Sanierung und Aufstockung: ehemaliges Hauptpostamt 2 in Berlin
Revitalisierung im Denkmalensemble
Der Ernst-Reuter-Platz in Charlottenburg ist nach dem Großen Stern mit der Siegessäule der zweite große Kreisverkehr auf der Berliner Ost-West-Achse. Mit zwei großen Springbrunnenanlagen, Bäumen und quadratischen Pflanzbeeten im 120 Meter weiten Rondell, einer Planung von Werner Düttmann, bildet der 1960 eingeweihte Platz eine bewusste Zäsur in der gigantischen Speer'schen Achse. Das Bürogebäude mit der Hausnummer 6, 1969–74 von Bernhard Binder errichtet, wurde jetzt nach langjährigem Leerstand durch Tchoban Voss Architekten revitalisiert.
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Das Städtebaukonzept von Bernhard Hermkes, ein bemerkenswerter Ansatz der Nachkriegsmoderne, um mit unregelmäßiger Solitär-Anordnung eine großstädtische, aus dem Auto erlebbare Raumkulisse zu schaffen, versammelt TU-Institute und Bürobauten rund um den Platz: Im Nordwesten das ehemalige Telefunken-Hochhaus als markante, 22geschossige Platzdominante (Schwebes & Schoszberger 1958–60, heute TU und Telecom), im Norden die beiden Scheiben Osram-Haus (Hermkes 1956/57) und Pepper-Haus (Sobotka und Müller 1960–62), im Nordosten die Architekturfakultät der TU (Bernhard Hermkes / Hans Scharoun / Herta Hammerbacher, 1970/71), im Südosten das Institut für Bergbau und Hüttenwesen (Willy Kreuer 1954–59) und im Südwesten die versetzte Anordnung von IBM-Haus (Rolf Gutbrod, Hermann Kiess u. Bernhard & Binder, 1960/61), Raiffeisenhaus (Risse & Geber 1972, heute Signal Iduna) und schließlich das ehemalige Hauptpostamt 2, Ernst-Reuter-Platz 6, das mit dem Telefunken-Hochhaus eine asymmetrische Torsituation nach Westen bildet.
Kein Einzeldenkmal, dafür Teil des Denkmalensembles
Der Architekt Bernhard Binder war hier auf Vorgabe von Bausenator Schwedler vom Hermkes-Plan abgewichen und hatte einen kompakteren, acht- bis dreizehngeschossigen Baukörper mit dunklen Fensterbändern, weißen Brüstungen und Eckbetonung durch gestaffelte Baumassen und versetzte Vor- und Rücksprünge entworfen. Der Stahlskelettbau, der Teil des Denkmalensembles Ernst-Reuter-Platz, aber kein Einzeldenkmal ist, wurde baulich und technisch vollständig entkernt und erhielt auf seinem dreizehngeschossigen Ostteil zum Platz hin wie auch auf dem achtgeschossigen Westteil zur Bismarckstraße, der Verlängerung der Straße des 17. Juni, je ein leicht zurückgestaffeltes, zusätzliches Geschoss.
Ein zweigeschossiger Anbau im Hof wurde rückgebaut. Die Stahlsystemdecken, sog. Robertson-Stahlzellen-Decken, die mit schadstoffhaltigem Spritzputz versehen waren, wurden durch Betonplatten ersetzt. Hatte ursprünglich auch ein Abriss im Denkmalensemble zur Diskussion gestanden, so ist jetzt mit der Sanierung durch Tchoban Voss Architekten im Wesentlichen die städtebauliche Abweichung vom Hermkes-Plan an der Westseite des Ernst-Reuter-Platzes erhalten geblieben.
Fassade: Blaue Isolierglasbänder und weiße
Aluminiumbrüstungen
Auf den ersten Blick hat das Gebäude seine ursprüngliche Anmutung beibehalten. Die Fassade wurde aufgrund von Schadstoffbelastungen komplett bestandsorientiert ersetzt, ist aber etwas glatter und kantiger geworden als die ursprüngliche Hülle mit ihren leicht abgerundeten Brüstungselementen und einer straßenseitig minimal über die Brüstungen vorspringenden Fensterebene. Demgegenüber jetzt leicht veränderte Details sind nur aus der Nähe auszumachen.
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Aus etwas größerer Entfernung, etwa vom Architekturgebäude der TU aus, nimmt man dagegen die beiden zurückgestaffelten Aufstockungen wahr. Diese verschwinden zwar aus der Schrägsicht von unten hinter den alten Traufkanten, aus der Distanz wird aber die ursprüngliche Kubatur aus zurückversetztem Erdgeschoss, sieben Regelgeschossen, einer Fuge im neunten Geschoss und darüber nochmals vier auskragenden Geschossen zum Platz hin etwas verunklart. Das Verbindungsbauteil zum südlich angrenzenden Signal Iduna Haus hatte ursprünglich ebenfalls weiße Brüstungen und ist jetzt vollflächig verglast. Dadurch ist das Blockhafte des Bürobaus – die 70er-Jahre-„Störung“ im 50er-Jahre-Plan von Hermkes – nunmehr etwas zurückgenommen.
Die neuen weißen Aluminiumbrüstungen bestehen aus hochdämmenden
Paneelen, die Fensterbänder aus bläulichen Solarschutzgläsern.
Die Fassaden wurden beim Metallbauer als Tafeln mit je fünf bis
sechs Fensterelementen vorgefertigt und auf die Baustelle
geliefert. Im Gegensatz zur Ursprungsfassade hat jedes zweite
Fensterelement jetzt Öffnungsflügel, die aber nur dann wirklich ins
Auge fallen, wenn sie tatsächlich geöffnet sind. Bei den neuen
Fassaden handelt es sich um das Pfosten-Riegel-System mit
raumseitig angeordneten Profilen und einer inneren und äußeren
Ansichtsbreite von 60 mm, die Öffnungsflügel haben Ansichtsbreiten
von 91 mm.
Bautafel
Architektur: Tchoban Voss Architekten, Hamburg/Berlin
Projektbeteiligte: Sergei Tchoban, Philipp Bauer, Kenan Ozan, Birgit Köder, Katharina Stranz, Hanna Bulavana, Azzurra Pippia, Dorota Baraniecka, Valeria Kashirina, René Hoch (Projektteam Architektur); das projekt Generalplanung, Berlin (Generalplanung, Projektsteuerung); Consulting & Service, Berlin (Projektmanagement); hagenauer, Immenstadt (Generalunternehmer); Weiske und Partner, Beratende Ingenieure VBI, Berlin (Statik); DELTA-i Ingenieurgesellschaft, Berlin (Haustechnik); Metallbau Windeck, Kloster Lehnin Ortsteil Rietz (Fassade); Krebs + Kiefer Ingenieure, Berlin (Brandschutz); SVB Sachverständigenbüro Dr. Sedat, Berlin / SSR Schadstoffsanierung Rostock, Berlin (Schadstoffsanierung); Kretschmer Tauscher Landschaftsarchitekten Partnergesellschaft, Berlin (Landschaftsplaner); Schüco, Bielefeld (Pfosten-Riegel-System FWS 60)
Bauherr: 3B-Berliner Baubetreuungsgesellschaft, Berlin
Fertigstellung: 2022
Standort: Ernst-Reuter-Platz 6, 10587 Berlin
Bildnachweis: Klemens Renner, Berlin/Dresden / Lev Chestakov, Berlin / Tchoban Voss Architekten, Hamburg/Berlin
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