Wohnhochhaus Fritztower in Berlin
Golden schimmernde Keramikhülle
Nördlich des Berliner Hauptbahnhofs entstand in den letzten Jahren nach einem städtebaulichen Masterplan von Sauerbruch Hutton ein neues Quartier mit Namen Mittenmang. Mittenmang sagt der Ur-Berliner, wenn er mittendrin meint. Zwar hat die Hauptstadt nicht die eine Mitte – auch wenn es einen Bezirk mit dieser Benennung gibt, der anderes suggeriert – aber eben viele Kieze, in denen man mittenmang ist. Bisher zählte das Areal zwischen Europacity und Scheunenviertel allerdings nicht dazu; es handelte sich mehr oder minder um eine Brachfläche zwischen einstigem Exerzierplatz und Bahnanlage mit ehemaligen Militärbauten und vereinzelten Mietshäusern. Nun soll es sich zu einem vitalen Wohnquartier mit rund 1.000 Miet- und Eigentumswohnungen wandeln. Die weithin sichtbare geografische und gemeinschaftliche Mitte des neuen Viertels markiert der sogenannte Fritztower, ein mit schimmernden Fliesen bekleidetes Wohnhochhaus, für das ebenfalls Sauerbruch Hutton verantwortlich zeichnet.
Gallerie
Auf dem langgestreckten Areal an der Lehrter Straße, zwischen Sportplatz im Südwesten und Bahnlinie im Nordosten, entstanden 21 freistehende – von acht verschiedenen Büros geplante – Gebäude, die in zwei parallelen Reihen zickzackartig angeordnet sind, sodass sich eine dichte Bebauung mit vom Schall geschützten Wohnhöfen und aufgelockerten Raumkanten ergibt. Mittig befindet sich ein Platz, um den kleine Geschäfte und Lokale angesiedelt sind. Hier erhebt sich auch der Fritztower, dessen zweiteilige Gebäudefigur platzseitig 18 Stockwerke in die Höhe ragt. Der rückwärtige Teil passt sich indes mit nur acht Geschossen der Nachbarbebauung an. Anders als die umgebenden Gebäude beherbergt er nicht klassische Miet- oder Eigentumswohnungen, sondern sogenannte Mikroapartments für möbliertes Wohnen auf Zeit.
Kurz, aber komfortabel Wohnen
Insgesamt finden sich in dem Turm 266 dieser Wohnungen zwischen 21 und 47 Quadratmetern. Darüber hinaus bietet das Haus Annehmlichkeiten wie z. B. einen Concierge-Service, einen Coworking Space, ein hauseigenes Fitnessstudio und ein öffentliches Bistro. Laut der in Chicago und Frankfurt ansässigen und für die Vermarktung zuständigen Firma Jones Lang LaSalle sind die Zielgruppe Menschen, die für den Job in eine andere Stadt ziehen und noch eine kleine Wohnung in Berlin behalten wollen, oder umgekehrt für den Beruf, vielleicht auch nur vorübergehend, in die Metropole kommen. Außerdem „Young Professionals und Studenten“, schreibt das Unternehmen auf seiner Webseite. Bei letztgenannter Gruppe dürfte die Nachfrage angesichts der anzunehmenden Mietpreise wohl eher gering bleiben.
Die kompakten Apartments verfügen jeweils über ein kleines, aber hochwertig gestaltetes Bad und eine voll ausgestattete Kitchenette innerhalb eines offenen Wohn- und Arbeitsraumes. Bei der kleinsten Variante wird das Sofa zugleich zum Schlafen genutzt. Die hellen Holzeinbauten und eine moderne Möblierung in hellen Grau- und Blautönen lassen die Räume schlicht und zugleich freundlich wirken.
Golden schimmernde Keramikhülle mit maßgefertigten Ecklösungen
Das Besondere des Gebäudes ist aber ohnehin weniger sein Inneres als sein Äußeres. Während alle anderen Bauten des Quartiers in unterschiedlichen Farben verputzt wurden, hebt sich der Fritztower durch seine Keramikhülle deutlich von seinen Nachbarn ab. Zum Einsatz kamen dreidimensionale Spitzriemchen in zwei unterschiedlichen Breiten (97 x 290 und 58 x 290 mm) in einem metallisch schimmerndem Ockergelb und einem gedeckten Weiß. Die Fliesen wurden vertikal auf dem Wärmedämmverbundsystem verklebt – ein vergleichsweise kostengünstiger Fassadenaufbau. Die regelmäßig angeordneten, kurzen weißen Streifen innerhalb der golden schimmernden Außenhaut verdichten sich im Sockelbereich zu langen vertikalen Linien und verankern den Baukörper so optisch im Boden. Die Riemchen wurden im Wilden Verband angeordnet. Diese subtile Ungleichmäßigkeit steht im Kontrast zu dem perfekt auf sämtliche Fassadenöffnungen und Gebäudeecken abgestimmten Fugenverlauf. Die Fugen harmonieren zudem mit den horizontalen Blechstreifen, die alle zwei Geschosse als direkte Verlängerung der Fensterbänke die Fassade gliedern.
Der hohe konzeptionelle Anspruch der Architekturschaffenden kommt insbesondere an den Gebäudeecken zum Ausdruck. Eine Lösung mit auf Stoß oder Gehrung geschnittenen Fliesen kam nicht in Frage. Stattdessen entwickelten die Verantwortlichen gemeinsam mit dem Hersteller asymmetrische Schenkelplatten. Dies ist nicht nur ästhetisch von Vorteil, sondern schützt auch die naturgemäß empfindlichen Gebäudekanten. Die Langlebigkeit und der geringe Wartungsaufwand von Keramikfassaden waren nur ein Grund für die Materialwahl, erklärt die projektleitende Architektin Vera Hartmann, entscheidend waren auch Natürlichkeit und Nachhaltigkeit.
Bautafel
Architektur: Sauerbruch Hutton, Berlin
Projektbeteiligte: Energieberatung Preiß, Berlin (Energiekonzept); Agrob Buchtal, Schwarzenfeld (Fassadenkeramik; Produkt „Craft“)
Bauherr/in: Groth u-invest Neunte GmbH & Co. Lehrter Straße KG
Fertigstellung: 2020
Standort: Lehrter Str. 24B, 10557 Berlin
Bildnachweis: Agrob Buchtal, Schwarzenfeld; Yvonne Kavermann, Berlin; Sauerbruch Hutton, Berlin