Hofhaus in Peking
Neuinterpretation des nordchinesischen Hofhauses mit unterschiedlich farbigen Ziegeln
Für den jungen deutschen Architekten Frédéric Schnee sind Reisen
und die Auseinandersetzung mit lokalen Bautypologien essentiell.
Nicht mehr ganz so überraschend ist vor diesem Hintergrund, dass
sein Erstlingswerk ein Hofhaus für eine private Bauherrschaft in
der ländlichen Region Pekings ist. Die „Siheyuan“ genannte
Typologie des Hofhauses für eine Familie hat eine lange Tradition
in der chinesischen Baukultur und überstand sogar die
Zwangskollektivierungen der Mao-Zedong-Ära in der Mitte des 20.
Jahrhunderts. Wörtlich beschreibt Siheyuan einen von vier Seiten
umschlossenen Hof. Die Gebäude entstanden dabei oftmals mit
geringen Mitteln und wurden von den Familien selbst bzw. mit
Unterstützung lokaler Handwerker errichtet.
Gallerie
Das nach Plänen von Schnee realisierte Gebäude, welches einen
Bestandsbau aus den 1950er-Jahren ergänzt, trägt den charmanten
Namen Pfirsichhaus. Diesen verdankt es den Pfirsichplantagen
in der Peripherie Pekings. Die geschätzte Frucht wird in der
Erntezeit gern als Mitbringsel verschenkt und geteilt. Den Plänen
des Architekten ging eine akribische Auseinandersetzung mit dem
Bautypus des Hofhauses im ländlichen Nordchina voraus. Er ist
das Ergebnis eines langen Prozesses der Interaktion zwischen der
gebauten Form und den sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen
Bedürfnissen und Gewohnheiten der Bevölkerung. Als solches
unterliegt er zugleich aber auch einer permanenten
Transformation.
Den Hof gemacht
In einer Vorstudie rekonstruierte Schnee grafisch die
verschiedenen Zustände und Umgestaltungen, denen das Gelände und
die Gebäude unterworfen waren. Da der Neubau an die lokalen
Bautraditionen anknüpfen und mit dem Bestand verbunden werden
sollte, war die Mitarbeit von lokalen Handwerkern von Beginn der
Planung an unabdingbar. Das zweigeschossige, u-förmige Gebäude fußt
auf einem Streifenfundament und wurde als Stahlbetonskelettbau
ausgeführt und mit Ziegeln ausgefacht. Auch die Fassaden wurden als
Sichtmauerwerk umgesetzt. Im Unterschied zum geschwungenen
Satteldach des Altbaus schließt der Neubau mit einem Flachdach
ab.
Er umschließt den Hof von drei Seiten, die vierte fasst das erhaltene Hauptgebäude. Um im Parterre des Bestands Platz für ein Ladengeschäft zu schaffen und ein weiteres Geschoss einziehen zu können, wurde der Hof angehoben und das Erdgeschoss des Altbaus abgesenkt sowie eine neue Bodenplatte für das Obergeschoss gezogen. Die Raumaufteilung und die Positionierung von Stützen und Öffnungen erfolgten unter Berücksichtigung der Prinzipien des Feng Shui. Diese spielen eine wichtige Rolle beim Bauen in China und waren für Bauherrschaft und die ausführenden Gewerke unabdingbar. Die Baumaterialien sind auch im Innenraum sichtbar: Die Betondecken blieben unverputzt, die Wände sind teils als Sichtmauerwerk ausgebildet, teils weiß verputzt.
Die farbliche Auflösung der Fläche
Die Fassade des neuen Hofhauses zeichnet sich durch das Spiel verschiedenfarbiger Mauersteine aus. Verwendet wurden vom Abbruch recycelte, blau-schwarze und rote Ziegel im Dünnformat mit den Maßen 24,00 x 11,50 x 5,20 cm. Der dunkelblaue Kunststein kam traditionell vor allem im nordöstlichen China zum Einsatz. Heute findet er allerdings immer weniger Verwendung, da rote Ziegel günstiger in der Herstellung sind. Blaue Ziegel werden bei deutlich höheren Temperaturen gebrannt. Ihre dunkle Farbe findet sich hier allerdings in den deutlich sichtbaren Sinterspuren der roten Mauersteine wieder.
Das Mauerwerk wurde im mittleren Läuferverband erstellt. Diese Regelmäßigkeit des Verbands steht im Kontrast zur farblichen Diversität der Kunststeine. Zudem sind Teile der Wandflächen durch Verkürzung einzelner Steine perforiert ausgebildet. Die farbliche Anordnung der Mauersteine ist nicht zufällig, sondern folgt einem bestimmten Muster: Dabei kommen die dunklen Ziegeln insbesondere an den Rändern zum Einsatz und lösen sich zur Mitte hin scheinbar auf, indem sie von immer mehr roten durchsetzt werden. Damit erinnert der Bau an die Casa della Memoria (baukuh, Mailand 2015), deren Fassade ebenfalls einen starken Bildcharakter hat (siehe Objekte zum Thema). -lw
Bautafel
Architekten: Frédéric Schnee, Köln
Projektbeteiligte: Frédéric Schnee (Projektleitung), Wang Ruijun (Leitung Handwerker), Feng Shu (Maurer)
Bauherrschaft: privat
Fertigstellung: 2018
Standort: Peking, China
Bildnachweis: Frédéric Schnee, Köln
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