“Don’t go back to Dalston”, sang Johnny Borrell 2004, meinte
aber weder Tony Blair, der hier gewohnt hatte, noch Britney Spears,
die in Criminal vor der Polizei flüchtet… Heute
gehört der Stadtteil Dalston im Londoner Borough of Hackney, fünf
Kilometer nördlich der Tower Bridge, zu den angesagten Quartieren
der britischen Hauptstadt – mit Kulturszene, Streetart, Cafés,
Shopping und Nightlife. Zwischen Gillet Square und Bradbury Street,
nur 100 Meter von der Metrostation Dalston Kingsland entfernt, hat
das Büro YN Studio einen Bestandsbau saniert und erweitert. Heute
gibt es hier Workspaces, Kultur und Einzelhandel. Auftraggeber war
die Hackney Co-operative Developments (HCD), eine 1982 gegründete,
lokale Stadtentwicklungsagentur, die erschwinglichen Arbeitsraum
bietet und das Quartier beleben möchte.
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Der intime, nur gut 50 mal 25 Meter große Gillet Square erhielt
seine Gestalt durch einen längeren Transformationsprozess: Auf dem
Hinterhof zwischen einigen zur Bradbury Street gelegenen,
viktorianischen Reihenhäusern und im Blockinneren gelegenen,
aufgegebenen Lagerhallen parkten vor allem Autos. Nach Umwidmung
der Fläche waren 1998 zuerst die acht dreigeschossigen Reihenhäuser
an der Südseite des Gillet Squares umgewandelt worden.
Heute befinden sich hier Arbeitsräume und kleinteiliger
Einzelhandel. Platzseitig wurde die Zeile um Laubengänge ergänzt
und um eine hervortretende Rotunde als östlichen Abschluss.
Westseitig, im rechten Winkel zur Zeile, war 2004 das
viergeschossige Dalston Culture House angefügt
worden – ein rötlich verkleideter Bau mit vorkragendem,
transluzentem Kubus. Eine Containerreihe mit Kiosken befand sich
mitten auf dem Platz, dahinter war noch eine Parkreihe
übriggeblieben.
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Neue Raumschicht und Aufstockung
Die Maßnahmen von YN Studio am Gebäude der Bradbury
Works umfassten die Renovierung von 600 Quadratmetern
Arbeitsfläche, die Ergänzung weiterer 500 Quadratmeter sowie und
den Ersatz der Container. Nördlich wird der Gillet Square neu durch
eine Kiosk-Zeile auf einem Holzpodest begrenzt, die direkt vor der
Lagerhallenfassade sitzt. Ein zweites Holzpodest fasst an der
Platzostseite vier Kiefern zusammen auf dem ansonsten gepflasterten
Platz. Die Laubengänge wurden durch eine vier Meter tiefe, neue
Raumschicht mit vorgefertigter Stahlrahmen-Konstruktion ersetzt.
Diese nimmt im Erdgeschoss zehn Mini-Einzelhandelsflächen auf, in
den beiden darüberliegenden Geschossen Erschließungs- und
Pausenflächen in einer überdachten, teils geschlossenen
Galerie.
Zudem trägt die Konstruktion einen Teil der Aufstockung. Unter
den Holzbalken des neuen Satteldachs sind ein Voll- und ein
Galeriegeschoss entstanden. Das Volumen liegt platzseitig hinter
der neuen Hülle, endet aber straßenseitig rund 1,60 Meter vor der
Bestandsfassade. In Kombination mit der 40-Grad-Neigung der neuen
Dachflächen soll die Erweiterung einerseits von den Gehwegen aus
weniger sichtbar sein, andererseits den Platz nicht zu stark
verschatten.
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Dank der außenliegenden Dachdämmung konnte die Dachstruktur im
Innenraum sichtbar bleiben. Decken und Zwischenwände wurden in Holz
mit Mineralfaserdämmung ausgeführt. Die Trennwände der Aufstockung
sind nichttragend und die Raumgrößen somit flexibel. Die
Erweiterungsflächen sind über den bestehenden, neu gestalteten
Eingang erreichbar. Das Treppenhaus wurde kontrastreich in Cyan,
Magenta, Gelb und Schwarz gefasst, was die Orientierung erleichtert
und als symbolischer Hinweis auf Buntheit und Durchmischung im Haus
gemeint ist. Die gedeckt grauen Fußböden und weißen Wänden lassen
sich mit individuellen Akzenten aneignen.
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Vielseitige Mieterschaft
Die Regelgrößen der Büroflächen betragen im Altbau mit
beibehaltener Mauerstruktur 36 Quadratmeter. In der
Aufstockung sind es 40 bis 65 Quadratmeter, wobei auch größere
Flächen angeboten werden. Den flexiblen Besprechungs- und
Veranstaltungsraum können sogar Externe buchen. Zu den bisherigen
Mieter*innen gehören eine Schneiderei, ein Friseur, ein
Lebensmittel- und ein Vintage-Bekleidungsgeschäft, ein Café, eine
Computerwerkstatt, drei Jazzclubs, ein Plattenladen und ein
Radiosender sowie ferner NGOs, Wellnessanbieter und
Workshop-Agenturen. Sie konnten während der Maßnahmen entweder in
ihren Einheiten bleiben konnten oder erhielten Ausweichräume.
Zusätzlich sind jetzt ein Mentoring Lab, ein Schreibgeschäft und
mehrere lokale Designer und Künstler eingezogen – unter dem Dach
mit großem Giebelfenster sitzt mittlerweile das Architekturbüro
selbst.
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Fassade: Schimmernder Kontrast zum Bestand
An der Südseite, zur Bradbury Street, wo noch die viktorianische
Terrassenhausreihe erkennbar ist, wurde die ursprüngliche, gelbe
Backsteinfassade saniert. Eingebaut wurden neue, doppelt verglaste
Sprossenfenster und die Bestandsaußenwände innen mit isolierten
Gipskartonplatten verkleidet.
Das Satteldach sowie die platzseitige Sockelzone sind mit
robustem, walzblankem Aluminiumwellenblech verkleidet, dass
mit der Zeit Patina ansetzen wird und auch die Tore der Mini-Läden
bekleidet. Sind die Torflügeln aufgeschlagen, zeigen sich
individuell bespielbare Glasfronten. Die Geschosse
darüber – inklusive der Aufstockung – sind umlaufend mit
einer homogenen Hülle aus Polycarbonat-Stegplatten versehen. Zum
Gillet Square weist sie bodentiefe, geschossweise versetzte
Aussparungen auf, die im ersten und zweiten Obergeschoss offen, im
dritten dagegen mit dahinterliegenden Büros verglast sind.
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Die Polycarbonat-Verkleidung ist aus je drei
übereinander angeordneten, geschosshohen Paneelen zusammengesetzt.
Die 500 Millimeter breiten, isolierenden
Multiwall-Paneele sind auf eine verzinkte
Stahl-Unterkonstruktion montiert und bilden über
Nut-Feder-Verbindungen eine wetterfeste Abdichtung. Regenrinnen und
Fallrohre liegen hinter der Verkleidung verborgen. Nordseitig
sind im Dach wiederum versetzt angeordnete Dachflächenfenster
eingebaut.
Die Fenster haben überwiegend Doppelverglasungen und
Holz-Aluminium-Verbundrahmen in Walzoptik. Fensterbänke und
Einfassungen bestehen ebenfalls aus Aluminium,
Absturzsicherungen hingegen aus pulverbeschichteten
Stahlrohrbrüstungen mit Edelstahldrahtgewebe. Die Stahlkonstruktion
hat einen grauen Brandschutzanstrich, die Böden und eine Sitzbank
der Erschließungs- und Pausenzone bestehen aus Thermoholz.
Bautafel
Architekten: [Y/N] Studio, London (inkl. Innenarchitektur und Signaletik) Projektbeteiligte: Vortex Interiors, Hemel Hempstead (Hauptauftragnehmer); Helios Project Management, Beaconsfield (Projektmanagement); Engenuiti, London (Statik); Thornley and Lumb, Bradford (TGA-Planung); Beacon Project Services, Hertfordshire (Quantity Surveying); JMS Planning and Development, Halesworth (Planungsberatung); Hawkins/Brown, London / Manchester (Kooperierender Architekt, erste Phasen), KM Heritage, Harleston (Denkmalberatung); Schroeders Begg, London (Tageslichtplanung); Gerald Eve, London (Monitoring Surveyor) Bauherr*in: Hackney Co-operative Developments (HCD) Fertigstellung: 2022 Standort: Gillett Square / Bradbury Street, London N16 8, Vereinigtes Königreich Bildnachweis: French+Tye, London (Fotos); [Y/N] Studio, London (Pläne)
Fachwissen zum Thema
Materialien
Kunststoffe
Für Fassadenbekleidungen und -ausfachungen werden Kunststoffe wie Acrylglas, Polycarbonat (PC), Polyvinylchlorid (PVC), Polyethylenterephthalat (PET-A), und Ethylen-Tetrafluorethylen (ETFE) eingesetzt.
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