Sie sollen Vorreiter einer neuartigen, gesundheitlichen
Basisversorgung sein: Im thüringischen Unstrut-Hainich-Kreis
entstehen vier sogenannte Gesundheitskioske. Entworfen
hat die Kleinbauten das Berliner Büro Pasel-K Architects. Das
Projekt nimmt bereits vorweg, was Bundesgesundheitsminister Karl
Lauterbach im August 2022 als Vorhaben seines Ministeriums
angekündigt hatte: In der Deutschland sollen 1.000
Gesundheitskioske eingerichtet werden, um die Gesundheitsversorgung
flächendeckend zu verbessern.
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Telemedizin statt Gemeindeschwestern
Wie viele ländliche Gebiete in Deutschland ist auch die
Dorfregion Seltenrain von den Folgen der einschneidenden
politischen, wirtschaftlichen und demographischen Veränderungen der
1990er- und 2000er-Jahre geprägt. Der Alltag der Menschen hat sich
enorm verändert, insbesondere in den Neuen Bundesländern. Viele der
früheren Versorgungseinrichtungen wurden geschlossen, der
öffentliche Nahverkehr ausgedünnt. Stetig verschlechtert sich der
Zugang zu Gesundheits- und Pflegediensten. Hinzu kommen weite Wege
zu Arztpraxen und ein Mangel an alternativen Ansprechpartner*innen.
Dabei wäre das Gegenteil nötig, schließlich steigt das
Durchschnittsalter der in den Dörfern verbliebenen Bevölkerung.
In den Gesundheitskiosken soll sich die Bevölkerung vor Ort zu
gesundheitlichen und sozialen Belangen beraten lassen können. Dank
der Nutzung von Telemedizin für Untersuchungen entfallen Fahrten in
die nächstgelegenen Städte. Diagnostik, Konsultation und
medizinische Notfalldienste sind stattdessen per Videogespräch
möglich. Drei erfahrene Krankenpfleger*innen, die für den Verein
Landengel tätig sind, stehen den Menschen zu festen Sprechstunden
zur Seite. Diese werden, wie schon die Pfleger*innen in den
ländlichen Gebieten der DDR, Gemeindeschwestern genannt.
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Angestoßen wurde das Projekt von der in Kirchheilingen
ansässigen, gemeindeübergreifenden Stiftung Landleben und dem
angeschlossenen Verein Landengel. Bereits seit 2011 beschäftigen
diese sich mit dem Aufbau eines Gesundheits-, Pflege- und
Versorgungsnetzwerks für die Dorfregion Seltenrain. Sie umfasst die
nördwestlich von Erfurt gelegenen Ortschaften Urleben,
Kirchheilingen, Sundhausen, Blankenburg, Tottleben und Bruchstedt.
Im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) Thüringen 2022
wurden die ersten zwei Gesundheitskioske realisiert.
Ermöglicht wurde der Bau der vier ersten Gesundheitskioske durch
die Unterstützung des Freistaates Thüringen und aus Mitteln zur
Förderung von Einrichtungen für lokale Basisdienstleistungen.
Träger der Gesundheitskioske ist die im Oktober 2022 neu gegründete
Gesellschaft Gesundes Landleben, die von der Stiftung Landleben
gemeinsam mit der Hamburger OptiMedis AG ins Leben gerufen wurde.
Das Sozialunternehmen hat bereits umfangreiche Erfahrungen mit
diesem speziellen Gesundheitskonzept in Hamburg Billstedt/Horn
gemacht. Über das Vorsorgeprogramm AGATHE wird die
Betreuung in den Gesundheitskiosken organisiert.
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Treffpunkt Bushaltestelle
Um die neue soziale Infrastruktur räumlich sichtbar zu machen,
wurden zentrale Orte gesucht, die allen Dorfbewohner*innen vertraut
sind. Letztlich wurden die Bushaltestellen der Gemeinden
Blankenburg, Bruchstedt, Urleben und Kirchheilingen
gewählt.
Dabei entschied man sich für eine möglichst dauerhafte Anmutung
der Gebäude. Diese ruhen auf soliden Fundamenten und
terrassenartigen Sockelplatten und lassen so jedwede Reminiszenzen
an temporäre Containerbauten vermissen. Zudem wurden die Bauten um
ein so genanntes „Tablett“ erweitert. Dabei handelt es sich um
einen gestalteten Außenraum als „Schnittstelle zwischen dem
Programm der Daseinsfürsorge im Innern der Gesundheitskioske und
dem Leben der Dorfgemeinschaft“, so steht es im Design-Manual, dem
Gestaltungshandbuch für die Gesundheitskioske.
Dem Gestaltungshandbuch entsprechend ist auch die Raumstruktur
aller Kioske identisch. Sie verfügen jeweils über einen
Beratungsraum mit maximal 25 Quadratmetern, der durch Vorhänge
geteilt werden kann. Hinzu kommen eine Toilette und ein
zuschaltbarer Wartebereich für den Bus. Alle Kioske verfügen über
Internet und einen Bildschirm für Fahrpläne und
Dorfnachrichten.
Vom Gespräch zum Kiosk
Entwickelt wurden die Ideen für die Angebote und Ausstattung in
Dorfgesprächen, die unter der Leitung der IBA Thüringen stattfanden
und an denen die Bewohner*innen der gesamten Region partizipieren
konnten. Auf Basis dieser Gespräche erarbeiteten Pasel-K
Architects 2019 das Gestaltungshandbuch, im Auftrag der IBA
Thüringen sowie der Stiftung Landleben/Landengel. Anschließend
wurde das Büro mit den Entwurfs- und Planungsleistungen
betraut.
„Jeder Kiosk ist in seiner Form und Fassade spezifisch an
seinen Ort angepasst, hat aber als prototypischer Holzbau eine hohe
Serialität in der Konstruktion und Materialität. Einer Familie
ähnlich sind die einzelnen Charaktere unterschiedlich ausgeprägt,
der Genpool jedoch ist derselbe. So ergibt sich trotz individueller
Gestaltung ein großes Ganzes“, fasst Ralf Pasel von
PASEL-K Architects das architektonische Konzept zusammen.
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Eine Architektonische Familie
Bei allen Kiosken handelt es sich um einfache Holzständerbauten,
denen Lattenraster aus unbehandeltem Holz unterschiedlichen
geometrischen Varianten vorgeblendet wurden. Dem lag der Gedanke
des „einfachen Bauens“ zugrunde, der nicht nur dem eng gesteckten
Kostenrahmen entspringt, sondern auch die Möglichkeit gewähren
soll, spätere Kioske eventuell auch in Selbstbau- und
Beteiligungsprozessen zu realisieren. An Entwicklung und Umsetzung
beteiligt waren unterschiedliche lokale Akteur*innen, unter anderem
Handwerksbetriebe aus der Region. Stadttechnische Anschlüsse
orientieren sich an den Gegebenheiten des jeweiligen Dorfes.
Alle Holzbauten sind unbehandelt und mit Holzwolle oder
Einblaszellulose gedämmt. Sie werden für ihre stundenweise Nutzung
über Infrarotheizungen geheizt, Solarstrom kommt direkt vom Dach.
Gesponsert von einem Energieversorger sind die Kleinbauten außerdem
mit einer Ladesäule für Elektroräder und -autos ausgestattet.
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Schützende Kubatur
Der erste Gesundheitskiosk, der im Oktober 2022 in Betrieb
genommen wurde, ist der in Urleben. Seine schlichte Kubatur wird
von einer Verkleidung aus Holzlatten belebt, die senkrecht und
diagonal verlaufend übereinander liegen. Ein Dachüberstand über
einer Sitzbank sorgt hier für Sonnen- und Regenschutz.
Der zweite fertiggestellte Gesundheitskiosk befindet sich in
Kirchheilingen. Seine Außenhaut ist komplett mit vertikalen
Holzlatten verkleidet. Diese ragen über das Flachdach hinaus und
ahmen die Kontur eines asymmetrischen Satteldaches nach. Über die
gesamte Breite der Eingangsfront hinweg kragt ein Überstand aus. Er
schützt sowohl vor Regen als auch vor zu starker Sonneneinstrahlung, während man auf einer in die
Außenwand integrierten Bank auf den Bus wartet oder einen Schwatz
mit Bekannten hält. Die beiden weiteren Kioske sind aktuell noch im
Bau. Ihre Fertigstellung ist für Mai und Juni 2023 geplant.
Bautafel
Architektur: PASEL-K Architects, Berlin Projektbeteiligte: IBA Thüringen; Planergruppe Bad Langensalza (Tragwerksplanung) Bauherrschaft: Landengel Standorte: Urleben und Kirchheilingen (ab 2023 auch Blankenburg und Bruchstedt), Dorfregion Seltenrain Fertigstellung: 2022 Bildnachweis: Thomas Müller, PASEL-K Architects (Fotos und Pläne)
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Materialien
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