Umbau Pumpenhäuschen im Rätikon

Gebäudehülle aus Reet im hochalpinen Raum

Dächer aus Reet kennen wir aus tiefer gelegenen Gebieten wie den Niederlanden oder Nordfriesland. Aber warum nicht einmal Reet im hochalpinen Bereich verwenden? Das haben sich Forschende des Instituts für Baustofflehre, Bauphysik, Gebäudetechnologie und Entwerfen (IBBTE) der Universität Stuttgart gefragt. Gemeinsam mit dem Bundesverband des Deutschen Alpenverein (DAV) haben sie seit 2015 Ökobilanzen von Berghütten analysiert. In Zusammenarbeit mit den Studierenden wurde nach möglichen Materialien für eine weitgehend geschlossene Umhüllung eines alten Pumpenhauses im Rätikon in den österreichischen Alpen gesucht. Reet, als nachwachsende Ressource mit geringem Transportgewicht schien ideal für eine Fassadenbekleidung, die auch heutige Klimaziele erreichen sollte. Nach zwei Jahren Vorbereitung und Forschung im Zuge des SkinOver Projektes, konnte im Sommer 2019 die Reethülle auf 2.600 Metern Höhe erstellt werden. Ab 2020 – nach dem ersten Winter – können vor Ort Untersuchungen und Aufnahmen stattfinden, die die Eignung und Alterung des Materials im hochalpinen Bereich dokumentieren.

Gallerie

Nebengebäude in neuem Kleid

Das Pumpenhäuschen gehört zur Mannheimer Hütte – die DAV-Hütte der Sektion Mannheim – und versorgt diese mit Trinkwasser. Die klimafreundliche Ummantelung des bestehenden Gebäudes sollte einfach sein, dem Ort und der Nutzung angemessen, weshalb man sich für ein klassisches Satteldach entschied. Die Unterkonstruktion aus heimischem Nadelholz mit traditionellen Holzverbindungen wurde vorgefertigt und mit Hilfe eines Helikopters zum Standort transportiert und dort über den Bestand gestülpt. In Zusammenarbeit mit Fachleuten des Reetdecker-Handwerks haben die Studierenden materialgerechte Details entwickelt und bei der Ausführung von Dach und Fassade geholfen. Man erreicht die Hütte über den Leibersteig – einem Aufstieg durch eine 800 Meter hohe Felswand. Die Giebelseite des Pumpenhäuschens ist mit lokalem Lärchenholz verkleidet und bietet eine Sitzstufe, auf der sich Wanderer ausruhen und bis zum Bodensee blicken können. In der Nische sitzend kann man die Reetdeckung in ihrer vollen Aufbaustärke von 40 Zentimetern betrachten.

Moor mit Potenzial

Für den Bau verwendete die Universität 1.100 Bund Reet vom Neusiedler See. Im Zuge des Forschungsprojektes wurde der Kreislauf der Reetproduktion und -verwendung analysiert. Dabei kam heraus, dass die Förderung der sogenannten Paludikultur (landwirtschaftliche Nutzung von Moorböden) weitreichende positive Folgen haben kann: Schilf ist mehrjährig und wächst weltweit zwischen dem zehnten und dem siebzigsten Breitengrad. Es kommt im flachen Wasser, an feuchten und staunassen Standorten vor, wie etwa Mooren und Feuchtwiesen, Bruch- und Auenwäldern sowie an Gewässerufern. Schilfrohr wächst bis zu einer Höhe von 4 Metern heran und stirbt im Winter ab, wobei es sich goldbraun verfärbt. Dann kann es geerntet werden. Im Gegensatz zu einem Baum endet der Lebenszyklus des Schilfs mit der Ernte. Es würde ab diesem Zeitpunkt nur noch verrotten. Vor allem wegen des geringeren Gewichts hat Reet gegenüber Holz den Vorteil, dass weniger Primärenergie bei Ernte, Herstellung und Verarbeitung benötigt wird. Würde man den regionalen Anbau von Reet fördern, könnten Transportwege verkürzt und die Ökobilanz verbessert werden.

Stoffkreislauf und Speicher

Darüber hinaus binden Schilfröhrichte CO2 und ihr Lebensraum ist zugleich das Habitat für diverse Tierarten. Mit ihrer Wasserrückhalte- und Wasserfilterfunktion regulieren sie den natürlichen Stoffkreislauf von Seen. Bekannt ist, dass Wälder Kohlenstoffdioix speichern, jedoch sind Moorlandschaften darin viel effizienter. 31 Prozent der weltweiten Landfläche sind bewaldet und speichern 225 Gigatonnen des Treibhausgases. Moorlandschaften belegen nur drei Prozent der weltweiten Landflächen, speichern jedoch in den gebildeten Torfen das Doppelte an CO2, nämlich 450 Gigatonnen. In den letzten Jahrzehnten wurden immer mehr Moore entwässert, um Fläche für Landwirtschaft zu generieren. Durch diese Umwandlung des Landes setzte die Menschheit jährlich zwei Gigatonnen Kohlendioxid frei, was sechs Prozent der durch den Menschen verursachten Emissionen ausmacht.

Das Forschungsteam der Uni Stuttgart kommt zu dem Ergebnis, dass mit vermehrter Paludikultur die Biodiversität gefördert werden könnte und zusätzlich schwach entwickelte Regionen neue Perspektiven erhalten würden. Die nasse Wiederbewirtschaftung von Mooren mit Schilf könnte den CO2-Ausstoß auf globaler Ebene verringern und durch Verdunstungskühlung lokal die Temperatur senken. Zudem kann Reet beim Abriss bzw. Abbau eines Gebäudes kompostiert werden, ist somit kreislauffähig und darüber hinaus schadstofffrei.

Unbehandelt und robust

Das Material Reet ist durch seinen Zellaufbau natürlicherweise wärmedämmend, feuchteresistent, formbeständig und weitgehend alterungs- und fäulnisbeständig. Mit einer Stärke von 35 cm ist eine Reethülle winddicht und der Kieselsäureanteil der Pflanze wirkt brandhemmend. Die Lebensdauer eines Reetdaches oder einer -fassade ist von der Konstruktion, der Qualität und der Verarbeitung des Materials abhängig. Die Dach- und Halmneigung sorgen dafür, dass Wasser schnell abläuft und nicht eindringen kann. Trotzdem bleibt Reet als unbehandelter Rohstoff anfällig für Holzpilze, Flechten und Moose. Feuchte Sommer und milde Winter sind besonders schädlich für Reeteindeckungen, da die Schattenseiten nicht schnell genug trocknen können.

In den Bergen wiederum sieht die Projektgruppe die optimalen Bedingungen für Reet, da hier schlechte Bedingungen für Mikroorganismen herrschen und auch der Befall mit Algen, Moosen und Flechten unwahrscheinlicher ist. Nun soll der Alterungsprozess von Reet in höheren Lagen dokumentiert und zudem die Widerstandsfähigkeit gegen hohe Windgeschwindigkeit und Feuchtebelastung sowie die Beständigkeit und Abnutzung des Materials gemessen werden. Das auf Dauer gräulich werdende Material ist nicht nur ein Klimafavorit, sondern birgt auch großes architektonisches Potenzial: Mit Reet können Fassade und Dach übergangslos aus einem Rohstoff hergestellt werden, was dem Gebäude eine monolithische und sehr zeitgemäße Wirkung verleiht. Des Weiteren loben die Projektbeteiligten die Formfreiheit. Durch ein spezielles Klopf-Verfahren kann das Material rund und sanft oder auch scharfkantig modelliert werden. –sh

Bautafel

Planung/Projektverantwortliche: Universität Stuttgart, Institut für Baustofflehre, Bauphysik, Gebäudetechnologie und Entwerfen (IBBTE), Direktor Professor Peter Schürmann
Projektbeteiligte: Armin Kammer, Anke Wollbring und Studierende der Seminare „SkinOver“ (IBBTE); Weichert Reetbedachtungen und Ökobau, Berlin (Ausführung und Fachberatung Reet); Hiss Reet Schilfrohrhandel, Bad Oldesloe (Fachberatung Reet); Zimmerei Müller, Brand (Zimmerarbeiten); CUBO Architektur & Baumanagement, Thüringen (Objektüberwachung)
Bauherrschaft: DAV / Bundesverband des Deutschen Alpenvereins (Ressort Hütten und Wege) und Sektion Mannheim des Deutschen Alpenvereins
Fertigstellung: 2019
Standort: bei Mannheimer Hütte: Brand 1372/2, 6708 Brand bei Bludenz, Rätikon, Österreich
Bildnachweis: IBBTE, Stuttgart

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