Casa No Príncipe Real in Lissabon
Zeitgemäße Interpretation einer Azulejos-Fassade
Nur rund 40 Quadratmeter groß war die Baulücke in der Altstadt von Lissabon, auf der sich eine Familie ihr Wohnhaus errichten lassen wollte. Erschwerend hinzu kamen die Hanglage des Grundstücks und dass aufgrund der dichten Nachbarbebauung nur die Straßenseite für die Belichtung zur Verfügung stand. Das Architektenduo Camarim ließ sich von diesen Schwierigkeiten nicht abschrecken: Auf der kleinen Parzelle brachten sie ein Gebäude mit rund 200 Quadratmeter Wohnfläche unter, das der Familie auf fünf Geschossen ein neues Zuhause bietet.
Gallerie
Der Baukörper befindet sich im Viertel Príncipe Real unweit des gleichnamigen Parks. Er hat einen unregelmäßigen sechseckigen Grundriss und ein flach geneigtes, asymmetrisches Satteldach. Die Außenwände, die nicht direkt an die Nachbarhäuser grenzen, sind weiß verputzt. Die Straßenfassade hingegen ist mit auffällig türkisfarbenen Fliesen verkleidet. Darin eingelassen sind große Fenster in den Obergeschossen und raumhohe Verglasungen im Erdgeschoss, die für viel Tageslicht in den Innenräumen sorgen. Im Dachgeschoss erstrecken sich die ebenfalls raumhohen Glaselemente über die gesamte Hausbreite. Sie sind ein Stück zurückversetzt, um Platz für eine schmale Loggia zu schaffen. Flächenbündig mit der Fassade sind Schiebeelemente aus perforiertem Aluminium angebracht, die im Innen- wie im Außenraum für Schatten sorgen und Einblicke von außen verhindern.
Wegen der beengten Lage ist die Raumaufteilung im Gebäude eher untypisch. Im Untergeschoss befindet sich ein Arbeitszimmer, das über ein Lichtband in der Decke Tageslicht erhält, im Erdgeschoss sind neben dem Eingang Küche und Esszimmer angeordnet. In den beiden Stockwerken darüber liegen die Schlafzimmer und jeweils ein Bad, unter dem Dach das Wohnzimmer. Ein offenes Treppenhaus mit gegenläufiger Treppe und Zwischenpodesten verbindet die Ebenen miteinander; Flure gibt es keine. Unterschiedlich große, aber übereinanderliegende Öffnungen in den Geschossdecken ermöglichen den Blick von ganz unten nach ganz oben und umgekehrt. Dieses ‚Atrium‘ wirkt zugleich als thermischer Schornstein für die passive Kühlung und einen natürlichen Luftaustausch in den Sommermonaten.
Errichtet wurde das Wohnhaus in Stahlleichtbauweise, die in dieser Form zum ersten Mal in Lissabon zur Ausführung kam. Sie lässt sich verhältnismäßig schnell montieren und weist gute thermische wie akustische Eigenschaften auf. Wenige Materialien charakterisieren die Innenräume: Die Wände und Decken sind weiß verputzt, in den beiden untersten Geschossen besteht der Bodenbelag aus grauem Sichtestrich, in den oberen Etagen aus Fichtenholz. Auch die Treppenstufen und -geländer sind aus diesem Holz gefertigt. Die Bäder hingegen sind komplett mit schwarz-weißem Marmor ausgekleidet, der aus Vila Vicosa, einem kleinen Ort im Südosten Portugals stammt. Aus ihm sind sowohl die Wand- und Bodenbeläge gefertigt als auch die Waschtische.
Fliesen
Auf dem Grundstück hatte zuvor ein baufälliges Haus gestanden,
dessen Fassade mit den für Portugal typischen bunten und
ornamentreichen Azulejos verkleidet war. Das Motiv dieser alten
Fliesen griffen die Planer auf und entwickelten daraus eine
monochrome, abstrahierte Form. Bei näherem Hinsehen erkennt man,
dass die zunächst einheitlich scheinende Fassade drei
unterschiedliche Varianten dieser Neuinterpretation aufweist: Im
Erdgeschoss bedecken glatte, glasierte Fliesen im traditionellen
Format von 14 x 14 cm die Außenwand, im ersten und zweiten
Obergeschoss Fliesen mit einem Basrelief aus unterschiedlich großen
‚Noppen‘, die das historische Ornament nachzeichnen. Dasselbe
Muster und dieselbe Farbe weisen die Aluminiumschiebeläden vor der
Loggia im Dachgeschoss auf. Anstelle der Noppen sind sie jedoch mit
Löchern versehen, die bei Sonnenschein ein filigranes Lichtspiel
auf den Oberflächen dahinter erzeugen. Am Abend kehrt sich dieser
Effekt um: dann wirken die feinen Muster der perforierten
Metallelemente fast wie Spitzengardinen.
Während die planen Fliesen der unteren Etage herkömmliche
Industrieprodukte sind, wurden die reliefierten Fliesen für die
beiden Geschosse darüber vollständig in Handarbeit mithilfe einer
CNC-gefrästen Formschale gefertigt. Die Architekten entwickelten
mehrere Prototypen, bis sie die gewünschten Schattierungen und
Reflexionen erzielten.
Bautafel
Architekten: Camarim Arquitectos, Lissabon (Vasco Correia und Patrícia Sousa mit Tiago Garrido und Jonas Grinevicius
Projektbeteiligte: Futureng, São João da Talha (Tragwerksplanung); João Guimarães, Lissabon (Gebäudetechnik; X-Log, Lissabon (Bauunternehmen)
Bauherr: Privat
Standort: Lissabon
Fertigstellung: 2013
Bildnachweis: Nelson Garrido