Tiny House in Karlsruhe-Durlach
Vom Stegreifentwurf bis zur Seegrasdämmung
Die Typologie des Tiny House bezeichnet eine kompakte Wohnung in Form eines sehr kleinen Einfamilienhauses. Küche, Bad und Schlafbereich sind meist in 15 bis 45 Quadratmeter kleine Grundrisse eingepasst. Diese überschaubaren Dimensionen empfehlen die Häuschen als Bauaufgabe für die Hochschullehre. Ein solches DesignBuild Projekt führte die Professur Baukonstruktion des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) unter der Leitung von Peter Hoffmann durch. Im Stadtteil Durlach entstand ab Ende 2019 über mehrere Semester hinweg auf einem Campingplatz ein Tiny House, bei dem auf sortenreines, sparsames Bauen geachtet wurde. Dazu gehört auch eine Dämmung aus Seegras.
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Alles begann im Wintersemester 2019/2020 mit dem studentischen Wettbewerb ttt – tiny timber tourism, bei dem das Institut Entwerfen und Bautechnik des KIT und die Stadt Karlsruhe den Entwurf von Merve Şimşek und Mena Ghaly auswählten. Die beiden hatten im Anschluss die Chance, das Häuschen weiterzuplanen und zu bauen, gemeinsam mit rund 20 Studierenden, Zimmerei-Meisterschüler*innen der Friedrich-Weinbrenner Gewerbeschule Freiburg und Lehrenden der Professuren Baukonstruktion und Tragwerksplanung. Anfang Juni 2022 feierte das Team die Eröffnung des kleinen Ferienhauses auf dem Campingplatz in Karlsruhe-Durlach. Dort steht es die meiste Zeit als Herberge für Tourist*innen offen; im Sommer ist es acht Wochen für wohnungssuchende Studierende des KIT reserviert.
Auf 25 Quadratmetern Grundfläche und zwei Ebenen ist Platz für
bis zu vier Personen. Das längliche Gebäude verfügt über ein
Satteldach mit gekapptem First, an dessen Stelle sich ein Oberlicht
befindet. Der Baukörper ist fast vollständig mit Holzschindeln
verkleidet und minimal aufgeständert. Drei Stufen führen auf die
große Terrasse, die längsseitig an das Tiny House anschließt und
dessen Eingang markiert.
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Von der Außen- zur Zwischendämmung
Der Wettbewerbsentwurf sah einen Bausatz aus vorgefertigten Brettsperrholz-Elementen vor. Um Wärmebrücken zu vermeiden und die Montage zu vereinfachen, sollten die Elemente erst zusammengesetzt und dann das „rohe“ Häuschen mit zwei Schichten Holzfaserdämmung umhüllt werden. In der Überarbeitungsphase wählte das Team stattdessen eine Fachwerkbauweise. Die Dämmung befindet sich nun in den Gefachen, sodass anstelle von außen angebrachten Dämmplatten lose Seegraswolle eingesetzt werden konnte.
Damit die Bauteile demontierbar und sortenrein trennbar bleiben, verzichtete das Team größtenteils auf Klebstoffe. Die Knotenpunkte des Tragwerks sind mit Buchenholzdübeln und Vollgewindeschrauben statt mit Schlitzblechen ausgeführt, die Fassade ist eine mit Holzschindeln verkleidete, hinterlüftete Konstruktion. Darüber hinaus sollten möglichst umweltverträgliche Baustoffe zum Einsatz kommen. Als vertikale Innenwandverkleidung und Dampfsperre verbaute das Team leimfreie, mechanisch verbundene massive Holzplatten, genannt GFM (Glue Free Massiv). Das Holz für Tragwerk, Fassaden- und Dachbekleidung sowie für den Innenausbau stammt aus dem nahe gelegenen Schwarzwald.
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Dämmung aus dem Mittelmeer
Die Dämmung besteht aus Fasern der Seegraspflanze Posidonia Oceanica, die an Stränden in Tunesien und Albanien in Kugelform von Hand gesammelt und per Bahn, Schiff und LKW nach Deutschland gebracht werden. Der Aufwand an Primärenergie soll trotz des weiten Transports um bis zu 50 Prozent niedriger sein als bei herkömmlichen Dämmstoffen, einschließlich Holzfaserplatten.
Nach der Trocknung und Zerkleinerung dieser sogenannten
Neptunbälle entsteht eine Art Wolle, die in großen Säcken abgefüllt
in Karlsruhe eintraf. Noch in der Werkstatt wurden die bräunlichen
Fasern
in die Bodenplatte und Wandelemente geschüttet und anschließend
gleichmäßig verteilt und verdichtet. Die Dämmung des Daches
erfolgte direkt auf der Baustelle, wo die Studierenden die
Seegraswolle in die Hohlräume füllten und dicht verstopften. Die
Lehrenden montierten dann mit etwa 15 der Studierenden im Laufe
einer Woche die 40 cm langen Lärchenholzschindeln.
-ml
Bautafel
Architektur: Merve Şimşek und Mena Ghaly (Entwurf, Planung, Aufbau)
Projektbeteiligte KIT: Ludwig Wappner, Institut Entwerfen und Bautechnik, Professur Baukonstruktion (betreuende Professur); Peter Hoffmann (Projektleitung); Daniel Lauterkorn (Tragwerk); Merve Şimşek, Mena Ghaly, David Urich, Adrian Obermüller (Planung – Studentisches Team); Peter Hoffmann, M. Sc. Helge Hörmann, Falk Schneemann (Planung – Wissenschaftliche Mitarbeiter); Merve Şimşek, Mena Ghaly, David Urich, Adrian Obermüller, Niklas Aust, Luna Baumgärtner, Lukas Benz, Magdalena Berwanger, Elea Susan Braun, Arne Breitling, Moritz Buck, Johannes Frederik Döring, Desiree Droll, Florian Eckert, Dominic Faltien, Jonathan Heid, Julia Henschel, Michael Hosch, Silvia Maria Kaiser, Livia Kirchner, Katharina Knoop, Michelle Laux, Lukas Moratzky, Saskia Nehr, Hieu Pham, Jonathan Rath, Jonathan Richter, Christina Specht, Niklas Walz, Vincent Witt, Carolin Wochner (Aufbau – Studentisches Team)
Projektbeteiligte Friedrich-Weinbrenner Gewerbeschule Freiburg: Matthias Krieg (Architekt und Lehrer FWG); Philipp Kaiser, Martin Buttenmüller, Georg Göppert, Tim Gremmelsbacher, Severin Hurst, Julian Schöner, Adrian Schneider, Jannik Schneider, Kay Schneider, Jonas Schultis (Meisterschüler*innen)
Weitere Projektbeteiligte: bauwerk Schwarzwald (Hersteller Holz); Neptuhterm (Hersteller Dämmstoff)
Bauherr*in:
Standort: Tiengener Straße 40, 76227 Karlsruhe
Fertigstellung: 2022
Bildnachweis: Christoph Engel, Peter Hoffmann (Fotos); Reallabor Tiny House KIT Professur Baukonstruktion (Pläne)
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