Bogenbrücke über die Oder
Gerüstlösung für eine Eisenbahnbrücke zwischen Deutschland und Polen
Seit 1867 stellt eine Eisenbahnbrücke zwischen der heutigen deutschen Gemeinde Küstrin-Kietz und dem polnischen Kostrzyn einen wichtigen Verbindungsweg über die Oder dar. Die Brücke war früher Teil der sogenannten Königlich Preußischen Ostbahn und verband Berlin mit Ost- und Westpreußen. Der heute symbolträchtige Brückenschlag über den inzwischen deutsch-polnischen Grenzfluss stand nicht immer im Zeichen so friedlicher Zeiten. In den beiden Weltkriegen stark beschädigt und wiedererrichtet beziehungsweise hart umkämpft, hatte das historische Bauwerk zuletzt das Ende seiner technischen Nutzungsdauer erreicht. Der zweigleisige Bahnabschnitt nimmt jedoch immer noch eine wichtige Funktion als Ausweichstrecke für den Zugverkehr zwischen Berlin und Warschau ein.
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Neubau der Brückenkonstruktion und des Bahnabschnitts
Ein bundesweit ausgetragener Wettbewerb aus dem Jahr 2015 für den Ersatzneubau der Oderbrücke führte zur Auswahl eines Enwurfs des Büros Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft vom Standort Berlin gemeinsam mit Knights Architects aus London. Nach dem Rückbau der alten Stahlbrücke Ende 2021 entsteht derzeit eine moderne Netzwerkbogenbrücke, die sich inklusive dreier Vorlandbrücken auf polnischer Seite über insgesamt 260 Metern erstreckt. Die Länge des flussüberspannenden Hauptfeldes beträgt 130 Meter. Der Abschluss der Bauarbeiten ist für dieses Jahr vorgesehen.
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Innovative Konstruktionsweise
Der Neubau wird als Netzwerkbogenbrücke mit Carbonhängern realisiert. Diese materialsparende und leichte Konstruktionsweise findet sich ebenfalls bei der im Jahr 2022 mit dem Deutschen Ingenieurbaupreis ausgezeichneten Stadtbahnbrücke des Büros sbp - schlaich bergermann partner wieder, die die Autobahn A8 bei Stuttgart-Degerloch überspannt. Bei dieser Bauweise ist die Fahrbahnplatte über filigrane, schräg gespannte bzw. sich kreuzende Hängerseile aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff (CFK) an zwei parallel verlaufende Stahlbögen gehängt, die die Last abtragen. Die neue Oderbrücke wird dabei auch mit weit höherer Geschwindigkeit befahrbar sein als bisher, sodass sich im Betrieb eine Zeiteffizienz ergibt.
Projektspezifisch ausgearbeitete Gerüstlösung
Zu dieser zeiteffizienten und gelungenen Ausführung der Brückenkonstruktion trug auch eine projektspezifisch ausgearbeitete Gerüstlösung bei. Der Gerüstbau bestand aus einem Trag- und Arbeitsgerüst-Baukasten, das wiederum auf einem Systemraster mit Standardbauteilen im 25-Zentimeter-Abstand beruht. In Kombination mit mietbaren Systembauteilen, denen das gleiche metrische Raster zugrunde liegen, konnte eine nahezu übergangslose Kombination der beiden Baukastensysteme zu einem sogenannten Super-Baukasten umgesetzt werden. Im Fall der Oderbrücke ermöglichte diese Gerüstlösung eine fachgerechte Montage der Hauptbrücke auf der deutschen Uferseite. Dabei konnten die einzelnen Stahlsegmente auf der Baustelle sicher aufgelagert und präzise verschweißt werden. In einem nächsten Schritt wird die Hauptbrücke bestehend aus der Stahl- und Carbonseilkonstruktion über Hilfspfeiler in die endgültige Position eingeschoben. Gleichzeitig half die Gerüstlösung bei der Herstellung der Vorlandbrücke und wird auch zukünftig für Wartungs- und Überwachungsarbeiten zur Verfügung stehen.
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Digitale Planung, statischer Nachweis und Zeiteffizienz
Bei der Planung der hochkomplexen und geometrisch angepassten Gerüstkonstruktion werden digitale CAD Programme speziell für Schalungs- und Gerüstplanung eingesetzt. Hiermit konnten auch die unterschiedlich hohen Lastableitungen, die in den verschiedenen Bauzuständen erforderlich waren, berechnet und in eine integrierte Gerüstlösung übersetzt werden. So wurden Einzellasten bis zu 760 kN vertikal abgetragen, während die maximale Horizontallast 180 kN betrug. Der statische Nachweis war dank standardisierter Bauteile aus den Baukästen-Systemen vereinfacht. Die Koordinierung der Planungsleistungen erfolgte durch einen Projektleiter des Anbieters der Gerüsttechnik, der von der Materialverfügbarkeit über die Lieferung der großen Gerüstmengen bis hin zur prüffähigen Statik den Gesamtprozess im Blick hatte. Durch die gebündelte Koordinierungsleistung ergaben sich laut dem Systemanbieter nicht zuletzt eine kurze Planungsdauer sowie eine rasche Umsetzung und schnelle Gerüstmontage auf der Baustelle. Die termingerechte Errichtung der Brücke kann folglich trotz krisenbedingter Engpässe von Baumaterial und Personal erwartet werden.