Kindertagesstätte Sofie Haug in Tübingen
Holzbau mit breiten Terrassentüren: auf direktem Weg ins Freie
Wie vielerorts sind Betreuungsplätze für Kinder in der Universitätsstadt Tübingen Mangelware. Um weitere Kitaplätze zu schaffen, hatte die Stadt 2018 einen Wettbewerb für den Neubau einer dreigruppigen Kindertagesstätte in unmittelbarer Nähe zum bestehenden Kinderhaus Sofie Haug ausgelobt. 2022 wurde der zweieinhalbgeschossige Holzhybridbau – geplant vom ortsansässigen Architekturbüro Dannien Roller Architekten + Partner als Wettbewerbsgewinner – eröffnet.
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Als Antwort auf die anspruchsvolle Topografie und den alten Baumbestand fügt sich der quaderförmige Baukörper behutsam in die Bestandssituation: Die Kita ist teilweise ins Gelände eingebettet, das Untergeschoss tritt gen Osten hervor. Der Eingang befindet sich an einem Vorplatz im Norden auf Ebene des Erdgeschosses. Zu dieser Seite hat die Lochfassade wenige kleine Öffnungen. An der Südseite jedoch gibt es auf beiden Etagen große Fenstertüren, die Ausblick und Zugang zu einem naturnahen, geschützten Außen- und Spielbereich ermöglichen. Im Kontrast zur Fassade aus schwarz geflammtem Fichtenholz sind bestimmte Bereiche blaugrün lasiert: An der Nordseite der Haupteingang und die Fensterzone im Obergeschoss, an der Südseite die zurückgesetzten Fassadenbereiche der Veranda bzw. des Laubengangs.
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Laubengang als vorgesetzte Stahlkonstruktion
Zum Außengelände nach Süden orientieren sich die Gruppenräume. Der im Obergeschoss vorgesetzte Laubengang ist eine schwarz lackierte Stahlkonstruktion. Als Übergangszone verknüpft er die Innen- und Außenbereiche über zwei Freitreppen. An der Ostseite schieben sich die Geschosse aus dem Hang heraus und scheinen fast schwerelos: Spiegelungen in der Verglasung des Untergeschosses bewirken ein Verschmelzen von Architektur und Natur.
Klare Raumstruktur
Die Raumordnung ist klar und übersichtlich – dem kindlichen Bedürfnis nach Strukturen angepasst. Je ein breiter Mittelflur erschließt Erd- und Obergeschoss. Nach Norden liegen die bedienenden Räume sowie zentralisiert der Aufzugsschacht aus Sichtbeton und das Treppenhaus, Richtung Süden mit direktem Außenbezug befinden sich die Aufenthaltsräume. Im Inneren schaffen Materialbrüche eine spannungsreiche Komposition: zum Beispiel im Treppenhaus, wo grauer Sichtbeton auf helles Fichtenholz und Schwarzstahl trifft. Große Glasflächen, teils bodentief und teils mit Sitznischen ausgebildet, holen die Natur in die Räume und laden zum Verweilen ein.
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Brandschutzaspekte
Die Kindertagesstätte als zweigeschossiger Holzbau auf einem Stahlbetonsockelgeschoss ist brandschutzrechtlich als (ungeregelter) Sonderbau in der Gebäudeklasse 3 einzuordnen.
Flucht- und Rettungswege
Kinder sind im Brandfall besonders hilfsbedürftig, da sie die auftretenden Gefahren nicht folgerichtig beurteilen und sich aufgrund einer Fehleinschätzung falsch verhalten können. Insbesondere Kinder, die gerade geschlafen haben, sind nicht zielorientiert und selbstständig fluchtfähig. Kinder können ab dem dritten Lebensjahr nach Aufforderung durch die Erziehenden gezielt und sicher in der Ebene laufen. Treppengänge sind aber aufwendig und riskant, wenn die Kinder nicht an der Hand gehalten werden – und dies lässt der Betreuungsschlüssel nicht zu.
Alle drei Geschosse haben deshalb als direkten Fluchtweg über die gesamte Fassadenlänge breite Terrassentüren ins Freie. Im Hanggeschoss und im Erdgeschoss verfügen alle Aufenthaltsräume über einen Zugang in den Garten, und im Obergeschoss gibt es den langen Balkon. Zusätzlich gibt es die Erschließungstreppe im notwendigen Treppenraum, die aber im Evakuierungsfall eine untergeordnete Rolle spielen wird. Holzglastüren trennen den Treppenraum von den Spielfluren. Die Türen schließen nur im Brandfall und stören nicht den Charakter eines offenen Spielhauses. Der Besonderheit der Nutzergruppe ist mit einer Brandmeldeanlage mit akustischer Alarmierung Rechnung getragen.
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Konstruktiver Brandschutz
Das architektonische Konzept eines „Kinderwerkstatthauses“ mit haptischen Qualitäten sieht eine Materialisierung mit rohen Baumaterialien wie Holz, Beton, Stahl vor. Der bauliche Brandschutz muss trotzdem gewährleistet sein. Im Hanggeschoss war eine feuerbeständige Konstruktion erforderlich, was durch Stahlbeton in Sichtqualität gegeben ist. In den Obergeschossen sind die Holzbauteile statisch auf Abbrand feuerhemmend dimensioniert. So kann eine großflächige Holzsichtigkeit das architektonische Konzept stärken. Die Holzgeschossdecken wurden mit Estrich versehen, Holzsichtigkeit ist an den Rändern der Deckenunterseite realisiert. Die in Raummitte abgehängten Decken sind (in Anspielung an das Blau des Himmels) mit hellblauen „Sauerkrautplatten” ausgeführt: So konnten die raumakustischen Maßnahmen die Versorgungsinstallationen verkleiden und den Holzflächenanteil auf das zulässige Maß reduzieren.
Alle Bauteilqualitäten, die Sichtigkeiten der Materialien und die organisatorischen Maßnahmen wurden (wie für ungeregelte Sonderbauten notwendig) mit der Feuerwehr einzeln und intensiv abgestimmt.
Bautafel
Architekten: Dannien Roller Architekten + Partner, Tübingen
Beteiligte: merz kley partner, Dornbirn (Tragwerksplanung; Dagmar Hedder , Tübingen (Landschaftsplanung); Ebök, Planung und Entwicklung, Tübingen (HLSK, Bauphysik); IB Raible, Reutlingen (Elektroplanung);
Bauherr: Universitätsstadt Tübingen
Fertigstellung: 2022
Standort: Rosenauer Weg 3, 72076 Tübingen
Bildnachweis: Dietmar Strauß, Besigheim
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