Erweiterung des Wasser- und Schifffahrtsamtes in Kiel
Geneigtes Verblendmauerwerk als Vorsatzschale
Gallerie
Dort, wo der Nord-Ostsee-Kanal in die Kieler Förde mündet,
befindet sich die Schleuseninsel Kiel-Holtenau mit dem 1895
errichteten Wasser- und Schifffahrtsamt (WSA). Weil der
denkmalgeschützte Altbau in wilhelminischer Ziegelarchitektur den
Anforderungen an ein modernes Büro- und Verwaltungsgebäude nicht
mehr genügte, wurde im Jahr 2009 ein Realisierungswettbewerb
ausgelobt. Ein Neubau sollte die bisher auf der Schleuseninsel
verstreuten Funktionen zusammenführen, der Altbau sollte
denkmalgerecht instand gesetzt und energetisch saniert werden. Im
Wettbewerb konnten sich die Architekten und Ingenieure vom pbr
Planungsbüro Rohling durchsetzen und ihren Entwurf als Gesamtplaner
auch realisieren.
Den Nord-Süd ausgerichteten zweigeschossigen Altbau, der von
rötlichem Backstein, einem Walmdach und einem markanten
Erker mit Spitzgiebel geprägt ist, erweiterten sie gen Westen. Ein
gläserner Baukörper schafft den Übergang zum ebenfalls
zweigeschossigen Ergänzungsbau, dessen Dach mit leichter Neigung
mehrfach geknickt verläuft. Über einem L-förmigen Grundriss sind
auch die Fassaden nach Osten und Westen um 19° bzw. 6° nach außen
geneigt, sodass im Zusammenspiel ein dynamischer Eindruck
entsteht Das neue Volumen steht im klaren Kontrast zum
Bestand, die verglaste Eingangs- und Erschließungszone bildet eine
Fuge
dazwischen. Das ebenfalls zweigeschossige Foyer verbindet nicht nur
die Büro- und Verwaltungsräume intern, sondern bildet zugleich den
barrierefreien Zugang ins Wasser- und Schifffahrtsamt. Der
Verschattung dienen lineare farbige Folien, die auf die Verglasung
geklebt wurden – sie sind das Ergebnis eines
Kunst-am-Bau-Wettbewerbs und sollen an unterschiedliche Pegelstände
bei Hochwasser erinnern.
Der Altbau, seinerzeit auf Pfählen gegründet und mit tragenden
Wänden aus Mauerwerk errichtet, sollte weitgehend erhalten und nach
Möglichkeit in seinen ursprünglichen Zustand versetzt werden.
Nachträglich eingefügte Dachgauben an der Ostseite wurden daher
zurückgebaut und an der Nord- und Südseite als historisch anmutende
Dreiecksgauben zur Dachbodenbelichtung wieder aufgebaut. Um die
originalen Raumzuschnitte herzustellen, wurde das Dachgeschoss
vollständig aus der Nutzung herausgenommen. Besonderes Augenmerk
lag auf dem historischen Sitzungssaal: Dort wurde eine in den
1950er-Jahren erstellte Zwischenebene entfernt. Anstelle der
gemalten Holzvertäfelung übernimmt nun eine echte Holzvertäfelung
akustische Funktionen; erneuert wurden außerdem der Holzfußboden
und die Tür. Die Büroräume erhielten einen strapazier- und
ableitfähigen textilen Bodenbelag, während in den Fluren und
Treppenhäusern die historischen Terrazzoböden ausgebessert und
teilweise erneuert wurden.
Mauerwerk
Für die Fassade des Erweiterungsbaus wählten die Architekten das
gleiche Material, entschieden sich bei Format und Verband jedoch
für eine Abweichung vom denkmalgeschützten Bestand. Dessen Mauerwerk wurde 1895 mit Verblendern im
Normalformat als reiner Kopfverband mit schmalen Fugen ausgeführt;
Lisenen und Gesimse dienen als Zierornamente. Im Rahmen der
Sanierung galt es, die Fassade zu bewahren, sodass lediglich
einzelne Steine im Mauerwerk, an den Gesimsen und Fensterbänken
erneuert wurden. Die vorhandenen ungeteilten Kunststofffenster
wurden durch zweiflügelige, wärmegedämmte Holzfenster ersetzt, die
sich – typisch für Fenster aus der Entstehungszeit des Bauwerks –
nach außen öffnen.
Die Außen- und Treppenhauswände des Erweiterungsbaus bestehen wie
die Geschossdecken aus Stahlbeton. Einzig zwei Wände entlang des
Flurs sind aus 24 cm Kalksandstein errichtet. Die Decken spannen
zweiachsig und liegen auf den Außenwänden und den tragenden
Flurwänden auf. Nicht tragende Innenwände sind in Trockenbauweise
als Leichtbauwände aufgestellt.
Während die Nord- und Südfassade lotrecht ausgeführt sind, neigt
sich die westliche Fassade um 6°, die östliche um 19° nach außen.
Nord-, Süd- und Westfassade sind tragende Außenwände und
zweischalig mit Kerndämmung und Vorsatzschale ausgebildet. Der
Wandaufbau von innen nach außen ist wie folgt:
- 25 cm Stahlbeton
- 14 cm druckfeste XPS-Perimeterdämmung
- 1 cm Fingerspalt
- 11,5 cm Verblendmauerwerk als Vorsatzschale
Das Dach des Erweiterungsbaus ist ein Faltwerk mit unterschiedlichen Neigungen und wurde als Pfettendach hergestellt. Die flach geneigten Dachflächen wurden mit Stehfalz-Zinkblech auf einer Holzschalung eingedeckt. Sie folgen der Geometrie und bilden Grate und Kehlen. Die stark geneigte sichtbare Dachfläche an der Westseite wurde – passend zu den Verblendern der Fassade – mit Formsteinen auf einer Stahlbetonkonstruktion ausgebildet.
Bautafel
Architekten: pbr Planungsbüro Rohling, Hamburg
Projektbeteiligte: pbr Planungsbüro Rohling, Hamburg (Tragwerksplanung, TGA, Bauüberwachung); Ingenieurbüro Axel C. Rahn, Hamburg (Bauphysik); Landschaftsarchitektur+, Hamburg (Freiraumplanung); Hagemeister, Nottuln (Verblender)
Bauherr: Gebäudemanagement Schleswig-Holstein, Lübeck
Fertigstellung: 2015 (Bestand von 1895)
Standort: Schleuseninsel 2, 24159 Kiel
Bildnachweis: Ulrich Hoppe, Hamburg; pbr Planungsbüro Rohling, Hamburg
Baunetz Architekt*innen
Fachwissen zum Thema
KS-ORIGINAL GmbH
Entenfangweg 15
30419 Hannover
www.ks-original.de