Brutalism as Found
Housing, Form, and Crisis at Robin Hood Gardens
Goldsmiths Press, London 2022
224 Seiten, 30 Schwarzweißabbildungen
Softcover, 23,6 x 15,8 cm
Preis: 32 EUR
ISBN 978-1-913380-04-5
Die beiden schlangenartigen, sich gegenüberstehenden Wohngebäude der Robin Hood Gardens im Osten Londons gehören wahrscheinlich zu den bekanntesten Bauwerken, die Alison und Peter Smithson entworfen haben. Die 1972 fertiggestellte und zur Hälfte bereits abgerissene Anlage, die zu den bedeutenden Bauwerken des Brutalismus zählt, steht im Mittelpunkt der Forschung von Nicholas Thoburn, die er in seinem Buch Brutalism as found sowie auf einer gleichnamigen Internetseite vorstellt.
Der Name des Buchs bezieht sich auf das „as found“ wie die Smithsons es verstanden: Sie benannten damit ihre Annäherung an Bauplätze, bei der sie Fundstücke und Beobachtungen eines Ortes sammelten und in ihren Entwurf einfließen ließen. Bei einem Spaziergang vor dem Bau der Robin Hodd Gardens etwa sammelten Alison Smithson und der Sohn des Ehepaars, Simon, Porzellanscherben, die zusammengesetzt und in 54 Betonplatten eingelegt wurden, um damit für den Altenclub der zwei Wohnblöcke ein Wandbild zu gestalten, das den Titel Art of the „As Found“ erhielt.
Das ist eine der vielen aufgezeichneten Anekdoten und Geschichten Nicholas Thoburns. Im Buch verwebt der Dozent für Soziologie an der Universität von Manchester seine Gespräche mit Bewohner*innen mit architektonischen Analysen, kritischer Theorie, Sozialkritik und Portraitfotos der Befragten. Bei der intensiven Beforschung des Gebäudes arbeitete der Autor mit dem Fotografen Kois Miah zusammen, sowie mit Runa Khalique und Aklima Begum. Gemeinsam sprachen sie mit 38 Leuten, die in Robin Hood Gardens wohnen, und zwei weiteren, die sich um die Pflege der Anlage kümmern. Deutlich wird, dass die Erzählungen von Politiker*innen und die Erfahrungen der multiethnischen, zur Arbeiterklasse gehörenden Hausgemeinschaft zum Teil stark auseinandergehen. Während die Ersten ein düsteres, klischeehaftes Bild des Lebens in der Großwohnsiedlung zeichnen, sehen das die Nutzer*innen anders. Sie haben sich die Architektur angeeignet und fühlen sich – so zumindest scheint es – ganz wohl.
Warum sich der Zustand des Betons letztlich derart verschlechterte, dass ein Abriss immer unumgänglicher wurde, mag nicht nur damit zu tun haben, dass dem Gebäude mehrfach der Denkmalschutz verwehrt wurde. Thoburn macht an dem Verfall ein System aus, bei dem die sich wiederholenden Erzählungen vom „Betonmonstrum“ und die Stigmatisierung der Bewohnerschaft dazu gebraucht werden, den Entzug von Geldern und schließlich den Abriss zu legitimieren, sodass der Bauplatz von den wenig ertragreichen Sozialwohnungen „befreit“ und wieder der Immobilienspekulation freigegeben werden kann.
Während in Politik und Medien das Graue und Raue der alternden Betonstruktur als Missstand gedeutet wird, wurden Teile des Westblocks vor dem Abriss gerettet. Sie waren 2018 als Objekt auf der Architektur-Biennale in Venedig und im Victoria and Albert Museum auf dem ehemaligen Olympia-Gelände zu sehen. Ein Paradox wird beim Lesen deutlich: Die sinnlichen Qualitäten des Materials werden einerseits gefeiert, dem Gebäude und den Menschen darin wurden sie zum Verhängnis.
Das 224-seitige Buch ist in englischer Sprache erschienen und kann direkt über den Verlag bezogen werden oder über den deutschen Buchhandel. Weitere Farbabbildungen des Gebäudes, der befragten Bewohner*innen und des Abrissprozesses sowie kurze Filmaufnahmen sind auf der Internetseite zu finden (siehe Surftipps).
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