Treffen Eigentümer, Investor und Denkmalamt aufeinander, ist
dies selten eine spannungsfreie Konstellation und meist
Ausgangspunkt für einen langwierigen Realisierungsprozess. Nicht
anders bei den Kant-Garagen in Berlin-Charlottenburg, 2022 saniert
nach Plänen des Architekturbüros Nalbach + Nalbach. Das
denkmalgeschützte Bauwerk ist die letzte Hochgarage aus der
Zwischenkriegszeit, die älteste erhaltene Hochgarage Europas mit
doppelgängiger Wendelrampe und die weltweit einzige mit
vorgehängter Glasfassade.
Gallerie
Geschichte der Kant-Garagen
Mit der fortschreitenden Motorisierung in Europa stieg der
Bedarf an Stellplätzen rapide an. Hochgaragen waren seit den
1920er-Jahren eine bauliche Konsequenz. Obgleich es den Trend zum
„Selbstfahrer” gab, waren zunächst Chauffeure die Regel. Womit die
damaligen Hochgaragen nicht nur „Abstelleinrichtung” waren, sondern
Service-Center mit Waschanlagen, Tankstelle, Werkstatt und
Unterkünften. So auch die Berliner Kant-Garagen mit knapp 300
Stellplätzen, für deren Werkstatt Auto-Wax (betrieben vom
Unternehmer und Sportwagenhersteller Hans Hubert „Hanne“ Wax) der
bekannte deutsche Designer Luigi Colani Fahrzeuge entwarf.
1930 mit einer Länge von knapp 60 Metern und zunächst vier
Obergeschossen errichtet, wurde das stützenfeie fünfte Obergeschoss
1935 ergänzt. Die Kant-Garagen (damals „Kantgaragen-Palast“)
sorgten von Beginn an für Aufsehen – 1932 wurden im Rahmen der
Internationalen Bauausstellung sogar Führungen angeboten.
Seit 1961 im Besitz des Immobilienunternehmers Karl Heinz Pepper
und weiter als Tankstellen- und Garagenbetrieb geführt, wurde die
Kant-Garage 1991/92 unter Denkmalschutz gestellt. Die Schädigungen
durch den Zweiten Weltkrieg waren geringfügig, jedoch hatten sich
über die Jahrzehnte gravierende Bauschäden ergeben, weshalb Karl
Heinz Pepper in den Jahren 1991 und 2013 den Abriss
beantragte.Mehrere Gutachten (u.a. der Denkmalschutzbehörde)
stellten zwar erhebliche Mängel, aber keine schwerwiegenden oder
gar unbehebbaren Schäden an der Bausubstanz fest. Über den Antrag
von 2013 wurde letztlich nicht mehr entschieden, da Ende 2016 der
Verkauf an den Immobilieninvestor Dirk Gädeke erfolgte.
Gallerie
Historische Bedeutung
Mit der innerstädtischen Lage in Berlin – als Teil der
gründerzeitlichen Blockrandstruktur – ist der ehemalige
Kantgaragen-Palast ein Baudenkmal von nationaler und
internationaler Bedeutung, ein Zeugnis des aufblühenden
Automobilismus. Gestalterisch wie konstruktiv setzt er sich von
anderen Hochgaragen dieser Zeit ab. Weltweit einmalig für den
Gebäudetypus ist die gläserne Vorhangfassade an der Rückseite des
Betonskelettbaus. Im Zusammenspiel mit dem verglasten Mittelerker
an der Vorderseite zur Kantstraße ist das Gebäude mit ausreichend
Tageslicht versorgt. Zudem handelt es sich um die älteste erhaltene
Hochgarage Europas mit doppelgängiger Wendelrampe: Die Autos
begegneten sich beim Hinauf- und Hinunterfahren nicht, da die
Fahrbahnen übereinander liegen. Üblich war eine Ausführung der
Stellplätze als einzeln verschließbare Metall-Parkboxen,
sogenannten Heinrichs-Boxen. Erst im Laufe der Zeit wurden diese
durch offene Stellplätze abgelöst.
Gallerie
Umnutzung
Der neue Eigentümer wollte das Bauwerk erhalten, wenn auch nicht
als Großgarage: 2017 endete der Betrieb als Tankstelle, Werkstatt
und Garage nach knapp neunzigjähriger Nutzung. Geplant war eine
Umgestaltung in Großraum-Büroetagen, die autonom nutzbar sind. Die
Hochgarage sollte zudem um eine Penthouse-Wohnung für den neuen
Eigentümer aufgestockt werden. Zwischenzeitlich ist sie jedoch
vollständig vom Design-, Einrichtungs- und Möbelunternehmen
stilwerk KantGaragen angemietet. Im Erdgeschoss ist eine
öffentliche gastronomische Nutzung im Sinne einer Markthalle
vorgesehen. Die Stellplatzetagen dienen nun wechselnden
Ausstellungen, die Rampenanlage auch ohne Autos als zentrale
Erschließung und „Art Walk“.
Gallerie
Umbau und Sanierung
Die Aufarbeitung der Kant-Garagen erforderte umfangreiche
Maßnahmen in enger Abstimmung mit der Denkmalschutzbehörde. Die
Originalfassade an der Kantstraße wurde komplett ausgebaut,
werkseitig restauriert und wieder mit transluzentem historischen
Drahtglas versehen. Die Filigranität der Profile der
Einfachverglasung ließ sich erhalten. Eine zweite gläserne Fassade
auf der Innenseite übernimmt die technischen Anforderungen der
neuen Nutzung. Die historische Vorhangfassade an der Südseite war
marode, wurde rückgebaut und erneuert. Die neue Fassade wurde bei
gleicher Profilbreite thermisch getrennt als Mehrfachverglasung
ausgeführt. Umfangreiche Farbanalysen des Restaurators ermöglichten
eine Rekonstruktion der Originalfarbe von 1930.
Der Gesamteindruck sowohl auf den Rampen wie auch den Parkdecks
sollte möglichst authentisch bleiben. Die Ziegelausfachungen des
Stahlbetonskeletts wurden gereinigt, weiß getüncht und sichtbar
belassen. Historische Beschriftungen ließen sich so erhalten. Der
originale Betonboden wurde lediglich gereinigt. Neue Einbauten,
beispielsweise für Sanitäranlagen, heben sich durch glatte
Putzoberflächen von den rauen Sichtziegelflächen ab. Von den
ehemals 132 denkmalgeschützten Heinrichs-Boxen blieben lediglich 36
– jeweils neun pro Etage. Analog zu den Brandschutztoren entrostet
und dezent aufgearbeitet, behielten sie die Original-Patina und
prägen die Parketagen weiterhin.
Gallerie
Brandschutzaspekte
Der Brandschutz war eine anspruchsvolle Aufgabe, denn aufgrund
der Nutzungsänderung erfolgt die Bewertung nach aktuellem Baurecht.
Dies gelang nur in enger Zusammenarbeit aller Beteiligten und
forderte Kompromisse auf allen Seiten. Die umfangreiche Sanierung
eines solchen historischen Bauwerks mit anschließender neuer
Nutzung gelingt in seltenen Fällen ohne Abweichung von
baurechtlichen Forderungen und ohne Kompensationsmaßnahmen.
Feuerschotts
Schon zum Zeitpunkt der Errichtung der Garagen sahen die
Vorschriften eine Unterteilung des Gebäudes in Brandabschnitte vor.
Massive Metall-Falttore, auf Schienen geführt, sollten damals im
Brandfall geschlossen werden und eine Ausbreitung von Feuer über
die einzelnen Parketagen verhindern. Sie konnten den Brandschutz
nach heutigen Anforderungen nicht mehr gewährleisten, weshalb neue
Feuerschutzvorhänge sowie festinstallierte Brandschutzfenster mit
Türdurchgang eingebaut werden mussten. Die alten, markanten
Brandschutztore blieben erhalten – dezent aufgearbeitet, ohne die
Patina der Jahrzehnte einzubüßen. Zwar ohne deren ursprüngliche
Funktion, aber als raumprägendes Gestaltungselement. Auch die Räume
im Zentrum der Wendelrampen mussten ertüchtigt werden: Sie
erhielten aus Brandschutzgründen deutlich massivere Fenster
anstelle der originalen, filigranen Einfachverglasung.
Gallerie
Stahlbeton-Ertüchtigung
Die aufwändigste Maßnahme des konstruktiven Brandschutzes war
die Ertüchtigung der Stahlbetonbauteile. Die 1930 zur
Fertigstellung der Hochgarage gültige Norm 1925 sah hinsichtlich
der Betondeckung eine Mindestüberdeckung von 10 mm im Innenbereich
und 15-20 mm im Außenbereich vor. Unter heutigen Gesichtspunkten
beträgt eine F90 entsprechende Überdeckung gemäß DIN EN
1992-1-2: Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton-
und Spannbetontragwerken – Teil 1-2: Allgemeine Regeln -
Tragwerksbemessung für den Brandfall im Durchschnitt 2-3 cm.
Eine Ertüchtigung der nur 11 cm dicken Stahlbetondecke gestaltete
sich als extrem schwierig und aufwendig, weshalb als Kompensationsmaßnahme eine Sprinkleranlage mit Aufschaltung auf die Brandmeldeanlage installiert wurde. Stützen sowie
Unterzüge und die Gelenkrahmenträger mit Anforderungen an den
Brandschutz wurden zusätzlich mit Spritzbeton ummantelt, um die
notwendigen Überdeckungen bzw. Anforderungen zu erfüllen.
Bautafel
Sanierung und Umbau: Nalbach + Nalbach Gesellschaft von Architekten, Berlin Projektbeteiligte: IFB, Berlin (Tragwerksplanung); HHP, Berlin (Brandschutz); RWP Beratende Ingenieure für Bauphysik, Berlin (Bauphysik); Akustikbüro Krämer + Stegmaier, Berlin (Schallschutz); Hacon Interplan, Berlin (Haustechnik); Bauherr/in: Dirk Gädeke, Berlin Fertigstellung: 2022 Standort: Kantstraße 126-128, 10625 Berlin Bildnachweis: diephotodesigner.de | ken schluchtmann, Berlin; stilwerk Hamburg