_Fassade
Geschäfts- und Bürogebäude Kö-Bogen II in Düsseldorf
Grüner wird's nicht
Nein, sie macht keinen Bogen, die Kö. Schnurgerade verläuft Düsseldorfs bekannteste Einkaufsstraße, die Königsallee, mit dem Stadtgraben in der Mitte von Nord nach Süd. Wie auch die nördlich angrenzende Hofgartenerweiterung ist sie aus der nach 1800 geschleiften Stadtbefestigung hervorgegangen. Der Hofgarten, Düsseldorfs zentraler Park, ist es, der an seinem Südrand einen Viertelkreisbogen beschreibt.
Gallerie
Hier ersetzten Ingenhoven Architects bis 2020 einen Büro- und Einzelhandelsblock durch den Kö-Bogen II. Dabei handelt es sich um ein zweiteiliges Geschäfts- und Bürogebäude, dessen markantestes Merkmal wohl Europas derzeit größte Grünfassade mit mehr als 30.000 Hainbuchen-Heckenpflanzen darstellt ‒ ein Pilotprojekt zum Thema Städte- und Klimawandel.
Abriss trotz Denkmalschutz
Unter dem Titel „Kö-Bogen“ wurde an dieser Stelle 2005 ein
umfangreiches Stadterneuerungsprojekt initiiert, das in mehreren
Abschnitten neue Büro-, Einzelhandels- und Gastronomienutzungen mit
einer weitreichenden städtebaulichen Neuordnung verbunden hat. Der
„Kö-Bogen I“ ist dabei die bis 2013 erfolgte Überbauung eines
ehemaligen Verkehrsknotens am Nordende der Kö mit zwei von Daniel
Liebeskind entworfenen Gebäuden. Der benachbarte, zweiseitig an den
Hofgarten angrenzende Gustav-Gründgens-Platz ‒ mit Dreischeibenhaus
(HPP 1957–1960) und Schauspielhaus (Bernhard Pfau 1965–1969) ein
typischer Nachkriegs-Stadtraum ‒ hat südseitig seinen Charakter
grundsätzlich gewandelt. Der sogenannte Tausendfüßler, eine 1962
fertiggestellte und 1993 unter Denkmalschutz gestellte Hochstraße,
wurde 2013 abgebrochen und durch einen Tunnel ersetzt.
Definition von Platz- und Straßenraum
In die neu geschaffene städtebauliche Situation passten Ingenhoven
Architects ihr Bauwerk so ein, dass zuvor unbestimmte Platz- und
Straßenräume nun klar definiert sind: Zwischen dem
fünfgeschossigen, trapezförmigen Hauptgebäude und einem kleineren
Nebengebäude mit Dreiecksgrundriss und Schrägdach erfolgt der neue,
südwestliche Zugang zum Gustaf-Gründgens-Platz mit Blick auf
Dreischeibenhaus, Schauspielhaus und den dahinterliegenden
Hofgarten. Das Hauptgebäude ist in neun unterschiedlich große
Segmente unterteilt, die sich entlang der Schadowstraße im Süden
aufreihen, während das Nebengebäude nach Westen auf die
Hofgartenstraße ausgerichtet ist. Auf einer Bruttogeschossfläche
von insgesamt 42.000 Quadratmetern sind verschiedenste Flächen für
Einzelhandel, Gastronomie, Büro und Erholung untergebracht. Unter
dem Gustav-Gründgens-Platz befinden sich Tiefgaragenstellplätze für
den Kö-Bogen II, das Schauspielhaus und das Dreischeibenhaus.
Fassade: Grünfassade aus Hainbuchenhecken
An der Hülle des Kö-Bogen II wechseln Grün und transparente
Flächen. Die beiden Dreiecksfassaden des Nebengebäudes sowie die 27
Meter hohe und 120 Meter lange Südfassade des Hauptgebäudes sind
komplett verglast. Dagegen sind die zum Gustaf-Gründgens-Platz
weisenden Fassaden des Hauptgebäudes fast vollständig begrünt. Im
Erdgeschoss markieren trapezförmige Aussparungen die Eingänge. Im
dritten Obergeschoss wird die begrünte Fläche von einem umlaufenden
Glasband durchbrochen und in die zum Gustaf-Gründgens-Platz leicht
fallende Dachfläche sind zwei trapezförmige Höfe eingeschnitten.
Das dreieckige Pultdach des zehn Meter hohen Nebengebäudes ist als
begehbare Rasenfläche ausgebildet.
Entwicklung mit wissenschaftlicher Unterstützung
Das vegetationstechnische Konzept der Grünfassade hat das
Planungsteam gemeinsam mit dem Botaniker Karl-Heinz Strauch von der
Beuth Hochschule Berlin entwickelt und über eine Probeaufstellung
getestet. Festzulegende Parameter waren Größe und Art der
Pflanzgefäße für 1,3 Meter hohe Hecken, Wasser- und
Nährstoffversorgung sowie Pflege und Beschnitt der Pflanzen. Das
Dach wurde nach konventioneller Methode als Ballenware in
Pflanzenbeeten begrünt. Dagegen wachsen die Fassadenhecken in einem
speziellen Begrünungssystem aus horizontalen, terrassenförmig
angeordneten Behältern, sogenannten Primärgefäßen. Diese wurden in
Tragbehälter eingesetzt, welche über eine Konsolen-Konstruktion vor
der 60 Grad geneigten, wärmegedämmten Betonfassade befestigt
sind.
Vegetation in über 500 Tragbehältern
Die mehr als 500 Tragbehälter sind vier Meter lang, etwa 0,5 Meter
hoch und tief und mit je zwei Entwässerungsleitungen versehen. Alle
Be- und Entwässerungsleitungen wurden in die Tragkonstruktion
integriert. Die Hecken werden mit Regenwasser bewässert. Bei
Starkregen wird überschüssiges Regenwasser in Zisternen gesammelt.
Wassermenge, Bewässerungsintervall und Nährstoffmenge werden über
Messungen bedarfsorientiert geregelt. Die Pflanzen wurden drei
Jahre in einer Baumschule gezüchtet, bevor sie im Herbst 2019 in
den Primärgefäßen mit voll ausgebildeten Wurzeln auf die Baustelle
kamen. Über Laufstege erreichbar, werden sie drei Mal im Jahr per
Hand geschnitten. Die Wahl fiel aus mehreren Gründen auf
Hainbuchen: Es sollten heimische Pflanzen sein, die ihr
Erscheinungsbild im Jahresverlauf wandeln. Im Winter reduziert sich
der Wasserbedarf auf ein Minimum, was die Gefahr von Trockenschäden
verringert.
Sauerstoff von 80 Laubbäumen für mindestens 99 Jahre
Der ökologische Nutzen der an Fassaden- und Dachflächen gepflanzten
Hainbuchen entspricht laut Entwicklerangaben rund 80 ausgewachsenen
Laubbäumen, vor allem im Hinblick auf die Sauerstoffproduktion und
das Binden von Feinstaub. Die Bepflanzung verhindert aber auch,
dass sich Fassade- und Dach bei starker Sonneneinstrahlung bis zu
70 Grad aufheizen und diese Wärme an die Umgebungsluft abgeben
würden. Stattdessen wirken die Hainbuchen als Hitzepuffer positiv
auf das Mikroklima des Quartiers und geben zudem durch
bedarfsgerechte Bewässerung Feuchtigkeit über die Blätter ab, was
Kühlungseffekte bewirkt. Außerdem dämpfen die Pflanzen den Lärm und
fördern die Biodiversität. Der Investor wurde über einen
städtebaulichen Vertrag verpflichtet, 99 Jahre lang die
Verantwortung für die Grünfassade zu übernehmen.
Bautafel
Architekten: Ingenhoven Architects, Düsseldorf
Projektbeteiligte: Christoph Ingenhoven, Peter Jan van Ouwerkerk, Cem Uzman, Mehmet Congara, Ben Dieckmann, Patrick Esser, Vanessa Garcia Carnicero, Yulia Grantovskikh, Tomoko Goi, Olga Hartmann, Jakob Hense, Melike Islek, Fabrice-Noel Köhler, Christian Monning, Daniel Pehl, Andres Pena Gomez, Peter Pistorius, Lukas Reichel, Jürgen Schreyer, Susana Somoza Parada, Jonas Unger, Nicolas Witsch, Dariusz Szczygielski, Stefan Boenicke, Thanh Dang (Team ingenhoven architects); AIP Bauregie, Düsseldorf (Projektmanagement); Schüßler-Plan Ingenieurgesellschaft, Düsseldorf (Tragwerksplanung); Heinz Jahnen Pflüger – Stadtplaner und Architekten Partnerschaft, Aachen (Bebauungsplanverfahren); ICG Düsseldorf (Geotechnische Beratung); Prof. Dr. Karl-Heinz Strauch, Beuth Hochschule für Technik, Berlin (Phytotechnologie / Spezielle Bauwerksbegrünung); Prof. Dr. Reif, Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg (Beratung für Vegetationsökologie)
Bauherr/in: Düsseldorf Schadowstraße 50/52; CENTRUM Projektentwicklung, Düsseldorf; B&L Gruppe, Hamburg
Fertigstellung: 2020
Standort: Schadowstraße 50-52, 40215 Düsseldorf
Bildnachweis: Hans Georg Esch, Hennef / Ingenhoven Architects, Düsseldorf
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