Temporärer Pavillon in Dulwich
Tausende von Holzlatten formen knallbunte Hülle
Einmal in direkter Nachbarschaft zu ikonischer Architektur zu bauen, diese Ehre wird Architekturschaffenden zuteil, die den Entwurf für den jährlich temporär errichteten Pavillon im Garten der Dulwich Picture Gallery liefern. Das im 18. Jahrhundert nach Plänen von Sir John Soane errichtete Gebäude ist der erste Bau in der Architekturgeschichte, der eigens für eine Kunstsammlung konzipiert wurde.
Gallerie
Der Wettbewerb für den Dulwich Pavilion, organisiert durch die
Dulwich Picture Gallery und das London Festival of Architecture,
fand in diesem Jahr erst zum zweiten Mal statt. Der siegreiche
Beitrag nennt sich The Colour Palace. Der auf monumentale
Zylinder aufgebockte Kubus in kühn-knalliger Farbigkeit wird den
Garten des Museums bis zum Herbst bereichern. Entworfen wurde er
vom jungen Londoner Architekturbüro Pricegore in Zusammenarbeit mit
dem Designer Yinka Ilori. Dessen Handschrift ist insbesondere an
der Farbgestaltung der Hülle zu erkennen.
Changierende Hülle
Genutzt werden soll der vor Sonne und Regen geschützte Raum für
ein breites Programm kreativer Veranstaltungen, wie etwa Workshops,
Kochabende, Yoga-, Tanz-, oder auch Malereiklassen. Die vier
Fassaden bestehen aus Tausenden von individuell bemalten
Holzlatten, die an einem Holzrastergerüst befestigt sind. Die vier
zylinderförmigen Stützelemente in den Ecken sind Attrappen. Es
handelt sich um rot gestrichene Schachtringe aus Beton. In ihrem
Inneren verbergen sich Stahlstützen, die die Konstruktion tragen.
Das Ornament der Fassade besteht aus geometrischen Grundformen,
Dreiecken und Kreisen, die aufgrund der offenen Anordnung sowie der
Polychromie der Holzlatten – jede Seite zeigt eine andere Farbe –
ihr Erscheinungsbild je nach Betrachterstandpunkt ändern. Die
oberste Reihe aus Dreiecken ragt über den Quaderrand hinaus, sodass
der Bau einen Abschluss findet, der an Zinnen oder eine Krone
erinnert.
Von der Hüpfburg bis zum Kornspeicher
Das bunte Gebilde ist jedoch mehr als ein Raum für Veranstaltungen, es ist auch aufgeladen mit kulturellen und historischen Referenzen. In seiner Symbolik bezieht sich der Pavillon auf das durch die London Architecture Week vorgegebene Thema „boundaries” (Grenzen) und vermengt es mit der Architektursprache des benachbarten Museumsgebäudes. Denn der quietschbunte Farbenpalast – der Gedanke an eine Hüpfburg drängt sich unweigerlich auf – steht zwar im deutlichen Kontrast zu der Architektur der altehrwürdigen Dulwich Picture Gallery, in seiner Kubatur sowie dem farbigen Fassadenornament greift die Hülle jedoch geometrische Formen auf, die auch den Bau von Sir John Soane prägen.
Die schillernd changierende Farbigkeit hingegen stellt einen Bezug zu den Stoffmärkten im nigerianischen Lagos her. Damit soll der multikulturelle Charakter von Londons Südosten hervorgehoben werden, dem Teil der Stadt, in dem sich der Pavillon befindet. Einige weitere architektonische Details sollen auf unerwartete Parallelen zwischen verschiedenen Kulturen hinweisen. So haben etwa die Säulenattrappen, auf denen die Konstruktion zu ruhen scheint, einen historischen Bezugspunkt: sogenannte Staddle Stones, welche verwendet wurden, um Kornspeicher zu erhöhen und damit das Getreide trocken zu lagern sowie Nagetiere fernzuhalten. Zu finden sind historische Beispiele vor allem in England und im spanischen Galizien. In ähnlicher Form existieren sie nahezu weltweit.
Sonnenschutz: Geformt aus 6.300 laufenden Metern
Holz
Trotz der offenen Bauweise gibt sich der Innenraum
erstaunlich dunkel. Direktes Sonnenlicht lassen die in mehreren,
einander leicht überlappenden Schichten angeordneten Holzlatten
kaum durch. Nur schmale Streifen des Lichts zeichnen sich auf dem
Fußboden ab. Da die Konstruktion angehoben ist, bleibt die untere
Ebene eng mit der Umgebung verbunden. Insbesondere die
Sichtbeziehung zum historischen Museumsgebäude wird
aufrechterhalten. Die im Inneren des Pavillons angeordnete
umlaufende Galerie hingegen erlaubt vor allem Blicke auf die
Konstruktion und das Geschehen auf der unteren Ebene.
Die Lamellenverkleidung besteht aus über 6.300 laufenden Metern
von etwa 5 x 5 cm starken Rotholz-Latten, auf deren Außenflächen
jeweils eine andere Anstrichfarbe aufgetragen ist. Dabei wurde auch
mit Schablonen gearbeitet, um die richtige Farbverteilung für die
gewünschten geometrischen Ornamente zu erreichen. Ein speziell
entwickeltes System zur Identifizierung der Latten half dabei, den
Herstellungsprozess zu optimieren. Die kräftige Farbpalette, die
für die Hülle des Pavillons gewählt wurde, besteht aus zehn Nuancen
der Farben Gelb, Orange, Rot, Rosa, Blau und Grün.
Beim Umschreiten des Bauwerks verschmelzen die vertikalen Streifen
optisch miteinander, sodass weitere Farbtöne wahrgenommen werden
können. -sr
Bautafel
Architektur / Design: Pricegore, London, mit Yinka Ilori
Projektbeteiligte: Engineers HRW, London (Tragwerksplanung); Raskl, Newcastle upon Tyne (Sonnenschutz / Fassade); Mylands, London (Farbe)
Bauherr: Dulwich Picture Gallery, London Festival of Architecture
Fertigstellung: 2019
Standort: Gallery Rd, Dulwich, London SE21 7AD, Vereinigtes Königreich
Bildnachweis: Adam Scott, London
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