Humboldt Forum in Berlin
Frischluft für das Berliner Schloss
Seitdem der Deutsche Bundestag 2002 beschlossen hatte, das im
Krieg beschädigte und 1950 von der DDR-Regierung gesprengte
Berliner Schloss zu rekonstruieren, entbrannte auf politischer und
gesellschaftlicher Ebene ein hitziger Streit über das Für und
Wider. Während sich die Befürworter auf die kulturelle Bedeutung
des Schlosses als einstiges Zentrum des preußischen Königshofs
beriefen und argumentierten, der Wiederaufbau stelle die
historische Kontinuität wieder her und sei Symbol für die
Wiederentstehung einer geeinten deutschen Hauptstadt, kritisierten
die Gegner des Projekts den Wiederaufbau als ein rückwärtsgewandtes
und revisionistisches Unterfangen, das die Geschichte umschreiben
wolle, indem der Zweite Weltkrieg und die deutsche Teilung quasi
negiert werden. Selbst im dritten Jahr nach der Fertigstellung des
neuen Schlossbaus scheint der Streit nicht beigelegt und wird es
vielleicht auch niemals sein. In diesem Text soll bewusst auf eine
Einordnung oder Bewertung des Politikums verzichtet werden,
zugunsten eines objektiven Blickes auf die Gebäudetechnik, die bei
einem Bauwerk von solchen Dimensionen so oder so interessant
ist.
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Das als Vorbild für die Rekonstruktion dienende, ursprüngliche
Schloss wurde im Auftrag Friedrichs I. nach Plänen von Andreas
Schlüter und Johann Friedrich Eosander in den Jahren 1698 bis 1713
errichtet. Der Entwurf des Büros Franco Stella Architetto, das 2008
als Sieger aus einem internationalen Realisierungswettbewerb
hervorging, umfasste den neu zu entwerfenden Baukörper und die
Innenräume sowie die modernen Fassaden im Mittelteil, im
Schlossforum und an der Ostseite. Das neue, als vierflügelige
Anlage mit vier Hauptgeschossen und einer Kuppel wiedererrichtet
Bauwerk erhielt drei originalgetreu rekonstruierte Barockfassaden
mit Eckrondell an der Südostecke. Die Rekonstruktionsplanung für
diese sowie für drei von vier Seiten des Innenhofs, für die
Innenseite des Eosanderportals, des Gartenportals und der beiden
Stadtportale wurde von Stuhlemmer Architekten erstellt.
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Drei barocke und eine zeitgenössische Fassade
Die
vierte Fassade, die zur Spree gerichtete Ostseite, gestaltete
Franco Stella Architetto äußerst reduziert als streng gerasterte
Lochfassade in Sichtbeton. Sie bildet damit einen architektonischen
Kontrast zum Historisierenden und ist zugleich eindeutiger Verweis
auf die tatsächliche Entstehungszeit des Bauwerks. Neu ist auch die
innere Struktur des Schlossbaus. Eine öffentliche Passage führt
quer durch das Gebäude und
verbindet den Lustgarten mit Altem Museum und Berliner Dom
im Norden mit dem Schlossplatz im Süden. Sie ist
als moderner Kolonnadenweg gestaltet mit den rekonstruierten
Schlossportalen an beiden Enden. Der große, nach Andreas Schlüter
benannte Innenhof ist rund um die Uhr zugänglich. Er bietet
gastronomische Angebote und wird für Open Air-Veranstaltungen
genutzt. Auf dem Dach befindet sich zudem eine
1.500 Quadratemter große Dachterrasse mit einzigartigem Blick über
die Stadt.
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Ein Ort für das Volk
Diese Öffnung des Schlossbauwerks
für die Bevölkerung soll inhaltlich weitergetragen werden durch die
Nutzung als Humboldt Forum, das sich als „ein Ort für Kultur
und Wissenschaft, für Austausch und Debatten“ bezeichnet. Es zeigt
u. a. Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin, des Stadtmuseums
Berlin und der Humboldt-Universität. Auf 30.000 Quadratmetern
Fläche befinden sich Räume für Sonder- und Dauerausstellungen, für
Veranstaltungen sowie Museumsshops, Cafés und Restaurants.
Ausstellung im feuchten Keller
Einen wichtigen Bereich
der Gebäudetechnik nimmt die Klimatisierung der Innenräume durch
die Belüftung ein. Abhängig von den jeweiligen
Nutzungsanforderungen wurden unterschiedliche Systeme entwickelt.
Besonderes Augenmerk erforderte die Klimatisierung der
Ausstellungsbereiche im Kellergeschoss, wo große Teile des
ehemaligen Schlosskellers kostenfrei besichtigt werden können.
Üblicherweise wird für Ausstellungsräume eine Luftführung über
abgehängte Decken oder Brüstungsbereiche umgesetzt. Im Fall des
Schlossbaus war dies aus baulichen Gründen jedoch nicht möglich,
weswegen ein fast nicht sichtbares Lüftungssystem in die 350 bis 450 mm starken
Sichtbetondecken integriert wurde. Die an der Innenwand speziell
geformten Rohe der Luftzuführung aktivieren dabei gleichzeitig die
Baumasse, die somit ebenfalls zur Klimatisierung beiträgt.
Insgesamt dreißig Zulufteinheiten decken den Frischluftbedarf von
2.500 m³/h ab. Das Ausblasen erfolgt jedoch nicht radial entlang
der Deckenflächen, wie man vielleicht vermuten würde. Wegen des
hier im Keller vorhandenen Feuchteeintrags über Boden und
Fundamente wurden die Frontblenden so geformt, dass sie die
Zuluft
nach unten gerichtet einblasen. So wird eine bessere Durchmischung
mit Aufnahme der baulichen Feuchtigkeit ermöglicht.
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Sichere Belüftung von Büros
Auch die Räume für die
Museumsverwaltung werden über die Lüftungsanlage mit Frischluft versorgt. Hier war
für eine zugfreie Verteilung der Luft zu sorgen und gleichzeitig
eine Schallbrücke zwischen den einzelnen Räumen und zu
den Gemeinschaftsbereichen hin zu vermeiden. Die
Wand-Luftdurchlässe sind deshalb mit einem integrierten
Telefonieschalldämpfer ausgestattet, der eine Durchgangsdämpfung
von mindestens 34 dB zwischen 125 und 8.000 Hz erreicht, wodurch
eine Sprachübertragung verhindert wird. Die schmalen Durchlässe
verschwinden optisch komplett in der Trockenbauwand. Ebenso
akustisch wirksam sind die Überströmelemente (mit sogar einer
Normschallpegeldifferenz von mindestens 50 dB), die eine freie
Überströmung der Luft zwischen den Räumen ermöglichen.
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Wohlfühlen im Dachgeschoss
Wieder andere Anforderungen
an die Belüftung bestehen auf dem Dach des Bauwerks in rund dreißig
Metern Höhe. Dort befindet sich ein flacher, filigraner Aufbau mit
viel raumhoher Glasfläche, in dem sich das Restaurant und das Café
befinden. Die Schlitzdurchlässe für die Frischluft sind hier
unauffällig seitlich in die Deckenunterzüge eingefügt, wobei die
Luft horizontal ausgeblasen wird. Sie strömt entlang der
Deckenflächen, vermengt sich dabei langsam mit der bestehenden
Raumluft und wird temperiert. So ergibt sich eine
Frischluftversorgung ohne spürbaren Luftzug für die Menschen, die
hier in entspannter Atmosphäre den herrlichen Blick über Berlin
genießen dürfen.
Bautafel
Architektur: Franco Stella Architetto, Berlin/Vicenza; Stuhlemmer Architekten, Berlin (Rekonstruktionsplanung Barockfassaden)
Projektbeteiligte: Winter Beratende Ingenieure, Düsseldorf (TGA), Inros Lackner, Rostock (Lüftungsanlagen), HTES, Berlin (Heizung, Lüftung); Kiefer Klimatechnik, Stuttgart (Hersteller Lüftungstechnik)
Bauherr*in: Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss
Fertigstellung: 2021
Standort: Schloßplatz 1, 10178 Berlin
Bildnachweis: Alexander Schippel, Berlin; David von Becker, Berlin; Kitty Kleist-Heinrich / Der Tagesspiegel, Berlin; Baret, Berlin; Kiefer Klimatechnik, Stuttgart; Franco Stella Architetto, Berlin
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