Einscheibensicherheitsglas (ESG)
Das fälschlicherweise oft als gehärtetes Glas bezeichnete Einscheibensicherheitsglas (ESG) entsteht durch thermisches Vorspannen von Floatglas; als Ausgangsmaterial kann aber auch Ornamentglas verwendet werden. Bei diesem Prozess wird die ebene Scheibe bis zu einem Transformationspunkt auf mehr als 600 °C erhitzt und anschließend schlagartig durch schnelles Anblasen mit Luft abgekühlt. So wird das Glas in einen Eigenspannungszustand versetzt, bei dem der Kern der Scheibe unter Zugbeanspruchung und die Oberfläche unter Druckbeanspruchung steht. Dieser Vorgang macht das Glas biegezugfester, aber nicht härter. Durch die eingeprägte Oberflächendruckspannung kann der festigkeitsmindernde Einfluss von Oberflächendefekten erst wirksam werden, wenn durch Last oder Zwang Zugspannungen an der Oberfläche erzeugt werden. Daher nimmt auch die Temperaturwechselbeständigkeit durch die Vorspannung erheblich zu (ca. 200 K).
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Eigenspannung durch thermisches Vorspannen
Nach dem Vorspannen kann das Glas aufgrund der im Eigenspannungszustand gespeicherten Energie nur sehr bedingt bearbeitet werden. Deshalb müssen Kantenbearbeitungen, Bohrungen oder Ausschnitte vor dem Vorspannprozess vorgenommen werden. Bei der Planung ist außerdem zu beachten, dass aufgrund der thermischen Behandlung Maßtoleranzen im Bereich von Bohrungen sowie eine leichte Vorkrümmung entstehen können.
Eine ESG-Scheibe zerspringt beim Bruch in kleine, würfelförmige Bruchstücke; diese Bruchstruktur ist charakteristisch für ESG und ergibt sich durch die hohe Energie, die im Eigenspannungszustand gespeichert war. Die stumpfkantigen Bruchstücke hängen untereinander zusammen und weisen Größen von weniger als 1 cm² auf. Dadurch wird das Risiko von größeren Schnittverletzungen gesenkt.
Die Mindestbiegefestigkeit des ESG wird in DIN 12150-1: Glas im Bauwesen - Thermisch vorgespanntes Kalknatron-Einscheibensicherheitsglas - Teil 1: Definition und Beschreibung mit 120 N/mm² angegeben. Handelsübliches ESG weist heute aber bereits Oberflächendruckspannungen zwischen 100 N/mm² und 150 N/mm² auf, sodass die Verglasungen Festigkeiten von über 200 N/mm² erreichen können.
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Spontanbruchgefahr von ESG
Seit den 1960er-Jahren ist bekannt, dass thermisch vorgespannte Gläser spontan brechen können, wenn mikroskopisch kleine Einschlüsse bei der Produktion ins Glas gelangen. Besonders Nickel-Sulfid-(NiS-)Einschlüsse sind bruchauslösend. Durch eine zeit- und temperaturabhängige Volumenvergrößerung dieser Einschlüsse können auch nach Jahren bis Jahrzehnten Spontanbrüche auftreten. Dabei reichen bereits geringste NiS-Mengen in der Glasschmelze, um diese zu verunreinigen. Diese Verunreinigungen sind im Herstellungstest nicht zu vermeiden; daher hat sich der Heißlagerungstest etabliert, der die Versagenswahrscheinlichkeit nach DIN EN 14179: Glas im Bauwesen - Heißgelagertes thermisch vorgespanntes Kalknatron-Einscheibensicherheitsglas begrenzt.
Im Rahmen der Anwendung als linienförmig gelagerte Verglasung nach DIN 18008-2: Glas im Bauwesen - Bemessungs- und Konstruktionsregeln - Teil 2: Linienförmig gelagerte Verglasungen darf ESG bzw. heißgelagertes ESG nach DIN EN 14179 als monolithisches Einfachglas oder äußere monolithische Scheibe eines Isolierglases nur dann eingebaut werden, wenn die Oberkante des Glases höchstens 4 m über der angrenzenden Verkehrsfläche liegt. Hintergrund für diese Einschränkung ist, dass auch durch eine Heißlagerung nach DIN EN 14179 keine akzeptable Versagenswahrscheinlichkeit von Pf ≤ 10-6/Jahr erzielt wird.
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Inzwischen besteht Einigkeit unter Expert*innen und der
Bauaufsicht, dass eine Haltezeit von zwei Stunden für die
erforderliche Reduzierung des Spontanbruchrisikos ausreichend ist.
Eine Fremdüberwachung der Heißlagerung wird aber weiterhin als
wesentliche Voraussetzung für das in Deutschland angestrebte, hohe
Sicherheitsniveau von heißgelagertem ESG, als Notwendigkeit
angesehen. Derartig heißgelagerte Gläser mit Fremdüberwachung bzw.
Gütesicherung werden beispielsweise als ESG-HF
(nach RAL-GZ 525) bezeichnet. Für diese Gläser gilt
o.g. Einschränkung der Einbauhöhe nach DIN 18008-2 nicht.
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