Wohn- und Atelierhaus in Hohenried
Historische Backstein- und Stampfbetonwände
Ein Palimpsest bezeichnet eine Manuskriptseite oder -rolle, von
welcher der ursprüngliche Text abgeschabt oder abgewaschen und die
danach neu beschriftet wurde. Dieses Prinzip des Überzeichnens des
Vorhandenen und gleichzeitig des Erhaltens von geschichtlichen
Spuren kennzeichnet die Entwurfshaltung von Michael Aurel Pichler
Architekten für das Haus an der Alten Straße in der kleinen
Gemeinde Hohenried südlich von Ingolstadt. Das Gebäude wurde in den
1920er-Jahren errichtet und diente dem Dorf zunächst als
Gemeindehaus. Im weiteren Verlauf seiner Geschichte übernahm es
allerdings auch verschiedene andere Funktionen. Nach der jüngsten,
respektvollen Sanierung wird es heute als Wohn- und Atelierhaus mit
einer Wohnfläche von 176 Quadratmetern genutzt.
Gallerie
Überzeichnen, Reorganisieren, Neuinterpretieren
Der klar geschnittene und prägnante Baukörper gräbt sich gen
Süden in einen Hang. Durch sein rotes Ziegel-Steildach fügt er sich
unauffällig in die dörfliche Umgebung ein, der geringe
Dachüberstand verweist jedoch auf die Entstehungszeit des Hauses
und deren architektonischen Umbrüche. Der Rieselspritzputz der
bestehenden Backstein- und Stampfbetonwände konnte instandgesetzt
und so erhalten werden. Die Architekten interpretierten allerdings
den Bezug des Hauses zum Hang neu: Die weiß gestrichenen
Putzfassaden erhielten eine farblich abgesetzte Sockelzone, sodass
das Gebäude nun optisch nicht mehr dem Hang entgegenkippt. Die
gleiche Wirkung erzielt ein neu gesetztes, großes, quadratisches
Fenster an der Ostseite. Die deutlich kleineren Fenster im
Souterrain stammen noch aus der Bauzeit und behielten ihre
zweiflügeligen Sprossen.
Ein Detail, welches das Entwurfsverständnis der Planenden
besonders deutlich werden lässt, ist das Tor an der Westseite. Es
war im Rahmen eines Umbaus in den 1970er-Jahren vergrößert worden.
Die Verantwortlichen beließen es zwar dabei, stellen aber die runde
Form des ursprünglichen kleineren Tors mit quergestellten
Lärchenholz-Latten dar. So überlagern sich in dem Bauteil mehrere
Zeitschichten; die Bauzeit, der Umbau und die heutige
Sanierung.
Ein weiteres, zentrales Motiv ist die Reorganisation des
Grundrisses. Vormals bildeten zwei Stichflure den Zugang zu den
Wohnungen im Obergeschoss. Der östliche Stichflur wurde aufgelöst
und ein historischer Schrank als eine Art „Geheimtür“ vor die neu
entstandene Wandöffnung gestellt. Immer wieder stößt man beim
Rundgang durch das Haus auf historische Elemente, wie die
Bakelit-Schalter. Auch an dem vollständig original belassenen
Dachstuhl lässt sich noch das handwerkliche Geschick seiner Erbauer
ablesen. Verbindendes Element sowohl zwischen den Zimmern als auch
zwischen Altem und Neuem sind die eingesetzten Materialien:
Gekalkte Wände und Holz finden und fanden sich in allen
Räumen.
Altes Mauerwerk für die Zukunft
Südlich wurde ein neuer Innenhof aus flechtwerkartigem Mauerwerk
aus Betonsteinen angebaut, der den Wohnbereich nach außen
vergrößert. Einige Steine sind um neunzig Grad verdreht in das
Mauerwerk gesetzt, sodass sie wie kleine Klappläden gerahmte
Durchblicke ermöglichen und den Sonnenstand mit ihrem Schattenwurf
nachzeichnen.
Der ressourcenschonende Umgang mit dem Bestand aus den 1920er-Jahren ermöglichte die Erhaltung der Originalsubstanz der Wände, ohne diese zusätzlich zu dämmen oder in einer anderen Weise zu entfremden. Es wurden lediglich Reparaturen an den notwendigen Stellen vorgenommen, mit der Absicht, den Bestand zu erhalten. Die Wände im Parterre wurden aus Stampfbeton sowie gebranntem Backstein errichtet. Die übrigen Geschosse wurden aus gebranntem Backstein realisiert, der mit drei Schichten Kalkputz versehen wurde. -sh
Bautafel
Architektur: Michael Aurel Pichler Architekten, München
Projektbeteiligte: Max Balz, Pappenheim (Steinmetz); Schmidt Innenausbau, Wemding (Tischler)
Bauherr/in: Privat
Fertigstellung: 2019
Standort: Alte Strasse 4, 86564 Hohenried
Bildnachweis: Michael Aurel Pichler Architekten, München
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