Unterwasserrestaurant Under in Lindesnes
Mit den Fischen essen
Die Südspitze Norwegens ist geprägt durch ein raues Klima und einen schnellen Wechsel zwischen ruhiger und stürmischer See. In einer Bucht nahe des ältesten Leuchtturms des Landes, dem Lindesnes Fyr, können Besucher dem Meer nun auf eine ungewohnte Weise näher kommen. Das vom norwegischen Architekturbüro Snøhetta entworfene Unterwasserrestaurant Under lädt dazu ein, bis in fünf Meter Tiefe hinabzusteigen und dort mit Blick auf die Nordseebewohner zu speisen.
Gallerie
Der spektakuläre Bau ragt schräg aus dem Wasser und erinnert so wahlweise an ein Periskop oder ein halb versunkenes Artefakt. Die Architekten wählten für das Restaurant die einfache Form einer um 20 Grad geneigten Betonröhre, da mit ihr die statischen Herausforderungen am besten gemeistert werden konnten. Unter der Wasseroberfläche erweitert sich die Röhre zu einem Keil, der unter dem Meeresspiegel verankert ist. In die Unterwasserwelt soll sich der Bau nahtlos einfügen. Die Außenhaut aus Beton lädt als künstliches Riff Algen, Muscheln und Meeresschnecken dazu ein, sich auf ihr anzusiedeln.
Abstieg in die Tiefe
Für Besucher ähnelt der Abstieg zum Restaurant dem Gang durch einen Tunnel. Die kompakte Form gewährleistet die Sicherheit der Besucher – da die Röhre aber als Sackgasse endet, könnte der Raum von einigen Gästen als Falle empfunden werden. Die Gestaltung des Inneren will diesem Gefühl entgegenwirken. Das obere Ende der Röhre ist auf einer Seite aufgebrochen und empfängt die Besucher mit einer Fassade aus Holz. Auch das Foyer wartet mit Holzbekleidungen und -belägen auf, die dem Raum seine Atmosphäre verleihen. Von dort führen dunkle Stahlbrüstungen mit Messing-Handläufen nach unten. Die Materialien wandeln sich mit dem Abstieg und werden nach und nach weicher und geschmeidiger. Im Zwischengeschoss, das auf dem Niveau der Meeresoberfläche angeordnet ist, sitzt die Bar. Ein schmales vertikales Fenster verläuft von hier bis zum unteren Geschoss und erlaubt den Blick auf Felsen und Wellen ebenso wie auf den Meeresgrund. Um die Verglasungen zu schützen, war es notwendig, den umgebenden Boden so zu gestalten, dass Beschädigungen – etwa durch angespülte Felsbrocken – vermieden werden.
Ganz unten befindet sich der eigentliche Restaurantbereich mit Platz für 40 Besucher. Die textilen Bekleidungen an Decke und Wand zeigen – ausgehend vom oberen Treppenabsatz bis zum unteren Gebäudeabschluss – einen Farbverlauf von rötlichen Tönen über grüne Nuancen bis ins Bläuliche. Der Höhepunkt ist das Panoramafenster mit einer Breite von elf Metern am schmalen Ende des Keils. Durch diese transparente Wand lässt sich die Unterwasserwelt besonders intensiv erleben. Eine detaillierte Lichtplanung inszeniert alle Bereiche des Restaurants und steuert – da Helligkeit die Meerestiere anlockt – auch das Blickerlebnis.
Beton: Rissvermeidung und ausreichende
Verdichtung
Die Konstruktion des Bauwerks erfolgte auf einem Ponton unweit des
heutigen Standorts. Die etwa 50 Zentimeter dicke Außenschale wurde
aus wasserundurchlässigem Beton mit der Festigkeitsklasse C45/55 vor Ort erstellt. Die
Rezeptur basiert auf einem Portlandkompositzement. Der
Flugascheanteil von circa 18 Prozent senkt die Hydratationswärme
ab, die bei derart massigen Bauteilen ungeplante Rissbildungen zur
Folge haben könnte. Zudem wurden Fließmittel
zugegeben, um einen selbstverdichtenden Beton zu erhalten.
Im oberen Bereich des Bauwerks sind die Ecken abgerundet; hier wurden vorgefertigte Holzelemente als Schalungsträger eingesetzt. Später wurden diese Elemente – mit einem Ventilationsabstand von 15 Zentimetern zur äußeren Betonschicht – für den Bau der inneren Deckenschale wiederverwendet. Die sichtbaren Betonflächen außen zeigen die Textur einer sägerauen Bretterschalung parallel zur Neigung der Röhre. Sie strukturiert die Oberfläche, die dadurch mit den Holzbekleidungen des Eingangsbereichs harmoniert. Für die Schalung der Betonflächen, die später unter der Meeresoberfläche verschwinden, wurden großteils konventionelle Schaltafeln verwendet. An den Schalungsstößen wurden Bentonitquellfugenbänder verbaut.
Nach der Fertigstellung wurde der Rohbau samt der bereits eingebauten Verglasungen zu Wasser gelassen und zum eigentlichen Standort gezogen. Um das Volumen auf den Meeresboden sinken zu lassen, nutzte man Wasser, das ins Innere gepumpt wurde. So tauchte die Struktur langsam auf den Grund ab und konnte dort in der pfahlgegründeten Bodenplatte verankert werden. Danach wurde das Wasser abgepumpt und der Innenausbau begann.
Statisch war das Projekt in vielfacher Hinsicht eine
Herausforderung. So musste das Tragwerk des Volumens für
verschiedene Phasen – die Erbauung auf dem Ponton, den Transport an
den endgültigen Standort, das Abtauchen und die endgültige, halb
versunkene Position – ausgelegt werden. Darüber hinaus mussten die
Planer Kräfte berücksichtigen, die normalerweise beim Bau von
Gebäuden kaum eine Rolle spielen – etwa Wasserdruck,
Wellenkräfte und Gezeiten. Ein spezifisches Berechnungsmodell half
dabei, all diese Lastfälle zu berücksichtigen. -chi
Bautafel
Architekten: Snøhetta, Oslo
Projektbeteiligte: Asplan Viak, Kristiansand, Projektleitung: Terje Raanes (Tragwerksplanung, Betontechnologie); BRG Entreprenør, Kristiansand (Generalunternehmer); CoreMarine, Oslo (Ingenieure für Offshore-Projekte); Submar Group (Offshore-Dienstleistungen); Reynolds Polymer Technology, Grand Junction / Colorado (Acrylglasfenster); ÅF Lighting, Stockholm (Lichtplanung)
Bauherren: Lindesnes Havhotell (Hotelbesitzer: Gaute und Stig Ubostad)
Standort: Bålyveien 50, 4521 Lindesnes, Norwegen
Fertigstellung: 2019
Bildnachweis: Inger Marie Grini / Bo Bedre Norge; Ivar Kvaal
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