Grüner Bunker St. Pauli
Dachgarten für den Hamburger Flakturm
Läuft man von der U-Bahn-Station St. Pauli über das Heiligengeistfeld Richtung Feldstraße, erstreckt sich am Ende der leergefegten Betonlandschaft ein monolithischer Koloss gen Himmel. Besonders an nebligen Tagen, von denen die Hansestadt überdurchschnittlich viele zu bieten hat, wirkt das Szenario beinahe bedrohlich. Der ehemals 38 Meter hohe Flakturm IV ist heute durch eine pyramidenartige Aufstockung um weitere 20 Meter gewachsen. Hamburgs brachialstes Bauwerk erhielt ein grünes Gewand – was den 70 × 70 Meter großen Hochbunker deutlich freundlicher macht, aber nicht von seinem geschichtlichen Erbe ablenken sollte.
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Umnutzung eines Bunkers
Als einer von über 1.000 Hochbunkern wurde das Gebäude 1943 nach Plänen von Friedrich Tamms von Zwangsarbeiter*innen errichtet. Es diente zunächst der Flugabwehr und später als Schutzraum für etwa 25.000 Menschen. Mit seinen 3,80 Meter dicken Wänden und den vier Ecktürmen sollte der Bunker den Eindruck einer mittelalterliche Trutzburg vermitteln. Nach dem Zweiten Weltkrieg zogen unter anderem der Axel-Springer-Verlag und der damalige Nordwestdeutsche Rundfunk ein, der in den 1950er-Jahren von hier aus die erste Tagesschau sendete. Ab 1990 erfolgte der Umbau in ein Medienzentrum mit Musikclub, Studios, Kammerkonzertsaal und einem Musikinstrumentenhändler.
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Leuchtturmprojekt Stadtgarten
Seit 2019 wurde der Bunker um fünf neue, abgetreppte Geschosse aufgestockt. Sie bieten Platz für ein Hotel, eine Veranstaltungshalle für Sport- und Kulturevents sowie eine Gedenkstätte für die Opfer des NS-Regimes. In bis zu 58 Meter Höhe sind mehr als 10.000 Quadratmeter Grün-, Fassaden- und Gemeinschaftsflächen sowie ein 560 langer, üppig bepflanzter „Bergpfad“ entstanden, der sich entlang der Fassade vom Boden bis zum Dach des Bunkers windet.
Höhepunkt der in einem sanften Mintton gestalteten Aufstockung ist der öffentlich zugängliche Dachgarten mit Blick über Hamburg bis zur Elbphilharmonie. Das Planungsbüro Landschaftsarchitektur+ Holzapfel-Herziger & Benesch betreute die Planung und Umsetzung der immergrünen Parkanlage von der Machbarkeitsstudie bis zur baulichen Realisierung. Rund 4.700 Flachwurzler aus der Baumschule Lorenz von Ehren wurden per Kran in den Stadtdachgarten transportiert und werden sich bei gutem Gedeihne zu einer wildwachsenden, üppigen Naturlandschaft entwickeln.
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Von Bodendeckern bis Kletterpflanzen
Eine sorgfältige Auswahl an Bäumen, Sträuchern, Hecken, Büschen, Kletterpflanzen und Bodendeckern – vornehmlich aus dem nordeuropäischen und alpinen Raum – halten den teils extremen Wetterbedingungen mit Frost, Hitze und Sturm in mehr als 50 Metern Höhe stand. Zu den Pflanzen zählen unter anderem Obstbäume, Strauch-Waldkiefern, Felsenbirnen, Zoeschner Ahorn, Lorbeer-Kirsche, Stechpalme, Feldahorn, Efeu und Rosenstöcke. Die größeren Gehölze sind durch eine zusätzliche unterirdische Verankerung gegen Windsog gesichert. Ein temperaturgesteuertes Be- und Entwässerungskonzept reduziert die Regenwassermengen, die normalerweise dem öffentlichen Siel zufließen würden, um gut 75 Prozent.
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Smartes Wassermanagement
Zahlreiche Produkte und Systemlösungen von Optigrün tragen wesentlich zu dem landschaftsarchitektonischen Pionierprojekt bei. Die smarte Steuerung des Retentionsdachs sorgt für minimale Abflussmengen und maximalem Regenwasserrückhalt bei gleichzeitig hohem Überflutungsschutz bei Starkregenereignissen. Zusammen mit den verschiedenen Hoch- und Tiefbaukomponenten macht sie den grünen Bunker zu einem Vorbild im Umgang mit Niederschlägen in urbanen Räumen. Denn der geringe Abfluss von Regenwasser entlastet die städtische Kanalisation und reduziert den Trinkwasserverbrauch für die Bewässerung der Vegetation auf ein Minimum. Darüber hinaus verdunstet das zurückgehaltene Regenwasser bei hohen Temperaturen. In der Folge bleibt der natürliche Wasserkreislauf erhalten, die Umgebungstemperatur sinkt und die Aufenthaltsqualität für die Besucher*innern an heißen Tagen steigt.
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Funktionsweise und Systematik
Unterhalb der Substratschicht wird das anfallende Regenwasser
zunächst in Wasser-Retentionsboxen zurückgehalten. Zwei
Teilflächen des Bunkers sind mit den Ablaufdrosseln Smart Flow
Control von Optigrün ausgestattet. Im Grundzustand ist die
Ablaufdrossel geschlossen, sodass kein Niederschlag abfließt.
Stattdessen wird das Regenwasser angestaut, gespeichert und kann
über die Substratschicht und die Vegetation wieder verdunsten. Der
Wasserstand wird konstant überwacht. Ein Abfluss erfolgt nur, wenn
für den Rückhalt eines zu erwartenden Regenereignisses mehr
Speichervolumen benötigt wird, als aktuell im Retentionsraum zur
Verfügung steht. Ein gezielter Abfluss in eine Zisterne oder in die
Kanalisation schafft im Voraus genau das Speichervolumen, das
notwendig ist, um das bevorstehende Regenereignis vollständig
aufzufangen. Durch die Ablaufdrossel findet die Abgabe von Wasser
im Vorfeld des Niederschlagsereignisses statt, wenn das Kanalsystem
noch unbelastet ist. Bei Regeneintritt ist die Drossel wieder
geschlossen und der gesamte Niederschlag kann in der Regel in den
Wasser-Retentionsboxen gespeichert werden. Das System ermöglicht
es, dass während und nach dem Regenereignis kein Abfluss in die
Kanalisation fließt. -pe
Bautafel
Architektur: Inter+-Pol Studios, Hamburg (LPH 1–4); Buero 51 Architekten, Hamburg (LPH 3); Phase10 Architekten, Freiberg (LPH 5–8)
Projektbeteiligte: Schlaich Bergmann Partner, Stuttgart (Tragwerksplanung LPH 1–3); WTM Engineers, Hamburg (LPH 1–2); Wetzel & von Seht, Hamburg (ab LPH 3); Landschaftsarchitektur+ Holzapfel-Herziger & Benesch, Hamburg (Begrünungskonzept, Planung und bauliche Realisierung, LPH 2–8); Lorenz von Ehren, Hamburg (Baumschule); Optigrün international (Regenwassermanagement, Ablaufdrossel Smart Flow Control und Planungsunterstützung); HHP West (Brandschutz); BT Planung, Hamburg (TGA, LPH 1–4); IPP, Kiel (TGA, LPH 3–8); Argus, Hamburg (Verkehrsplanung); Lärmkontor, Hamburg (Lärmgutachten); OSJ Ingenieure, Hamburg (Akustik, LPH 1–4); Grafische Werkstätten, Hamburg (Konzept Erinnerungsort); George Bähr, Dresden (Bau); Hilldegarden e.V., Hamburg (Beteiligung und öffentliche Nutzung)
Bauherr*in: Matzen Immobilien Gesellschaft
Fertigstellung: 2024
Standort: Feldstraße 66, 20359 Hamburg
Bildnachweis: Jakob Börner, Marcus Bredt und Optigrün international
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