Umbau zum Wohnhaus in Rotterdam
Wohnen im Industrietrakt
Das Stadtzentrum von Rotterdam erfuhr im Zuge der
Nachkriegsentwicklung bis 1990 eine starke Umstrukturierung: Das
Eisenbahnviadukt war durch einen Tunnel ersetzt worden, auf dem ein
neuer Marktplatz entstand; gleichzeitig wurden mehrere benachbarte
Gebäude abgerissen und durch neue ersetzt. Ein ähnliches Schicksal
erwartete eines der Bestandsgebäude, das 1951 vom ortsansässigen
Architekten J. Koops für die PTT Telecom entworfen wurde. Aufgrund
von Protesten der Öffentlichkeit konnte dieses Schicksal abgewendet
werden, das Gebäude stand im Anschluss jedoch fast ein Jahrzehnt
lang leer. Daher wurden Orange Architects im Jahr 2016 damit
beauftragt, ein Wohnkonzept für den Bau zu entwickeln; 2019 wurde
der genehmigte Entwurf umgesetzt.
Gallerie
Ausgangssituation Industriefassade
Das Bestandsgebäude stellt eine städtische Blockbebauung aus
rot-braunem Mauerwerk dar, die sich aus zwei riegelförmigen, leicht
zueinander verdrehten Flügeln und einem Verbindungsbau
zusammensetzt. Da die Parallelstraße Botersloot zum Zeitpunkt der
Errichtung stark frequentiert war und als Schauseite des
Grundstücks die meiste Aufmerksamkeit erhielt, nutzte das
Telekommunikationsunternehmen diesen Flügel als repräsentativen
Bürotrakt, während der dem Marktplatz zugewandte Flügel als
Industrietrakt für die Unterbringung der Telekommunikationsgeräte
vorgesehen war. Dessen Ansicht war nach pragmatischen
Gesichtspunkten mit nur kleinen Öffnungen und ohne Eingang zum
Platz gestaltet. Mit dem Wegfall des Eisenbahnviadukts und der
Entstehung des neuen Marktplatzes gewann die Rückseite an Prominenz
und nahm eine Schlüsselrolle bei der Neugestaltung des Gebäudes
ein.
Geräumige Wohnungen dank hoher Bestandsdecken
Nach den Vorschlägen des ortsansässigen Architekturbüros Orange
Architects wurde der Bestand behutsam umgebaut und der neuen
Nutzung als Wohngebäude zugeführt. Dabei sollte der besondere
Industriecharakter weitestgehend erhalten bleiben, während die
Schaffung optimaler Bedingungen für komfortablen Wohnraum im
Vordergrund stand.
Zusätzlich sollte die prominente Position genutzt sowie die
Verbindung zum angrenzenden Marktplatz gestärkt werden. Dafür wurde
das bestehende Erdgeschoss teilweise auf Platzniveau abgesenkt und
die Sockelzone durch gastronomische Nutzungen für die
Öffentlichkeit aktiviert. Ein neuer Erschließungskern mit Aufzug
sowie breite Verkehrsflächen ermöglichen zudem einen barrierefreien
Zugang zu den Wohnungen.
Insgesamt zwanzig Atelierwohnungen wurden in die großzügige
Bestandsstruktur eingefügt; entstanden sind Wohnungen mit einer
luftigen Raumhöhe von fast viereinhalb Metern. Die Grundrisse sind
klar gegliedert: Während sämtliche Wohnungen nach Südwesten zum
Platz hin ausgerichtet sind, nimmt der hintere Teil des Baus die
Erschließungsflächen auf.
Transformation: von der Kehr- zur Schauseite
Mit dem Ziel, helle, komfortable Wohnräume zu schaffen und
zugleich die Attraktivität der Fassade Richtung Marktplatz zu
erhöhen, wurde zunächst das vorhandene Mauerwerk gründlich
gereinigt. Durch Aufbringen einer Innendämmung und die Erneurung
sämtlicher Fensterrahmen ließ sich der Bau energietechnisch auf den
aktuellen Stand bringen. Einige Fensteröffnungen wurden vergrößert
und durch zurückgesetzte, bodentiefe französische Fenster ersetzt,
die zusätzlich von einer Verglasung gekrönt sind. So werden die
Wohnungen mit reichlich Tageslicht versorgt und weite Ausblicke auf
das Stadtzentrum sind möglich. Ein durchgehendes Balkonband im
dritten Stock verleiht der zuvor starren Ordnung plastische
Tiefe.
CO2-neutrale Energieversorgung
Für die Nutzung als Wohngebäude wurde ein ausgeklügeltes Energie- und Installationskonzept entwickelt. So ersetzte man die keramischen Dachziegel auf der Südseite durch glasierte Solarschindeln in Dunkelgrau. Diese sind als Photovoltaikpaneele kaum wahrnehmbar: Damit genügt die Gebäudeansicht den ästhetischen Ansprüchen, und zugleich wird die Produktion von CO2-neutralem Strom für den Gebäudebetrieb ermöglicht.
Neben den PV-Paneelen sind auf dem flachen Teil des Daches
Solarkollektoren angebracht, mit denen das Wasser erwärmt wird. Im
Untergeschoss des Gebäudes befinden sich zudem nach wie vor
Datengeräte der Telefonserver, deren Restwärme zu Vorerwärmung des
Leitungswassers sowie zur Beheizung der Fußböden genutzt wird.
Zusätzlich kommen eine elektrische Wärmepumpe sowie ein
Niedertemperatur-Heiz- und Kühlsystem zum Einsatz. Eine effiziente
mechanische Belüftung mit Wärmerückgewinnungssystem rundet das
Energiekonzept ab. Insgesamt wird mit diesen Mitteln genug Energie
erzeugt, um den Bedarf fast aller Wohnungen sowie eines Teils des
Restaurants zu decken. -si
Bautafel
Architektur: Orange Architects, Rotterdam
Projektbeteiligte: BIK Bouw (Bauunternehmen); Exasun, Den Haag und Wattco, Maasdijk (Solaranlagen); Ingenieursbureau IOB, Hellevoetsluis; De Mik Adviesbureau, Stolwijk; S&W Consultancy, Vlissingen
Bauherr/in: privat
Standort: Binnenrotte 192, 3011 HC Rotterdam, Niederlande
Fertigstellung: 2019
Bildnachweis: Ossip van Duivenbode, Frank Hanswijk, Orange Architects
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