Wohnungsgesellschaft setzt auf Kreislaufwirtschaft
Von der Stoffstromanalyse zum Materialpass
Glas, Papier und Kunststoff wiederzuverwerten, ist in deutschen Haushalten seit Jahrzehnten etabliert. Ganz anders sieht es in der Baubranche aus: Wird ein Gebäude abgerissen, landen die einzelnen Bestandteile größtenteils auf der Deponie oder werden als minderwertiges Füllmaterial im Straßenbau verwendet. Die GWG Städtische Wohnungsgesellschaft München will das anders machen. Für ihr Entwicklungsgebiet im Münchner Stadtteil Ramersdorf hat die GWG das Umweltberatungsinstitut EPEA konsultiert, ein Tochterunternehmen der Bauberatung Drees & Sommer. Die Kreislaufspezialist*innen katalogisieren sämtliche Materialien und Baustoffe, prüfen deren Wiederverwertbarkeit und wirken damit dem Rohstoffmangel sowie den steigenden Energie- und Baupreisen entgegen.
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Nach sorgfältiger Prüfung entschied sich die GWG gegen eine Sanierung des Bestands. Die Wohnungsgesellschaft möchte mehr Wohnfläche schaffen und in den nächsten Jahren insgesamt 900 Wohnungen bauen. Dafür sollen die alten Häuser zeitgenössischen, energetisch optimierten Gebäuden weichen. Um dennoch möglichst viele Rohstoffe aus dem Bestand wiederzuverwenden, setzt die GWG auf eine umfassende Stoffstromanalyse. Dabei wird der Weg eines Materials von der Gewinnung über die Verarbeitung bis hin zur Wiederverwertung oder Entsorgung begutachtet. Mithilfe der Stoffstromanalyse kann abgeschätzt werden, welche Bauteile in den Neubauvorhaben der GWG wieder einsetzbar sind, welche Materialien sich für Baustoffbörsen eignen oder ob eine Rücknahme der Hersteller sinnvoll ist.
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Entwickelt wurde die Stoffstromanalyse von Andrea Heil und Matthias Heinrich, die bei EPEA für kreislauffähiges Bauen und Urban Mining zuständig sind. Im Rahmen der Analyse hat das Team Türrahmen, Fensterglas, Metall, Holz und alte Müllhäuschen katalogisiert und Möglichkeiten zur Weiterverwendung aufgezeigt. Nach den ersten Erkenntnissen der Stoffstromanalyse lassen sich beinahe alle Baustoffe wiederverwenden oder höherwertig recyceln, solange sie schadstofffrei sind. So kann die GWG beispielsweise alle Fenster, die den aktuellen energetischen Anforderungen entsprechen, im Neubauprojekt erneut einsetzen. Fenster, die den Anforderungen nicht entsprechen, erhalten als Trennwände im Innenbereich ein zweites Leben oder finden bei Gewächshäusern Anwendung; auch ausgefallenere Nutzungen sind denkbar. Neben Fenstern sind auch Türen, Dachziegel oder Treppengeländer meist viel zu schade für den Bauschuttcontainer und besser auf Baustoffbörsen aufgehoben, wo sie schnell und unkompliziert neue Besitzer*innen finden können.
Das Recycling von Baumaterial reduziert nicht nur den CO₂-Ausstoß und Ressourceneinsatz, sondern spart auch Kosten, denn die Bauschuttentsorgung ist teuer. Die Abgaben für fünf Kubikmeter gemischten Bauschutts belaufen sich auf bis zu 400 Euro. Ein Weiterverkauf dagegen bringt Geld ein. Im Durchschnitt erzielen Dachziegel 50 Cent pro Stück, ein Kilogramm Stahlschrott ist etwa 20 bis 30 Cent wert. Hochgerechnet auf die Rohstoffsubstanz der gesamten Bundesrepublik summiert sich die in Gebäuden, Tiefbau und Straßen verbaute Rohstoffmenge auf stolze 29 Milliarden Tonnen – ein wertvolles Materialvorkommen für die Zukunft, das außerdem unabhängig von Importen aus Drittstaaten macht. Zudem können die Materialien als fertige Produkte sofort eingesetzt werden, ohne dass es notwendiger Weiterverarbeitungsschritte bedarf. Aber ganz so einfach gibt die urbane Mine ihre Rohstoffschätze nicht frei.
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Gerade bei älteren Gebäuden ist es oft mühsam, alle relevanten Daten zusammenzusuchen, was meist nur mithilfe einer Begutachtung vor Ort möglich ist. „Es gibt Fälle, in denen muss auch stichprobenartig ein Loch in die Wand gebohrt werden, um zu prüfen, was wirklich dahinter ist“, so Heinrich. In Zukunft soll ein digitaler Ressourcenpass als eine Art Klimaführerschein für Gebäude Abhilfe schaffen. Dieser enthält eine genaue Dokumentation der eingesetzten Produkte und Materialien und verzeichnet die Größe des ökologischen Fußabdrucks sowie den finanziellen Wert. Die Kreislaufspezialist*innen von EPEA erstellen bereits seit mehreren Jahren solche Ausweise für Neubauten, wie beispielsweise das Bürogebäude The Cradle in Düsseldorf, das ausgewiesen wiederverwertbar ist. Auch für die GWG wird es einen Praxis-Leitfaden geben, der neben dem Urban Mining auch kreislauffähige Konzepte für den Neubau beinhaltet. Die Wohnungsgesellschaft hat dabei den Anspruch, dass der Gebäuderessourcenpass mehr als eine Formalie gegenüber Behörden und Banken ist, sondern vielmehr einer lebenszyklusorientierten, ressourcenschonenden Bewirtschaftung dient.
Noch ist ein solcher Materialpass nicht verpflichtend, aber die
geplante Regulierung wird die Branche irgendwann zur
Kreislauffähigkeit zwingen. „Besser früher als später“, findet
Heinrich, denn mit dem Rohstoffverbrauch sowie dem CO₂-Ausstoß
liegt Deutschland weltweit im obersten Viertel aller Länder.
Allein hierzulande sind bereits am 4. Mai 2023 so viele Ressourcen
verbraucht worden, wie die Erde im gesamten Jahr regenerieren kann.
„Die Kosten für diesen Kredit auf die Zukunft müssen die
folgenden Generationen bezahlen, umso mehr, je länger gezögert
wird, klimafreundliche Entscheidungen zu treffen“, so Heinrich.
Ressourcen sparen, CO₂-Ausstoß senken, klimaneutral werden – das
seien die wichtigsten Aufgaben der Branche für die
Zukunft.
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