Hotel St. Gotthard Hospiz in der Schweiz
Bleidach auf 2.100 m über dem Meeresspiegel
Der Gotthardpass ist seit Jahrhunderten Sinnbild für die
Verbindung von Nord- und Südeuropa und eine wichtige Verkehrsader
zwischen der deutsch- und der italienischsprachigen Schweiz. Auf
dem Pass, der nur von Anfang Juni bis ca. Ende Oktober geöffnet
ist, befinden sich verschiedene Gebäude, die von einer bewegten
Geschichte zeugen. Ein Hotel mit der Jugendherberge im ehemaligen
Stall, das „Alte Hospiz“ mit Kapelle und Pferdestall sowie eine
Herberge namens „Alte Sust“ stehen zwischen zwei kleinen Seen eng
beisammen. Von diesen Bauten war einzig das Hospiz über längere
Zeit nicht für Besucher zugänglich. Es schließt an die Südseite der
kleinen Kapelle an und ersetzte ursprünglich zwei Alphütten. Erst
1623 als Priesterhaus erbaut, wurde es später als Kapuzinerhospiz
neu errichtet und dann mehrmals ergänzt, umgebaut und aufgestockt.
Die bisher letzte Veränderung besteht aus der Umnutzung des
Gebäudes zu einer Erweiterung des Hotels, nun steht es als St.
Gotthard Hospiz wieder für Reisende zur Verfügung.
Im Sommer 2010 wurde das geschichtsträchtige Bauwerk nach
fünfjähriger Renovierung neu eröffnet. Die Baseler Architekten
Paola Maranta und Quintus Miller realisierten hier ein
3-Sterne-Hotel mit 14 Zimmern und 30 Betten. Ihr
Entwurfsschwerpunkt sollte den Respekt vor der Geschichte des
Kulturdenkmals mit seinen spezifischen lokalen Gegebenheiten zum
Ausdruck bringen und diese um Elemente moderner Architektur
erweitern. So galt es, einerseits zu erhalten und andererseits mit
angemessenen Mitteln eine neue „Zeitschicht“ zu ergänzen.
Gallerie
Nach Betreten des Gebäudes durch die alte Holztür in der
mächtigen Fassade gelangt der Gast über die historische Treppe in
das Obergeschoss, wo die Gemeinschaftsräume des Hotels als Orte der
Begegnung in dem auch zur Sommerzeit eher unwirtlichen Klima
angesiedelt sind. Die darüber liegenden Geschosse beherbergen die
Gästezimmer, die auf beiden Seiten des lang gezogenen, verputzten
Korridors zu finden sind. Die Zimmer sind mit wenigen Möbeln
zurückhaltend möbliert und erinnern somit an die Geschichte des
Hauses. In einer alkovenartigen Erweiterung befindet sich eine
Bettnische, als abgeschlossene Einheit ist ein Nassraum
angegliedert.
Die ehemals aufgestockte Kapelle wurde in ihrem Volumen wieder
reduziert. Die bislang getrennten Gebäudeteile von Kapelle und
Hospiz sind nun unter einem großen Dach vereint, das mit Bahnen aus
Blei gedeckt ist und durch zahlreiche kleine Dachgauben
aufgelockert wird. Um einen modernen Hotelbetrieb zu ermöglichen,
musste die innere Raumstruktur bis auf das erste Obergeschoss
entfernt werden, während die Fassaden bestehen blieben. Die
giebelständige Südfassade aus Bruchsteinmauerwerk wurde dabei um
ein Geschoss erhöht. An ihr lassen sich nun die verschiedenen
Zeitschichten der letzten Jahrhunderte durch unterschiedliche
Fenstertypen ablesen, auch die letzte Renovierung. Ein auf das
Mauerwerk aufgesetztes, umlaufendes Betonband bildet nun den
Abschluss der Fassadenrings um das Gebäude. Es sichert die
Mauerkrone und dient außerdem der Aufnahme der Schubkräfte des
neuen Dachstuhls.
Die ersten zwei Geschosse sind massiv ausgeführt, darüber ist
innerhalb der umfassenden Fassaden eine Holzkonstruktion in
Ständerbauweise mit Bohlenfüllung eingestellt, wie man sie im
Kanton Uri seit dem 15. Jahrhundert anwendet. Der neue Pfostenbau
ist zwischen die umfassenden Fassaden eingefügt und mit liegenden
Bohlen ausgefacht. Diese Trockenbauweise ermöglichte das Abbinden
der Holzkonstruktion im Tal und eine verkürzte Bauzeit während der
schneefreien Periode im Sommer. Gleichzeitig erlaubt die gedämmte
Holzkonstruktion eine energetische Optimierung des Gebäudes, sodass
es heute mit Erdwärme beheizt werden kann. Die Holzständer bilden
die Tragstruktur für die neuen Holzbalkendecken der Hotelzimmer und
werden im Dachgeschoss zum Auflager für die hölzerne
Dachkonstruktion. Die Raumtrennung erfolgt durch eingelegten
Bohlen. Die Korridorwände sind aufgrund feuerpolizeilicher
Vorschriften in Ortbeton erstellt und mit einem Naturputz
versehen.
Dach
Die hoch aufgerichtete Hauptfassade mit ihren gedrungenen Fenstern
zeigt nach Süden, während sich das Gebäude auf den Wetterseiten
durch ein 52° steiles, weit heruntergezogenes Pfettendach
schützt. Unter diesem mehrere Stockwerke hohen Dach wurden die
neuen Hotelräume platziert. Um die Ästhetik des trutzig wirkenden
Bauwerks zu unterstreichen, wählten die Architekten für das Dach
eine Abdeckung mit Bahnen aus Bleiblech. Auch die neuen Dachgauben
sind vom schützenden Bleimantel eingehüllt.
Um den Herausforderungen eines Projekts auf 2.100m Höhe gerecht
zu werden, war eine sorgfältige Planung des Daches erforderlich. So
wurden an einem 1:1-Modell Einkleidungen, Falze, Kanten und
Übergänge bemustert und Details der handwerklichen Ausführung
erprobt. 2008 konnte dann der Dachaufbau errichtet und winterfest
gemacht werden. Danach schnitten die Handwerker für die nächste
Bausaison 18 t Walzblei (entspricht 400 m² von 2,5 mm Stärke) in
540 x 1580 mm große Paneele zurecht und lieferten diese an.
Innerhalb von sechs Wochen konnten dann 8-10 Spengler das Bleidach
installieren.
Nicht nur der Werkstoff Blei, auch seine Verarbeitung am Hospiz
entspricht traditioneller Handwerkskunst. Die Falze sind um
halbrunde, nach unten konisch geformte Holzwulste geformt. An ihnen
sind Haften (Metall-Laschen) befestigt, die ihrerseits in die Falze
der Paneele fassen. Die Länge der Paneele beträgt 1,58 m, um bei
dem steilen Dach das Eigengewicht der Bleipaneele zu beschränken
und die thermische Ausdehnung zu gewährleisten. Jedes Paneel ist
mit einer Metallplatte und 10 Schrauben aus CN-Stahl auf der
Unterschalung befestigt. Danach passte der Spengler auf beiden
Längsseiten die Falze manuell den Rundungen der Holzwulste an,
sodass von den Paneelen ein lichtes Maß von 40 x 1.400 mm sichtbar
bleibt. An den Stößen werden die Bleibahnen miteinander
verschweißt. Alle übrigen Spenglereiarbeiten entstanden mithilfe
von 0,8 mm dicken Kupferblechen.
Die markante Struktur der Bahnen und Wulste aus Blei sowie das Grau
des Daches unterstreichen den Charakter des Hauses und sorgen zudem
für eine wetterfeste und beständige Umhüllung der
Bausubstanz.
Bautafel
Architekten: Miller & Maranta, Basel/CH
Projektbeteiligte: Conzett Bronzini Gartmann, Chur/CH (Bauingenieure); Studio d’Ingegneria Elettronica e Sicurezza, Bellinzona/CH (Elektroingenieur); Visani Rusconi Talleri, Lugano/CH (HLKS Ingenieur); BWS Bauphysik, Winterthur/CH (Bauphysik/Akkustik); Arge URI/Bissig Holzbau, Altdorf/CH; Herger, Spiringen/CH; Paul Stadtler Zimmerei, Flüelen/CH (alle Zimmermann); Scherrer Metec, Zürich/CH (Bedachungsarbeiten)
Fertigstellung: 2010
Bauherr: Fondazione Pro San Gottardo, Airolo/CH
Standort: 6781 San Gottardo/CH