes Mikroklima im gesamten Gebäude.
Bevor es auf die großzügigen Glasflächen treffen können, filtert
die Vegetation das direkte Sonnenlicht und reinigt überdies die vom
Straßenraum kommende Luft. Die Verdunstung des Wassers sorgt für
Luftkühlung.
Nur die Nordwand wurde relativ massiv umgesetzt, um spätere
Erweiterungen zu ermöglichen. Diese besteht aus zweischaligem
Ziegelmauerwerk und einer Luftschicht im Inneren zur besseren
Isolierung. Sie verfügt nur über kleine Öffnungen, um eine
Querlüftung zu ermöglichen. All diese Maßnahmen tragen dazu bei,
die Verwendung von Klimaanlagen zu reduzieren und dennoch für ein
kühles, angenehmes Raumklima zu sorgen.
Gallerie
Modulare Landwirtschaft
Die Konstruktionsweise der Grünfassade ist recht unkompliziert:
Die Konstruktion besteht aus einer Betonstruktur, Stahlträgern und
modularisierten Pflanzkästen, die dort aufgehängt werden. Die
Planenden legten besonderes Augenmerk darauf, dass die Kästen
austauschbar sind, sodass sie – je nach Höhe und Ansprüchen
der Vegetation – flexibel angeordnet werden können. Schließlich
soll für jede Pflanze ausreichend Sonnenlicht zur Verfügung
stehen.
Mit Hilfe von biodynamischen Anbaumethoden kann so eine Ernte
von 1,1 Tonnen pro Jahr aus dem Pflanzenmix erzielt werden, der
einheimische Kräuter, Gemüse sowie Obstbäume umfasst. Gemeinsam mit
einem Dachgarten und den umgebenden schmalen Außenflächen sorgt das
System für einen Grünanteil von bis zu 190 % der Grundstücksfläche.
Auf diese Weise wird nicht für frische Bereicherungen der Küche und
zur Verbesserung der Energiebilanz gesorgt, sondern auch zur
Artenvielfalt der Region beigetragen.
Bautafel
Architektur: Vo Trong Nghia (VTN) Architects, Ho Chi Minh Stadt, Vietnam Bauherrschaft: Vo Trong Nghia (VTN) Architects, Ho Chi Minh Stadt, Vietnam Fertigstellung: 2022 Standort: 39A Tạ Hiên, Street, Quarter 1, Quân 2, Thành phố Hồ Chí Minh 71114, Vietnam Bildnachweis: Hiroyuki Oki (Fotos); VTN Architects (Pläne)
Fachwissen zum Thema
Grundlagen
Anforderungen an Fassaden
Gestaltung, Bauphysik, Technik, Montage – die vielschichtige Haut von Gebäuden muss unterschiedlichen Ansprüchen gerecht werden.
Arten und Formen
Natürlicher Sonnenschutz
Das Blattwerk von Pflanzen hält Sonnenstrahlen ab und kann schon mit kleinen Hilfen an der Fassade gedeihen.