Erweiterung des Cast Corbel House in Norwich
Schiebetüren und Oberlichter
Anbauten sind eine bewährte Strategie, wenn in einem Haus der Platz nicht mehr reicht und es zu eng wird. Das Weiterbauen, Ergänzen und Addieren von Räumen ist prinzipiell völlig unabhängig von der Art und Funktion eines Gebäudes. So erhalten Museen oft gestalterisch ambitionierte zusätzliche Flügel, die durchaus größer als die ursprüngliche Kubatur sein können.
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Insbesondere an historischen Rathäusern lassen sich Anbauten als stilistische Abfolgen von Schichtungen wie Jahresringe ablesen. Wohnhäuser wachsen meist durch hinzugefügte Garagen, Car-Ports, Fahrrad- und Geräteschuppen, Gauben und Erker, beim Dachgeschossausbau sowie durch Wintergärten und verglaste Veranden. Bestenfalls bieten Anbauten nicht nur rein rechnerisch zusätzliche Quadratmeter, sondern optimieren und potenzieren vorhandenen Raum durch entwurflich und baukonstruktiv intelligente Lösungen.
Erweiterung, Wohnqualität, Work-Life-Balance
Die junge Familie, die im englischen Norwich ein zweigeschossiges Wohnhaus aus viktorianischer Zeit bewohnt, wünschte sich eine Erweiterung zugunsten von Wohnqualität und Homeoffice hinsichtlich einer besseren Work-Life-Balance. Im Zuge der Baumaßnahme sollte zusätzlich eine Renovierung sowie Optimierung des bestehenden Raumgefüges durchgeführt werden. Das mehr als 100 Jahre alte Haus war zwar in den 1990er-Jahren schon einmal renoviert worden, doch zeigten sich durch ungeeignete Materialien und unzureichend beachtete Bauphysik bereits Schäden. Den Auftrag übernahm das erst 2022 gegründete Büro Grafted, das – wie der Name als Wortspiel andeutet, übersetzt mit „veredelt“ oder auch „aufgepfropft“ – entwurflich-gestalterische, handwerkliche und baukonstruktive Leistungen aus einer Hand anbietet.
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Licht und Schatten
In einem ersten Schritt besprach das Planungsteam mit der Familie ausführlich Wünsche und Vorstellungen. Im Entwurfsprozess wurden bezüglich räumlicher Verbesserungen und finanzieller Rahmenbedingungen Faktoren wie die Art des Zusammenlebens, die häufigen Besuche einer großen Verwandtschaft und der Wunsch nach weiteren Kindern berücksichtigt. In einem zweiten Schritt analysierten die Architekt*innen den Altbau sorgfältig auf Schwachstellen und Potentiale. So wurden insbesondere dunkle und unzureichend belichtete und belüftete Nischen und eine eingestellte Hauswirtschaftszelle als unvorteilhafter Raumteiler zurückgebaut. Das Erdgeschoss ist heute durch wenige, aber gezielte Eingriffe lichter und luftiger, mit Blickbezügen bis in den rückwärtigen Garten.
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Schiebetüren, Fenster, Oberlichter
Im nächsten Schritt wurde die gewünschte Erweiterung an einer der beiden gartenseitigen Ecken des Hauses verortet. Der neu geschaffene Raum ist jedoch nicht einfach additiv, sondern verknüpft sich mit dem Bestand, in dem er ihn wie ein gedrehtes und gleichschenkliges L umfasst. Die ursprünglichen Außenwände der Gebäudeecke sind bis auf drei tragwerkstechnisch notwendige Wandvorlagen entfernt. Im Grundriss ist so eine annähernd quadratische und knapp 40 Quadratmeter große Fläche entstanden, die sich geometrisch wie größenmäßig deutlich von den anderen Räumen unterscheidet. In diesem nun größten Raum des Hauses befindet sich ein Koch-, Ess- und Wohnbereich, als neues Herz des Hauses. Durch die Bildung dieses gemeinschaftlichen Bereichs für die ganze Familie konnte ein Teil des bisherigen Wohnbereichs als Homeoffice abgetrennt werden, um ruhiges und ungestörtes Arbeiten zu gewährleisten.
Der Anbau wirkt umso großzügiger, weil er sich mit raumhohen gläsernen Schiebetüren in den Garten öffnen lässt. Die Schiebetüren erweisen sich als vorteilhaft, da die Flügel durch die parallele Verschiebung zur Wand in geöffnetem Zustand weder in den Raum noch auf die Terrasse ragen und damit Funktionsfläche sparen. Drei seitliche Fenster ermöglichen weitere Blickbezüge ebenfalls in den Garten und in Richtung Vorgarten. Zwei Oberlichter über dem Kochbereich und dem Esstisch dienen der natürlichen Belichtung. Atmosphärisch lassen sie den Verlauf der Sonne über den Tag und die Jahreszeiten wahrnehmen.
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Farbe und Material
Diese visuelle Leichtigkeit wird unterstützt durch helle Farben und warme Materialien wie hell gebeizte Eiche bei den maßgefertigten Einbauschränken. Für eine Balance zwischen Altbau und Anbau wurde die Farbe Rot als verbindendes Element gewählt. Der besonders für viktorianische Reihenhäuser typische rote Backstein bildet deshalb die Wand des Anbaus mit plastischen Details im Mauerwerksverband, die die handwerkliche Arbeit betonen.
Mit rotem Pigment versehene Paneele aus Beton verkleiden den Anschluss an die Decke. Diese insgesamt 82 Einzelteile wurden in Formen aus Hartschaum und Sperrholz gegossen. Als Anspielung auf diese Fertigungstechnik erhielt das Gebäude den Namen Cast Corbel House, zu Deutsch Haus mit gegossener Auskragung. Die Farben der Tür- und Fensterprofile sind an das Farbschema von hellgrau-beiger Eiche und rotem Backstein angepasst. Der Anbau ist somit eine harmonische Erweiterung des historischen Bestands und offeriert zugleich einen räumlichen Mehrwert an Wohnqualität durch eine Verknüpfung von Innen und Außen. -sj
Bautafel
Architektur, Interior Design, Bauausführung: Grafted, Lemma Redda und Nicole Fassihi, Norwich, England
Projektbeteiligte: Banfield Wood, London (Tragwerk); Gold Bricklaying, Norwich (Mauerwerk); Festa System UK, Lockwood, Huddersfield (Türen und Fenster)
Bauherr: privat
Fertigstellung: 2023
Standort: Norwich, England
Bildnachweis: French and Tye, London, über Salt (Fotos); Grafted, Norwich und London (Pläne)
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