Umbau von einem Bürohochhaus in München
Kugel trifft Prisma
Wie aus einem Knödel über Umwege die Weltkugel, oder richtiger noch: das Himmelsgewölbe werden kann, lässt sich in München im östlichen Stadtbezirk Berg am Laim nachverfolgen. Nähert man sich von Südosten dem Stadtzentrum auf der Rosenheimer Straße, fällt rechts – kurz vorm Ostbahnhof – ein gedrungenes, vierzehngeschossiges Glashochhaus mit eingekerbten Gebäudekanten und einer orangefarbenen Weltkugel auf dem Dach auf. Die Hülle des 62 Meter hohen Büroturms Atlas-Hochhaus mit rund 30 Metern Kantenlänge ist neu und stammt von OSA Ochs Schmidhuber Architekten aus München. Die leuchtende Kugel mit 7,50 Metern Durchmesser ist das Relikt einer Zwischennutzung und erinnert an die Vorgeschichte des Quartiers: Bis in die 1990er-Jahre war hier eine Produktionsstätte des deutschen Kartoffelknödelherstellers Pfanni.
Gallerie
Vom Industrieareal zum Kulturquartier
Die Rosenheimer Straße und die rechtwinklig dazu verlaufenden Gleise am Ostbahnhof markieren die westlichen Begrenzungen eines gut 39 Hektar großen ehemaligen Industrieareals, das 1949 bis 1996 von dem Werk des Lebensmittelproduzenten dominiert wurde. Auch der Zweiradhersteller Zündapp, die Optimol Ölwerke und mehrere kleine Firmen hatten hier ihre Produktionsstätten. Nach Schließung der Werke erfolgten unter dem Titel Kunstpark Ost (später Kultfabrik) Zwischennutzungen als Konzerthallen, Großdiskotheken, Clubs, Bars und Spielhallen, aber auch Künstlerateliers, Ausstellungsflächen, Werkstätten und Büros, darunter das Startup Zentrum Media Works Munich (MWM). Als Werbesymbol hatte dieses Gründerzentrum die weithin sichtbare orangefarbene Kugel mit umlaufender schwarzer Welle und Assoziation zum Pfanni-Logo auf dem Büroturm der frühen 1980er-Jahre angebracht. Doch das Areal wandelt sich seit der Jahrtausendwende durch Konversion und Neubau zu einem gemischten Stadtquartier – zum Werksviertel mit 3.000 neuen Bewohnern, 7.000 Arbeitsplätzen sowie Kultur- und Freizeitangeboten.
Erhalt und Umnutzung der historischen Bausubstanz
Das anonyme Bürohochhaus an der Rosenheimer Straße wurde 2016 bis 2019 vom Büro OSA komplett umgebaut. Lediglich das Betonskelett blieb erhalten – und die aus 182 Plexiglassegmenten zusammengesetzte Kugel auf dem Dach, da sie sich in kurzer Zeit als Landmarke etabliert hatte. Wegen ihr wurde der Turm umbenannt in Atlas-Hochhaus. Zwar wiegt die Kunststoffkugel immerhin dreizehn Tonnen, im Gegensatz aber zu den Titanenfiguren, die an Schlössern und Rathäusern des 17. bis 19. Jahrhunderts mühevoll übergroße Himmelskugeln schultern, droht sie den Büroturm keineswegs unter ihrer Last zu erdrücken. Im Gegenteil: Die Substanz des vergleichsweise jungen Bestandsgebäudes war in einem so guten Zustand, dass der Erhalt des Rohbaus unter Einsparung grauer Energie die ökologisch sinnvollere Alternative zum Komplettabriss und Neubau war. Diese Entscheidung war Teil des Green-Building-Konzepts für das Hochhaus einschließlich nachhaltiger Bauweise und energieeffizientem Gebäudebetrieb.
Multistrukturbüro mit Atlas-Mythos
Projektbestandteil war ferner der Neubau eines sechsgeschossigen Plaza-Gebäudes auf E-förmigem Grundriss, das anstelle eines kompakteren Bestandsbauteils dreiseitig an den Vierzehngeschosser andockt, jetzt aber zwei große Innenhöfe mit Gastronomiebetrieb bildet. Insgesamt hat der Komplex damit eine Bruttogeschossfläche von nahezu 25.000 Quadratmetern. Die Büros sind offen mit aufgelösten Raumstrukturen organisiert und werden überwiegend als Multistrukturbüros oder als Activity Based Working Spaces (ABW) genutzt, bei denen die einzelnen Mitarbeiter keine festen Arbeitsplätze haben. Sieben auf vier Etagen verteilte Terrassenflächen stehen zur Verfügung, außerdem eine 600 Quadratmeter große Dachterrasse im vierzehnten Obergeschoss – dem „Olymp“ mit Panoramablick direkt unter der Leuchtkugel. An den Atlas-Mythos wird auch über bildliche Darstellungen in den Treppenhäusern und Bezeichnungen der Aufzüge als Alpha, Beta und Gamma angeknüpft. Der noch vor Abschluss der Arbeiten von der Allianz Real Estate erworbene Komplex bietet zudem 230 Stellplätze in der zweigeschossigen Tiefgarage und 100 Fahrradstellplätze auf dem Gelände.
Fassade: Prismenecken und hoher Glasanteil
Der
Bestandsbau war gegliedert durch ein Raster aus liegenden
Fensterformaten sowie weiß verkleideten Außenwandpfeilern und
Brüstungsfeldern, das lediglich durch die um 45 Grad abgeschrägten,
geschlossenen Gebäudekanten ein wenig aufgebrochen wurde. Dagegen
präsentieren sich die neuen doppelschaligen Glasfassaden
einheitlicher in den Flächen, hinter denen die Pfeiler geschickt
kaschiert sind. Die neuen Fassaden haben einen höheren Glasanteil,
nahezu bodentiefe Fenster und sind durch vergleichsweise schlanke,
schwarze Brüstungsbänder mit integriertem Sonnenschutz in der Horizontalen gegliedert sowie
vertikal durch filigrane, kaum 30 Zentimeter breite, ebenfalls
schwarze Lüftungsklappen, die von Geschoss zu Geschoss jeweils nur
um ihre eigene Breite gegeneinander versetzt wurden. Die
Lüftungsklappen dienen also zugleich als gestalterische Elemente,
welche die Fassadenflächen rhythmisieren. Innen sind sie mit Eiche
verkleidet. Sie lassen sich individuell öffnen und unterstützen so
die Luftzirkulation. Die äußeren Prallscheiben sind jeweils oben
und unten mit Luftschlitzen versehen. Innen ist jedes zweite
Element als Öffnungsflügel ausgebildet. Zwischen beiden Scheiben
werden die Sonnenschutzlamellen geführt.
Vor allem aber hat der Baukörper durch einen vergleichsweise
geringen Eingriff in das Volumen eine auffällig neue Geometrie
erhalten: Er wirkt jetzt viel lebendiger durch das Ersetzen der
geschlossenen 45-Grad-Kanten durch offene, prismatische Glasecken,
die von rautenförmige Stahlkonstruktionen gehalten werden.
Dreieckige Glasflächen laufen dabei jeweils über zwei Geschosse
hinweg. Somit weisen nur noch das zweite, sechste, zehnte und
vierzehnte Obergeschoss den ursprünglichen oktogonalen
Grundriss auf und – jeweils zwei Geschosse versetzt dazu – das
vierte, achte und zwölfte Obergeschoss einen Rechteckgrundriss. Bei
den dazwischenliegenden, ungeradzahligen Obergeschossen fallen die
abgeschrägten Ecken entsprechend kleiner aus. Durch diesen
gestalterischen Eingriff – geometrisch ein Aufsetzen einer Reihe
flacher Glaspyramiden auf die abgeschrägten Kanten – entstehen die
erwähnten charakteristischen Einkerbungen oder, je nach Sichtweise,
die Prismenfacetten, die dem Bau zusammen mit der aus der Zeit der
Zwischennutzung auf dem Dach verbliebenen orangefarbenen
Plexiglas-Leuchtkugel einen hohen Wiedererkennungswert
verleihen.
Bautafel
Architektur: OSA Ochs Schmidhuber Architekten, München
Projektbeteiligte: Sacher, München (Tragwerksplanung / Bauphysik / Wärmeschutz / Schallschutz); Dreyer Jakob Offner, München (Gebäudetechnik); Gollnau Planungs- & Projektierungsgeschellschaft, Maisach (Elektro); Ingenieurbüro für Fördertechnik Klaus Brendle, Utting a. Ammersee (Fördertechnik); Implenia, Dietlikon (Generalunternehmer); Luz Landschaftsarchitekten, München (Freianlagenplanung)
Bauherrschaft: Art-Invest Real Estate
Fertigstellung: 2019
Standort: Rosenheimer Straße 143, 81671 München
Bildnachweis: Hiepler Brunier, Berlin
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