Sie heißen Schwangere Auster, Kathedrale der Wellen, Ahornblatt,
Seerose oder Teepott. In Ost wie West haben sich einige
Betonschalenexperimente der Nachkriegsjahrzehnte in die Köpfe der
Menschen eingeschrieben. Ein besonders imposantes Beispiel steht in
Hamburg: die Schwimmoper genannte Alsterschwimmhalle. Über
drei Jahre hinweg wurde sie unter Leitung der Büros Gerkan, Marg
und Partner (GMP) und Schlaich Bergermann Partner (SBP) saniert,
umgebaut und erweitert. Seit Ende 2023 steht sie wieder Badegästen
offen.
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Dreifüßiger Schmetterling
Ebenso faszinierend wie das rund 7.500 Tonnen schwere und 4.500
Quadratmeter überspannende Schmetterlingsdach selbst, ist der
Gedanke, dass die Statiker das Tragwerk in den 1960er-Jahren
mithilfe von Versuchsmodellen per Hand berechneten. Den Entwurf
erarbeiteten die Architekten Horst Niessen und Rolf Störmer, die im
Wettbewerb noch ganz ohne Schalendach vorne lagen, zusammen mit dem
Ingenieurbüro Leonhardt, Andrä und Partner. Hier war der noch junge
Ingenieur und spätere SBP-Partner Jörg Schlaich federführend an der
Ausarbeitung des Tragwerks beteiligt.
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Die spiegelgleichen, doppelt gekrümmten Betonschalen sind
Teilstücke eines hyperbolischen Paraboloids. Sie sind so aneinander
gelehnt, dass sie mit insgesamt nur drei Fußpunkten auskommen. Die
beiden äußeren Stützenfüße verlaufen oberirdisch etwa im Winkel von
45 Grad, unterirdisch sind sie jedoch nahezu senkrecht. Um sie zu
stabilisieren, verbindet sie daher ein Zugband mit acht armdicken
Stahlseilen. Die Ecken der dünnen Dachschale ragen bis zu 24 Meter
auf.
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Planschen im Wettkampfbecken
Zwölf Jahre vergingen, ehe die Schwimmhalle, die frei auf einer
grünen Wiese im Stadtteil Hohenfelde steht, seine Türen erstmals
als Sportbad mit Wettkampfbetrieb öffnete. Herzstück der bis zu 96
Meter spannenden, verglasten Haupthalle ist ein riesiges, 50 Meter
langes und zehn Bahnen zählendes Becken. Daneben erhob sich bis zum
Umbau eine steile Tribüne für 1.000 Zuschauer*innen. Die
Schwimmoper war von Anfang an sehr beliebt – allein 2014 wurden
400.000 Eintrittskarten verkauft – und wandelte sich im Laufe der
Zeit immer mehr zum Freizeitbad für Familie und Sporttreibende.
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Aufgeräumte Halle
Das 50 Meter lange, ehemalige Sportschwimmbecken im Zentrum der
Betonschalenhalle blieb nahezu unverändert. In die bestehende
Außenschale wurde ein neues Becken eingebaut, sodass der
Wasserspiegel auf das Niveau des Beckenumgangs angehoben wurde. Der
alte 10-Meter-Turm erhielt einen neuen Anstrich. Abgebrochen wurde
hingegen die kaum noch genutzte Tribüne, um Platz für ein neues
Sprungbecken zu schaffen.
An der Ostseite der Halle befindet sich ein zweigeschossiger
Flachbau, in dem sich unten das Lehrschwimmbecken befindet. Über
diesem wurde der ehemalige Luftraum geschlossen, um den
Fitnessbereich (ursprünglich ein Imbiss) zu vergrößern. Auf der
Galerie an der Westseite, für die es lange keine schlüssige Nutzung
gab, kam ein sogenanntes Calcium-Lithium-Becken hinzu. Im
Sprudelwasser sitzend lässt sich von dort der Ausblick in die Halle
genießen, die seit dem Abbruch der Tribüne noch imposanter
wirkt.
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Besser erreichbar
Der angegliederte Flachbau im Norden wurde abgerissen und durch
einen Neubau ersetzt. Ursprünglich kamen die Badegäste über eine
Treppenanlage im Gebäude an der schmalen Ifflandstraße an. Jetzt
gibt es einen rollstuhlgerechten Haupteingang auf der anderen
Seite, an der Sechslingspforte. In dem neuen, ein- bis
zweigeschossigen Anbau befinden sich außerdem Umkleide-, Fitness-
und Saunabereiche sowie ein für das Rückenschwimmen geeignetes
25-Meter-Becken und ein Becken für Schwimmkurse und Aquafitness.
Eine neue Tiefgarage trägt dem seit den 1970er-Jahren gewachsenen
Autoaufkommen Rechnung.
Beton: Erhaltung braucht Recherche
In Vorbereitung auf die Sanierungsarbeiten wurden zuallererst
alte Pläne und andere Unterlagen gesichtet. Frühzeitig musste
geklärt werden, an welcher Stelle der Bestand abgebrochen werden
sollte und neue Gebäudeteile an die Becken anschließen. Ziel war
es, die Tragstruktur mit dem denkmalgeschützten Schalendach zu
erhalten.
Untersucht wurde beispielsweise die bisherige Dämmung – die neue
musste nämlich unbedingt das gleiche Gewicht haben, um das Dach
nicht zusätzlich zu belasten. Zudem galt es, die Konstruktion der
abgehängten Hallendecke samt der Ankerlöcher in der Betonschale
genau zu kennen, da diese für die neuen Deckenpaneele wieder
benutzt werden mussten. Diese suchten die Planenden ebenso wie die
neue Dämmung in enger Abstimmung mit dem Denkmalschutz aus.
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Ein kritischer Punkt für den langfristigen Gebäudeerhalt ist der
Anschluss der Dreigurtstützen der Fassade an die Dachschale. Diese
ist nämlich nicht so starr, wie sie scheint: Bei Sturm können etwa
die Spitzen jeweils um bis zu 30 cm nach oben und unten
ausschlagen. Entsprechend entwickelten GMP, SBP und Implemia ein
neues Teleskop-Kolben-Auflager, das die Schwingungen der
Dachflächen ausgleichen kann.
Streng überwacht
Besonders herausfordernd war, das Schalendach während der
Abbrucharbeiten in und am Gebäude nicht zu beschädigen und starke
Erschütterungen zu vermeiden. So durfte das Zugband, das
unmittelbar am 50-Meter-Becken entlang verläuft und die Fundamente
verbindet, nicht berührt werden. Über die gesamte Bauzeit hinweg
wurde es permanent überwacht, um bei zu großen Erschütterungen des
Bandes Alarm auslösen und die Halle evakuieren zu können. Während
der Abrissarbeiten kam dies teilweise mehrfach am Tag vor, so die
Planenden.
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Bewehrungsschutz mit Schwachstrom
Auch für die Bewehrung in der nur 8 cm dünnen, vorgespannten
Schale musste eine Lösung gefunden werden. Diese liegt gerade
einmal 1 cm unter der Oberfläche, wohingegen heute Betondeckungen
von etwa 3 oder 4 cm üblich sind. Bei Schwimmbädern fällt sie oft
sogar noch höher aus, angesichts des aufsteigenden Chlors, der
hohen Luftfeuchtigkeit und der hohen Temperaturen. Zum Einsatz kam
ein Kathodisches-Korrosionsschutz-System (KKS).
Dabei wird Schwachstrom auf die Bewehrung geleitet, der den mit der
Metallauflösung verbundenen Strom ausgleicht und die
Korrosionsgeschwindigkeit stark herabsenkt. So bleibt die
Alsterschwimmhalle hoffentlich weitere 50 Jahre erhalten.
Weitere Informationen zu Instandsetzung und Umbau inklusive
einer Reihe aufschlussreicher Videos und Baustellenberichte sind
auf den Webseiten des Architekturbüros und der Bauherrin Bäderland
Hamburg zu finden (siehe Surftipps). -ml
Bautafel
Architektur Bestand 1973: Horst Niessen, Rolf Störmer (Entwurf); Walter Neuhäusser (Überarbeitung); Jörg Schlaich für Leonhardt und Andrä (Tragwerksplanung) Architektur Umbau 2023: gmp Architekten von Gerkan, Marg und Partner, Berlin; schlaich bergermann partner (sbp), Stuttgart (Tragwerksplanung) Projektbeteiligte: Eneratio (Haustechnik/TGA); Conceptlicht (Lichtplanung); von Rekowski und Partner (Bauphysik); DS-Plan (Fassadenberatung); Ing. T. Wackermann (Brandschutz); Lichtenstein Landschaftsarchitekten & Stadtplanung (Landschaftsplanung); H.Ehlert & Söhne (Abbruch/ Erdarbeiten); Johann Heidorn (Verbau); Treichel Gerüstbau (Raumgerüst); Gerhard Lühn (Rohbau); Instakorr, Spritzbeton+Injektionstechnik (Betonsanierung); AM restore (Betonrestaurierung Sichtbetonoberflächen); Implenia Fassadentechnik (Fassade); Schmidt Bedachung Hamburg, Dach Schneider Weimar (Dachabdichtung); LPI Ingenieurgesellschaft (messtechnische Überwachung der Dachschale und des Zugbandes während der Bauzeit) Bauherr*in: Bäderland Hamburg Fertigstellung: 2023 Standort: Sechslingspforte 15, 22087 Hamburg Bildnachweis: Marcus Bredt (Fotos); Bäderland Hamburg (Fotos); gmp Architekten (Pläne)
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