Synagoge und Gemeindezentrum in Regensburg
Akustisch wirksame hölzerne Raumschale in massiver Steinhülle
Der Vorgängerbau der Regensburger Synagoge wurde in der Reichsprogromnacht 1938 durch die Nationalsozialisten zerstört. Eine Leerstelle in der Altstadt erinnert seitdem als Mahnmal an die Judenverfolgung in der NS-Zeit. Das jüdische Gemeindezentrum blieb zwar erhalten, doch der eigentliche Sakralbau fehlte. Fast 80 Jahre nach der Zerstörung der Synagoge wagte man 2015 einen Neuanfang in Form eines Architekturwettbewerbs für eine neue Synagoge und die Sanierung des bestehenden Gemeindezentrums. Das Berliner Büro Staab Architekten konnte sich im Wettbewerb durchsetzen und hat einen schlichten, aber zugleich markanten Bau geschaffen. Dieser schlägt gekonnt die Brücke zwischen zeitgemäßer Formensprache und einer Anpassung an den historischen Bestand.
Gallerie
Buchrücken aus hellem Klinker
An derselben Stelle, an der sich die niedergebrannte Synagoge
befunden hat, errichteten die Architekturschaffenden einen
gestaffelten Baukörper, der die neue Synagoge und das
Gemeindezentrum beherbergt. Das Hauptvolumen bildet das von einer
metallgedeckten Kuppel bekrönte Gebäude, in dem sich der
Andachtsraum befindet. Der Bau erhebt sich auf einem quadratischen
Grundriss und wird von einem L-förmigen, dreigeschossigen Volumen
im Norden ergänzt. Das bestehende Gemeindehaus von 1912 ist mit dem
Neubau verbunden und wurde im Rahmen der Bauarbeiten saniert. Der
Neubau wurde in Massivbauweise aus Stahlbeton mit tragenden Außen-
und Innenwänden ausgeführt. Bei der Fassade handelt es sich um eine
kerngedämmte Vorsatzschale, die auf auskragenden Steinfundamenten
aufliegt.
Die Fassade aus geschlämmten, hochkant vermauerten Ziegeln prägt das Regensburger Straßenbild. Der helle Ton des Klinkers passt sich zum einen dem Farbkanon der Umgebung an, zum anderen erinnern die Ziegel an den hellen Stein Meleke, aus dem seit der Zeit von König Herodes die Gebäude in Jerusalem errichtet werden. Je nach Lichteinfall ergeben die unregelmäßige Oberfläche des Mauerwerks und die Struktur des Verbands ein wechselndes Bild, das an textiles Gewebe oder an Buchrücken denken lässt.
Hölzerne Schale in steinerner Hülle
Der Haupteingang
des Gebäudes befindet sich zurückversetzt an der Ostseite der
Synagoge. Raumhohe Fenster rechtsseitig vom Eingang gewähren
Passantinnen und Passanten Einblick in die Bibliothek, die sich im
Norden des Gebäudekomplexes befindet. In dem kleinen Vorhof
befindet sich eine Installation des Künstlers Tom Kristen: Eine
vergoldete Bronzespirale zitiert Rose Ausländers Gedicht
„Gemeinsam“ in der Handschrift der Dichterin. Nach dem Passieren
der Zugangskontrolle gelangt man in den Andachtsraum im ersten
Obergeschoss, das Herzstück des Gebäudes. Der Synagogenraum wurde
als filigrane hölzerne Raumschale leicht gedreht in die massive,
steinerne Gebäudehülle eingesetzt, sodass eine Ausrichtung nach
Osten gegeben ist.
Die Verkleidung sowie sämtliche Möbel des Innenraums sind aus
Holz gefertigt. Dies trägt zum einen zu einer einladenden
Atmosphäre bei, zum anderen verdecken die Holzlamellen sämtliche
technischen Installationen. Die Verstäbung setzt sich bis zur
Kuppel fort, wo sie zu einem athmosphärischen Lichtfilter wird.
Nicht nur im Inneren, sondern auch im Außenraum wird auf diese
Weise eine besondere Lichtwirkung erzielt. Tagsüber reflektiert die
metallene Kuppel das Sonnenlicht, während bei Dunkelheit der über
das Dach hinausragende Raum wie eine Laterne die Stadt
erleuchtet.
Akustikplanung ohne Elektronik
Im jüdischen Glauben ist es verboten, am Schabbat bestimmte Arbeiten, sogenannte Melachot, zu verrichten. Zu diesen untersagten Tätigkeiten zählt auch die Verwendung elektrisch betriebener Geräte. Aus diesem Grund entfällt in einer Synagoge die Möglichkeit, eine elektroakustische Anlage zur Sprachverstärkung zu nutzen. Die Verständlichkeit des gesprochenen Worts des Rabbiners muss ohne den Einsatz von elektrischen Hilfsmitteln auch an Feiertagen bei voller Besetzung sowohl in der unteren als auch in der oberen Ebene gewährleistet sein. Außerdem ist bei der Akustikplanung einer Synagoge zu berücksichtigen, dass der Rabbi unterschiedliche Sprechpositionen einnimmt: Mal ist er bei geschlossenem Toraschrein der Gemeinde zugewandt, mal wendet er sich dem offenen Toraschrein zu und steht mit dem Rücken zur Gemeinde. In der Regensburger Synagoge kommt hinzu, dass sich unterhalb des Sakralraumes ein Versanstaltungsraum befindet. Das Ziel der Akustikplanung war es, ein ungestörtes Zusammenkommen der Gemeinde auch bei unterschiedlich geräuschintensiven parallelen Nutzungen von Sakralraum und Veranstaltungsraum zu ermöglichen.
Bei der Akustikplanung gilt es, die feine Balance zwischen Reflexion und Absorbtion zu finden. Die Nachhallzeiten müssen reduziert werden, jedoch muss das gesprochene Wort verständlich bleiben. Die Akustikplanenden von Arup nutzten die Eigenschaften der architektonisch gewählten Holzverstäbung im Inneren der Synagoge, um eine ausgeglichene Raumakustik zu erzielen. Die Breite der Fugen zwischen den einzelnen Lamellen wird mit zunehmender Raumhöhe größer, sodass im oberen Bereich mehr Licht durch die Verstäbung dringen und mehr Schall absorbiert werden kann. Aus diesem Grund wird der untere Wandbereich zur Erzielung der gewünschten Reflexionen und Diffusität genutzt, während im oberen Bereich Schallabsorber zum Einsatz kommen. Die Profilierung der Holzstäbe, die Fugentiefe und -breite sowie der Hohlraum zwischen den Holzstäben und der Außenwand werden raumakustisch zur Modellierung der Nachhallzeit im Sakralraum genutzt.
Hinter der Holzverstäbung befinden sich Mineralfaserplatten, die
als Schallabsorber fungieren. Damit sich keine Fasern der Platten
lösen und an die Raumluft abgegeben werden, ist das absorbierende
Material in PE-Folie eingeschweißt. Im Altarbereich sind
zusätzliche Reflekoren in die Rückwand integriert und so
dimensioniert und geneigt, dass die Sprachverständlichkeit
inbesondere im Rang, der für die weiblichen Gemeindemitglieder
vorgesehen ist, verstärkt wird. Die Unterseiten des Rangs sind
schallabsorbierend verkleidet. Zudem kompensiert die absorbierende
Wirkung der Sitzpolster auf den Bänken eine geringe Personenanzahl
in der Synagoge. -np
Bautafel
Architektur: Staab Architekten, Berlin
Projektbeteiligte: IB Drexler + Baumruck, Straubing (Tragwerksplanung); Dr. Gollwitzer – Dr. Linse, München (Tragwerksplanung Holz Dachschale); Ernst2 Architekten, Stuttgart (Bauleitung); Levin Monsigny Landschaftsarchitekten, Berlin und Wamsler Rohloff Wirzmüller FreiRaumArchitekten, Regensburg (Freiraumplanung); WBP Winkels Behrens Pospich, Münster und Melzl Planung, Pentlin (Haustechnik); ASW Wolf + Partner Architekten, Regensburg (Brandschutz); Arup Deutschland, Berlin (Wärmeschutznachweis und Akustik); Licht Kunst Licht, Bonn (Lichtplanung)
Bauherr/in: Jüdische Gemeinde Regensburg
Fertigstellung: 2019
Standort: Am Brixener Hof 2, 93047 Regensburg
Bildnachweis: Marcus Ebener, Berlin