Können Sie sich ein Leben ohne Trafostationen vorstellen? Wohl
kaum: In den oft unscheinbaren Häuschen wird elektrische Energie
von einem regionalen Mittelspannungsnetz für lokale
Niederspannungsnetze umgewandelt. Da Erzeugung und Verbrauch selten
am gleichen Ort stattfinden, sind die
Transformatoren – genauso wie Umspannwerke –
unverzichtbare Schnittstellen unseres strombasierten Alltags.
Landauf und landab sind somit Tausende der Stationen zu sehen. Eine
von ihnen befindet sich auf dem Gelände des Abwasserverbandes
Altenrhein (AVA) nahe des Schweizer Bodenseeufers. Der 2019 in
Betrieb genommene Neubau ist eines von fünf Projekten der
Kläranlage, an denen das Büro Lukas Imhof Architektur beteiligt
ist.
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Das Areal des AVAs mit seinen vielgestaltigen, großen und
kleinen Bauten und Anlagen befindet sich am Westufer des Alten
Rheins, nur wenige Gehminuten entfernt von seiner Mündung in den
Bodensee. Der Fluss, der hier über einige Kilometer die Grenze
zwischen der Schweiz und Österreich markiert, war einst Teil des
Rheins, wurde jedoch um 1900 abgetrennt, als der Flusslauf
begradigt wurde. Der Alte Rhein sollte fortan verunreinigtes Wasser
aus dem St. Galler Rheintal und Teilen des Appenzellerlandes in den
See abführen. An dieser kritischen Stelle wurde 1967 der Grundstein
für die Kläranlagen des Abwasserverbandes gelegt. Mittlerweile sind
15 Gemeinden mit insgesamt rund 60.000 Einwohnerinnen und
Einwohnern angeschlossen. Entlang des Alten Rheins haben sich
darüber hinaus Campingplätze, Segelclubs und Bootsfahrschulen
angesiedelt. Auf Schweizer Seite führt zudem eine Autobahn direkt
am Wasser vorbei, während Teile des österreichischen Ufers bewaldet
sind. Nur wenige Kilometer westlich liegt der Flugplatz St.
Gallen-Altenrhein.
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Element eines großen Bauprogramms
Anlass für die 2016 begonnenen Um- und Ausbauarbeiten war ein
neues Gewässerschutzgesetz. Es fordert von Kläranlagenbetreibern an
belasteten Gewässern – so auch am Alten Rhein – eine
zusätzliche Reinigungsstufe einzubauen, um Mikroverunreinigungen
aus dem Abwasser zu filtern. Mikroverunreinigungen sind zum
Beispiel Medikamentenrückstände, Hormone, Schwermetalle, Industrie-
und Haushaltschemikalien – schon in sehr geringen
Konzentrationen beeinträchtigen sie Wasserlebewesen und die
Qualität des Trinkwassers.
Neben den Anlagen zur Elimination von Mikroverunreinigungen
(EMV) ließ der Abwasserverband Altenrhein auch ein Gebäude für
Stapel-Mischbehälter, einen Infopavillon sowie die neue
Trafostation errichten – allesamt gestaltet von dem Züricher
Büro Lukas Imhof Architektur. Ersetzt wurden vier frühere
Trafostationen, die auf dem Areal verstreut lagen und überdies
einige sicherheitsbedenkliche Mängel aufwiesen: veraltete
Komponenten von verschiedenen Herstellern, unzureichende
Hochwassersicherheit und eine fehlende Ringleitung. Im Zuge der
Zusammenlegung wurden außerdem die Hoch- und
Mittelspannungsleitungen neu verlegt.
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Für Hochwasser und kommende Trafogenerationen
gewappnet
Das kleine Gebäude befindet sich am Nordwestrand des
Klärgeländes, zwischen der Stützmauer am Haupteingang und dem
angrenzenden Waldrand. Hier steht der längliche Flachbau auf einem
Sockel, der aus dem leicht abfallenden Terrain herausragt und so
die technischen Geräte vor Hochwasser schützen soll. Im Inneren
gibt es zwei Räume: einen Vorraum, in dem sich Einrichtungen für
das Schalten, die Regelung, Verteilung und Überwachung befinden,
und ein hinterer Raum, in dem die drei salbeigrün gestrichenen
Transformatoren sowie ein orangefarbener Schaltschrank
untergebracht sind.
Die Anordnung und Dimensionen der technischen Geräte gaben nicht
nur die Kubatur und Materialität des Baukörpers vor, sondern
bestimmten auch die Anordnung der Lüftungsauslässe. Sie wurden zu
einem unteren Band für den Lufteintritt und einem oberen Band für
den Luftaustritt zusammengefasst – eine Strategie, um die
Fassade klar zu gliedern und für zukünftige Veränderungen im
Inneren zu wappnen. Von außen sichtbar sind schmale, tiefe
Lamellen. Dahinter, in ihrem Schatten verschwindend, können
handelsübliche Lüftungsauslässe nach Bedarf angeordnet werden. Wird
die nächste Trafogeneration eingebaut, können die Öffnungen
angepasst werden, ohne dass sich das Gebäude äußerlich verändern
muss.
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Beton: recycelt und gerundet
Für die Um- und Neubauprojekte auf dem Gelände entwickelte das
Architekturbüro eine einheitliche Gestaltungsvorgabe für die
gesamte Anlage. Soweit wie möglich, sollen immer wieder ähnliche
Materialien und Farben eingesetzt werden: dunkel gestrichene Putze,
Sichtbeton und vertikal gegliederte Holzfassaden
in vorvergrautem Tannenholz. Zum Schutz dieser Holzfassaden werden
Vordächer aus Beton eingesetzt. Diese Vorgaben dienten dem
Entwurfsteam als Ausgangspunkt, um sich mit den vielfältigen,
spezifischen Möglichkeiten der Betonverarbeitung zu
beschäftigen.
Als Inspiration dienten dabei die Formen und Details technischer
Kleinbauten der 1920er- oder 1930er-Jahre, wie sie Hermann Herter
plante, der langjährige Stadtbaumeister von Zürich. Seinen
Vorlieben folgend wurde die Trafostation am Alten Rhein als
monolithischer Baukörper entworfen – Sockel, Wände, Boden und Dach
sind allesamt in Recyclingbeton gegossen. Dank der freien
Formbarkeit des Baustoffs konnten die Rundungen an den Ecken und
die Hohlkehle, die zum Dach vermittelt, naht- und stufenlos
umgesetzt werden. Die Schalung für die doppelt gekrümmten Stellen, an
denen die Hohlkehle um die gerundete Ecke geführt wird, stellte
eine nahe Bootswerft her.
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Geschickt gestockt
Um den Baukörper weiter zu gliedern, beließ das Architekturbüro
den Sockel, das Dach und die Rahmungen der Öffnungen
schalungsglatt, während die übrige Fassade gestockt wurde. Das
sogenannte Rollstocken oder auch Rotationsstocken ist ein
kostengünstiges Verfahren, bei dem Betonoberflächen mit einem
rotierenden Stockhammer behandelt werden. Die so erzeugte
Oberflächentextur ist umso wirkungsvoller bei der Verwendung von
Recyclingbeton: Die wiederverwendeten Zuschlagstoffe treten in
Erscheinung und verleihen der Betonfassade eine wolkige
Lebendigkeit.
Sorgfalt war gefragt, um mit dieser Technik auch die Kanten und
Einfassungen der Lüftungsöffnungen sauber und kostengünstig
auszubilden. Das Architekturbüro schlug vor, dass ein Brett in die
fertig betonierte Öffnung eingelegt wird, das dem Stockhammer als
Anschlag dient. Der Abstand zwischen Abdeckkappe und
Rotationsscheibe der Maschine sorgt also dafür, dass die Öffnung
einen nicht gestockten Rahmen erhält. Die Breite dieser Einfassung
variiert je nach verwendetem Gerät. -ml
Bautafel
Architektur: Lukas Imhof Architekur Projektbeteiligte: Daniel Naef, Nänny + Partner, St.Gallen (Ingenieur Betonbau); Peter Richard, Winkler Richard, Wängi (Gestaltung Naturgarten); IBG Engineering, St. Gallen (Elektrotechnik); Kuster + Hager, St. Gallen (Gesamtleitung) Bauherr/in: Abwasserverband Altenrhein Standort: AVA Altenrhein, Wiesenstrasse 32, CH-9423 Thal Fertigstellung: 2019 Bildnachweis: Hannes Heinzer, Zürich (Fotos); Lukas Imhof Architektur, Zürich (Pläne und Skizzen)
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