Centro Botín in Santander
280.000 konvexe Fliesen reflektieren Himmel und Meer
Die nordspanische Stadt Santander hatte viele Probleme. Die Mülleimer quollen über, in den Grünanlagen wurde Wasser verschwendet und auf der Suche nach einem Parkplatz verstopften unzählige Autofahrer die engen Gassen der Altstadt. Doch dann wurde Santander Europas erste Smart City. Seitdem ist alles anders: 20.000 in der Stadt verteilte Sensoren regulieren die Bewässerung der Parks und den Einsatz der Müllabfuhr, lotsen Autofahrer zum nächstgelegenen freien Parkplatz und dimmen die Straßenbeleuchtung, wenn kein Passant in der Nähe ist. Und seit Kurzem ist die schöne neue Welt sogar noch etwas schöner: dank Renzo Pianos Centro Botín.
Gallerie
Der Neubau, der Museum und Kulturzentrum zugleich ist, liegt in prominenter Lage südlich der Altstadt direkt am Meer. Lange Zeit kam dem ehemaligen Hafengelände eine eher stiefmütterliche Rolle zu: Durch die Stadtautobahn von den historischen Pereda-Gärten getrennt, wurde es als Parkplatz genutzt. Somit war das Bauvorhaben auch ein Stadtentwicklungsprojekt. Die Gartenanlage wurde in Zusammenarbeit mit dem Renzo Piano Building Workshop saniert und erweitert. Sie hat nun die doppelte Größe und verbindet das historische Zentrum mit dem Meer. Der Verkehr wird durch einen unterirdischen Tunnel geleitet. Um diesen neu gewonnenen Zugang zum Wasser nicht zu verbauen, lagern die beiden Volumina des Kunst- und Kulturzentrums in mehreren Metern Höhe auf Rundpfeilern und schweben teils über dem Meer.
Die beiden Baukörper mit insgesamt knapp 7.000 Quadratmetern Bruttogrundfläche haben einen annähernd parallelogramm- bzw. trapezförmigen Grundriss mit je einer konvex geschwungenen Längsseite und vollflächig verglasten Schmalseiten gen Park und Meer. Zwischen ihnen befindet sich in der Höhe eine kleine Piazza, von der aus man über stählerne Freitreppen zu der Plattform und den Stegen aus Stahl und Glas gelangt, die beide Volumina verbinden und teils rund zwanzig Meter über die Mole hinausragen.
Im größeren, westlichen Gebäudeteil erstrecken sich die Ausstellungsflächen über zwei Geschosse, die sich durch einen spektakulären Blick auf das Meer und den Park auszeichnen. Die obere Ebene wird zudem teilweise durch eine dreischalige verglaste Dachkonstruktion beleuchtet. Ganz außen streuen kleine, sandgestrahlte Glaslamellen die direkte Sonneneinstrahlung. Darunter fungiert eine Zweifach-Isolierverglasung als Klimahülle. Die innerste Schicht wird von sensorgesteuerten Aluminiumlamellen gebildet, die die Ausstellungsräume bei Bedarf automatisch verdunkeln. Die Fläche unterhalb des Baukörpers ist vollständig von einer Glasfassade umschlossen. Hier befinden sich ein Café, ein Restaurant sowie das Informationszentrum. Das blaue Betonpflaster der Gehwege setzt sich hier im Inneren fort, sodass der Außenraum mit dem Innenraum verschmilzt. Im östlichen Baukörper sind das Bildungszentrum sowie seeseitig ein großes Auditorium mit doppelter Geschosshöhe untergebracht, das ebenfalls einen Panoramablick auf das offene Meer gewährt. Es ist als multifunktionale Box konzipiert, in der Konzerte, Lesungen Vorträge, aber auch Festivals und Zeremonien stattfinden können.
Zu der neu gestalteten Gartenanlage gehört ein kleines Amphitheater vor der Westseite des Museums. Hier finden neben Theatervorstellungen und Konzerte auch Filmvorführungen statt. An der Fassade befindet sich der dafür notwendige große LED-Screen.
Fliesen
280.000 runde, perlmuttfarben glasierte Keramikfliesen bekleiden die Längsfassaden, das Dach und den Unterboden des Museums und Kulturzentrums. Sie haben einen Durchmesser von 15,6 cm und sind konvex. Laut Renzo Piano sollen die linsenförmigen Fliesen durch ihre leichte Wölbung nach außen das wechselhafte Licht des Himmels und des Wassers reflektieren und so die Stimmung des Ortes einfangen und multiplizieren.
Ebenso wie der Belag der Gehwege in dem verglasten Raum unterhalb des westlichen Gebäudeteils fortgeführt wurde, wurde auch die Fliesenbekleidung an dieser Stelle nicht unterbrochen, was den fließenden Übergang von Innen- zu Außenraum noch weiter verstärkt.
Bautafel
Architekten: Renzo Piano Building Workshop, Genua u.a.
Projektbeteiligte: Bovis Project Management (Projektmanagement, LEED-Beratung); LVA Arquitectos (Bauleitung); Ute Ohl/ASCAN (Bauunternehmen); Dynamis, Arup, Typsa (Tragwerksplanung, TGA-Planung, Fassadenplanung); artec 3 Studio, Arup (Lichtplanung); Müller-BBM (Akustikberatung); Fernando Caruncho (Landschaftsarchitektur)
Bauherr: Fundación Botín, Santander
Fertigstellung: 2017
Standort: Muelle de Albareda, s/n. Jardines de Pereda, 39004 Santander, Kantabrien, Spanien
Bildnachweis: Enrico Cano; Stéphane Aboudaram / We are content(s), Marseille; Rubén P. Bescós, Madrid; Renzo Piano Building Workshop, Genua u.a.