Kolumbarium in Radom
Ein Ort des Abschieds für eine Gesellschaft im Wandel
Die Frage, was nach dem Tod mit unserem Körper geschehen soll, ist zwar in erster Linie eine ganz persönliche, in alternden Gesellschaften wie der unseren, aber auch eine gesamtgesellschaftliche und – ja, auch ökologische. Denn viele Städte und Gemeinden stehen bereits vor der Aufgabe, ihre bestehenden Friedhöfe aus Platzmangel erweitern zu müssen; nicht selten geschieht dies an den Stadträndern, wo die Nekropolen in die umliegende Natur hineinwachsen. Eine Lösung sind Kolumbarien, in denen Urnen oberirdisch, neben- und übereinander aufbewahrt werden, wie in einem Regal. Damit stellen Kolumbarien eine deutlich kompaktere Bestattungsform dar als Erdbestattungen. Ein gelungenes Beispiel für ein solches Bauwerk entstand im polnischen Radom nach Plänen von BDR Architekti aus Warschau.
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Vorausgegangen war ein Wettbewerb für ein Kolumbarium mit 2.000 Urnennischen für den im Jahr 1957 gegründeten städtischen Friedhof. Mit 30 Hektar Fläche gehört er zu den größten des Landes. Prämisse des Wettbewerbs war zum einen das Wachstum des Friedhofs durch ein Kolumbarium einzudämmen und zum anderen sein Zentrum neu zu ordnen. Dort hatte in den 1980er-Jahren eine ökumenische Kapelle mit einem Leichenhaus entstehen sollen. Schlussendlich wurden jedoch nur die Fundamente der Kapelle und das Leichenhaus gebaut. Letzteres sollte im Rahmen des Wettbewerbsentwurfs in das Kolumbarium integriert werden.
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Raumkomposition um einen zentralen Ort
Der Entwurf sieht ein Ensemble aus sieben unterschiedlich großen, rechteckigen Blöcken vor, die sich locker um einen zentralen Platz gruppieren. Sechs davon sind nach oben offen; in ihren Wänden sind die Kolumbarien untergebracht. Der siebte und höchste beherbergt das bestehende Kühlgebäude. In der Hauptachse des Friedhofs liegt der zentrale Platz, dort wo ursprünglich die Kapelle geplant war. Der geschützte Raum kann für Bestattungszeremonien und als ökumenischer Versammlungsort für den Friedhof genutzt werden.
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Materialien mit lokaler Verankerung
Die tragende Struktur der Kolumbarienwände besteht aus Betonfertigteilen, die auf Streifenfundamenten aus Stahlbeton ruhen. Sie sind mit einem Mauerwerk aus lang und schmal geschnittenen Sandsteinblöcken aus einem lokalen Steinbruch verkleidet. Die Fassaden des Kühlhauses sind als hinterlüftetes Mauerwerk mit Kerndämmung ausgeführt. Die im schleppenden Läuferverband verlegten Natursteine changieren farblich zwischen hellgrau und beigebraun. Ihr längliches Format führt zu einem reduzierten Fugenanteil, sodass sich in Kombination mit dem hellen Fugenmörtel eine geerdet und beruhigend wirkende Wandoberfläche ergibt.
Aus demselben Sandstein bestehen auch die Platten, mit denen die Nischen für die Urnen geöffnet und geschlossen werden. Jede Nische verfügt zudem über einen kleinen Vorsprung, auf dem die Angehörigen Blumen und Kerzen ablegen können.
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Die Wege zwischen den sieben Blöcken und entlang der Urnennischen sind mit sandsteinfarbenen Betonplatten gepflastert, die im Radomer Betonwerk gefertigt wurden. Der zentrale Platz sowie die Fläche innerhalb der Kolumbarien wurden mit lokalem Steinschotter ausgeführt, damit das Regenwasser versickern kann. Bei Dunkelheit leiten im Boden versenkte Lichtlinien zwischen den Blöcken entlang; innerhalb der Kolumbarien befinden sich Downlights in auskragenden Betonplatten.
Poesie und Natur als stille Begleiter
Holzbänke und eine Bepflanzung mit insgesamt fünfzig Waldkiefern – eine Baumart, die sich auch in den angrenzenden Wäldern findet – komplettieren den gerade durch seine Schlichtheit eindrucksvollen Entwurf. An der Kolumbariumswand in der Flucht des Platzes befindet sich das einzig rein dekorative Element: ein Zitat des Renaissancedichters Jan Kochanowski in Lettern aus unbehandeltem Messing, das er seiner im Kindesalter verstorbenen Tochter gewidmet hatte: „Wir sind viele, aber es ist, als ob niemand mehr da wäre, so groß ist der Verlust an einer kleinen Seele.“
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Lokale Identität
Der Dichter lebte im nur fünfzig Kilometer entfernten Czarnolas. Und auch sonst zeigt sich der Lokalbezug in nahezu jedem Element des Projekts; von den Materialien bis hin zu den Steinmetzen und Handwerkern, deren Beitrag von großer Bedeutung für das Gesamtprojekt war. So steht das Kolumbarium in Radom beispielhaft für eine würdige und ortsverbundene Bestattungskultur, die sensibel auf die Herausforderungen unserer Zeit reagiert.
Bautafel
Architektur: BDR Architekci (Konrad Basan, Paweł Dadok, Maria Roj, Michał Rogowski), Warschau
Projektbeteiligte: La.Wa Architektura Krajobrazu – Łukasz Kowalski, Warschau (Landschaftsarchitektur); TMJ Projekt, Warschau (Tragwerksplanung); Joanna Szczudlik, Warschau (Haustechnik); Jarosław Maleńczyk, Warschau (Elektroplanung)
Bauherrschaft: Stadt Radom
Fertigstellung: 2023
Standort: Städtischer Friedhof, Ofiar Firleja 45, 26-617 Radom, Polen
Bildnachweis: Jakub Certowicz, Warschau
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