Casa Collage in Girona
Recycelte Keramikfliesen mit Jugenstil- und Art déco-Motiven
Lang und wechselvoll ist die Geschichte der katalanischen Stadt Girona. Im 1. Jahrhundert v. Chr. von den Römern als Kastell errichtet, wurde sie von Westgoten und Mauren beherrscht, bevor Karl der Große sie zu einer Grafschaft erklärte. Später siedelte sich hier eine große jüdische Gemeinde an, im 17. und 18. Jahrhundert folgten zahlreiche Schlachten mit Frankreich. Bis heute lassen sich die Spuren der Zeit an den Häusern der Altstadt ablesen. So finden sich mittelalterliche Bauten ebenso wie solche mit römischen, maurischen und jüdischen Reminiszenzen.
Gallerie
Eine gotische Struktur weist das Gebäude auf, das die Architekten Ramon Bosch und Elisabet Capdeferro renoviert und umgebaut haben. Sie gaben ihm den Namen Casa Collage. Er verweist auf die verschiedenen Einflüsse und Materialien, die das Haus in sich vereint. Dabei war es den Architekten wichtig, eine Verbindung herzustellen zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Einige Teile des Gebäudes sind verschwunden, andere wurden gesäubert und repariert, wieder andere neu hinzugefügt.
In den extrem engen Gassen der Altstadt gelegen, nimmt das Haus eine Grundfläche von 1.515 m² ein. Mit seinen zum Teil meterdicken, massiven Mauern passt es sich optimal auf die klimatischen Bedingungen der Region an. Zwei Innenhöfe bilden den Mittelpunkt des Gebäudes; einer dient der Erschließung, beide bringen Licht und Luft in die zum Teil recht verwinkelten Wohnungen und sorgen dort für ein günstiges Raumklima. Da eine klimatechnische Aufrüstung nicht notwendig war, wurden die Fassaden lediglich mit neuen, hölzernen Jalousien ausgestattet und die Fenster zum Innenhof mit blickdichten Vorhängen versehen. Nach Norden hin ergänzt ein moderner, schlicht gestalteter Anbau den Bestand. Er bietet Platz für zwei Zimmer und ein kleines Bad.
Bei der Auswahl neuer Materialien haben sich die Architekten an den vorhandenen Elementen des Gebäudes mit seinen schmiedeeisernen Fenstergittern, den Mosaik-, Stein- und Mörtelflächen orientiert. Zusätzlich kommen alte Hölzer und keramische Fliesen zum Einsatz, die aus verschiedenen anderen Altbauten stammen. Einfache Putz- und Stuckarbeiten komplettieren die Sanierungsmaßnahmen.
Fliesen und Platten
Die Verwendung keramischer Fliesen hat in Spanien eine lange
Tradition: Von den Mauren ins Land gebracht, übernahmen die Spanier
deren Herstellungstechniken und entwickelten die Azulejos
(vom arabischen Al Zulaij = kleiner, polierter Stein). Diese
hatten festgelegte Maße und waren auf der Oberfläche glasiert. Ein
neues Verfahren verhinderte, dass die Farben und Bilder beim
Brennen ihre Konturen verloren. Ende des 16. Jahrhunderts hatten
sich zahlreiche Manufakturen auf die Herstellung von Fliesen
spezialisiert. Rund einhundert Jahre später entwickelte sich in
Katalonien eine eigene Stilrichtung mit ornamentalen Mustern und
figurativen Darstellungen. Allerdings war die Herstellung der
Fliesen aufwendig und teuer. Dies änderte sich erst im 19.
Jahrhundert mit der Einführung neuer Techniken, wie etwa der
Schablonenmalerei. Nun waren die Fliesen auch für breite
Bevölkerungsschichten erschwinglich; die Fliesenproduktion
expandierte. An der Beliebtheit der Fliesen hat sich bis heute
nichts geändert, kaum ein Haus in Spanien, das ohne auskommt.
Im Casa Collage nehmen sie einen besonderen Stellenwert ein. In Anlehnung an die unregelmäßige Geometrie des Gebäudes entwickelten die Architekten Muster und Ornamente, die leicht von der Symmetrie abweichen. Die Brüstungen im Patio zieren ganz verschiedene Fliesen: Von türkisfarbenen mit floralen Mustern über gelb-orangefarbenen mit Rillen- oder Noppenstruktur bis hin zu schwarz-grau-weißen mit grafischen Elementen, die aus dem Art déco zu kommen scheinen. Dennoch ergeben sie ein harmonisches Gesamtbild, fügen sich gut in die bestehende Struktur ein und betonen gleichzeitig die horizontalen Ebenen der einzelnen Geschosse. Verlegt wurden sie nach lokaler Tradition im Mörtelbett. Auch in den Wohnungen kommen recycelte Fliesen zum Einsatz. Je nach Marge bedecken sie offene Kaminöfen und kleine Podeste, an anderer Stelle sind sie zu einem kleinteiligen Mosaik auf einer Tür zusammengefügt.
Wie der gesamte Umbau zeugt auch der Umgang mit den Fliesen
davon, wie sich alte und neue Schichten überlappen und ergänzen
können, ohne dass ein Element dominiert. Für das gelungene
Gesamtergebnis sind die Architekten mehrfach ausgezeichnet worden.
Sie erhielten den Girona Architectural Award 2010, den
europäischen Mies van der Rohe Preis 2011 in der
Kategorie Nachwuchsarchitekten und den Tile of Spain Award
2011 in der Kategorie Innenarchitektur für die laut Jury:
„poetische und intelligente Nutzung der vorhandenen
Keramikteile“.
Bautafel
Architekten: Bosch Capdeferro Arquitectures, Girona/E
Projektbeteiligte: Joan Anglada, Girona (Projektleitung); Josep Grau, Girona (Bauausführung); Blázquez Qanter, Girona (Tragwerksplanung)
Bauherr: Familie Capdeferro, Girona
Fertigstellung: 2010
Standort: Carrer de la Forca 19, 17004 Girona, Spanien
Bildnachweis: José Hevia, Barcelona/E