Als in den 1960er- und 1970er-Jahren große Wohnungsbauprogramme
in Europa starteten, dachten vermutlich die wenigsten Leute daran,
dass im gleichen Atemzug riesige Materiallager entstehen. Für die
Betonelemente der Wohnblöcke von damals, genauso wie für
Parkhäuser, Büro- und Gewerbebauten interessiert sich heute eine
Gruppe von Forscher*innen aus Schweden, Finnland, Deutschland und
den Niederlanden. Im Rahmen ihres Projekts ReCreate spielen
sie die Wiederverwendung dieser Fertigteile durch, um
herauszufinden, welche Veränderungen für eine kreislaufgerechtere
Betonbaupraxis notwendig sind.
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Vier Hochschulen und zahlreiche lokale Partner*innen
Die mit Mitteln aus dem EU-Forschungs- und Innovationsprogramm
Horizon 2020 finanzierten Forschungen begannen 2021 und
sollen 2025 abgeschlossen sein. Beteiligt sind die Königliche
Technische Hochschule in der schwedischen Hauptstadt Stockholm, die
Tampere University in Finnland, die Brandenburgische Technische
Universität Cottbus-Senftenberg und die Eindhoven University of
Technology in den Niederlanden. Koordiniert wird das Projekt vom
finnischen Team um die Professorin Satu Huuhka. Für die weitere
Verbreitung des Wissens ist ein fünfter Partner zuständig, das
Croatia Green Building Council. Es richtet sich primär an Länder in
Ostmitteleuropa, im Baltikum und auf dem Balkan, in denen es
ebenfalls einen großen Bestand von Fertigteilbauten gibt, der als
Materialquelle infrage kommen könnte.
Um möglichst die gesamte Wertschöpfungskette abzudecken,
arbeitet jedes der vier Hochschulteams mit lokalen Bau- und
Abbruchunternehmen, Planungsbüros, Stadtverwaltungen und
Herstellern von Stahlbetonteilen zusammen. Hinzu kommen etwa die
kommunale Wohnungsbaugesellschaft Helsingborgs Hem und das
Beratungsbüro Circular Structural Design des Tragwerksplaners
Patrik Teuffel, der zugleich Professor in Eindhoven ist. Zum Team
der BTU Cottbus gehört unter anderem Angelika Mettke, die bereits
in der DDR zur Wiederverwendung von Betonfertigteilen forschte.
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Ziel: Wiederverwendung im großen Maßstab
Im Laufe des Projekts wurde untersucht, wie verschiedenartige
Betonelemente möglichst zerstörungsfrei und kostengünstig
demontiert und überprüft werden können. Zugleich sollte geklärt
werden, wie man zurückgewonnene Elemente im großen Maßstab
aufbereiten kann. Dazu betrachteten die Forschenden, wie Logistik
und Informationsaustausch bei Rückgewinnung und Wiedereinsatz der
Bauteile ablaufen müssten und welche digitalen Werkzeuge hilfreich
sein könnten. Es galt, Hindernisse in Bauvorschriften und
-praktiken zu identifizieren, ebenso Wege zu deren Überwindung.
Schließlich ging es auch darum einzuschätzen, welches geschäftliche
Umfeld die Wiederverwendung von Betonelementen für Unternehmen
attraktiv macht, wie sie zusammenarbeiten müssten und wie hoch
Angebot und Nachfrage in der EU sein könnten.
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Rückbaupilot in Tampere
Ein wichtiger Schritt des Forschungsvorhabens ist, mithilfe der
Praxis-Partner*innen den Rückbau von Betonfertigteilen zu
demonstrieren und sie in neuen Gebäuden wiederzuverwenden. Dazu
entschied sich das finnische Team für ein 1982 errichtetes Bürohaus
in der Innenstadt von Tampere, das einem Wohngebäude weichen
sollte. Aus diesem sogenannten Spendergebäude wurden hauptsächlich
die Stützten und Träger des Stahlbetonskeletts sowie
Hohldeckenelementen entnommen.
Der von dem Team entworfene Prozess beginnt mit einem
sogenannten Pre-Deconstruction Audit, sprich einer detaillierten
Bestandsanalyse, bei der die Betonteile auf Mängel,
Materialeigenschaften und Schadstoffe untersucht werden. Anhand
dieser Begutachtung werden die statischen Eigenschaften berechnet
und an einer Probe überprüft. So lässt sich einschätzen, ob und wie
lange das Betonbauteil noch eingesetzt werden kann und welche
Aufbereitungsschritte notwendig sind.
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Mithilfe von BIM (Building Information Modeling) inventarisieren
die Forschenden die Betonelemente. In dem digitalen Modell sind die
Informationen der Bestandsanalyse gebündelt, anhand derer
Mengenlisten und die Rückbauplanung erstellt werden können.
Zugleich erleichtert der Zugriff auf diese Informationen
Bauherr*innen, Planenden und ausführenden Unternehmen mit den
sekundären Betonelementen neue Gebäude zu entwerfen und zu
errichten.
Der Rückbau selbst dauerte in Tampere einige Monate. An jedem
wiedergewonnenen Betonelement klebte ein Schild mit einem QR-Code,
der das reale Bauteil mit seinem digitalen Abbild verknüpft und
eine Nachverfolgung ermöglicht. Im Anschluss erfolgte der Transport
zur Fabrik des Fertigteilherstellers. Dieser bereitete die
Betonteile gemäß den Plänen der Statiker*innen und den
Anforderungen der Empfängergebäude auf. Das kann etwa bedeuten,
dass die Hohldeckenelemente geschliffen und gekürzt werden. Aktuell
befinden sich die aufbereiteten Elemente noch im Lager und warten
auf ihren nächsten Einsatz.
In den kommenden Monaten wird die Forschungsgruppe ihre
Ergebnisse zusammenfassen und evaluieren. Im Herbst 2024 sind
weitere, detaillierte Forschungsberichte zu erwarten.
Fachwissen zum Thema
Elementbau
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Herstellung
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Tipps zum Thema
Publikationen
Abbau Aufbau
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Forschung
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BauNetz Wissen Beton sponsored by: Deutsche Zement- und Betonindustrie vertreten durch das InformationsZentrum Beton | Kontakt 0211 / 28048–1 | www.beton.org
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