Repräsentation im mittelalterlichen Herz der Stadt
Seit Jahrhunderten steht es im Herzen von Goslar, einer
niedersächsischen Stadt am Rande des Harzes: Das historische
Rathaus ist im Laufe seines Daseins vielfach erweitert und umgebaut
worden. Im Zuge der jüngsten Sanierungs- und Umbaumaßnahmen durch
Krekeler Architekten stellte sich heraus, dass wesentliche Teile
des Baus aus dem ausgehenden 13. Jahrhundert stammen. Er ist somit
rund 200 Jahre älter als bisher angenommen.
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Seit 1992 gehört die Altstadt von Goslar zum
UNESCO-Weltkulturerbe. Das Rathaus beherbergt nach seiner Umnutzung
und Sanierung der Gebäudehülle neben dem Stadtrat ein
Welterbe-Infozentrum und die Touristeninformation. Da es über die
Jahrhunderte zahlreiche Veränderungen erfahren hat, ist die
bauliche Struktur komplex und verschachtelt. Die Architekt*innen
entwickelten ein stringentes Nutzungs- und Gestaltungskonzept, um
die räumlichen, funktionalen und historischen Zusammenhänge zu
ordnen. Jeder Raum soll als Unikat wahrnehmbar sein und zugleich
die Geschichte des Rathauses ausschnittweise abbilden. Die
Planenden stärkten entsprechend der restauratorischen
Bestandserfassung die jeweils prägende Zeitschicht. Sie schufen
Blickachsen, um Bezüge herzustellen und Geschichte erlebbar zu
machen.
Welterbe-Zentrum, Touristeninformation und Stadtrat
Die drei verschiedenen Nutzungen des Gebäudes dienen der
Repräsentation der Stadt, insofern sind im Rathaus am passenden Ort
untergebracht. Das Welterbezentrum befindet sich in den
weitläufigen Gewölben des Ratskellers. Die Touristeninformation
liegt im Erdgeschoss. Die besonders repräsentativen Säle im
Obergeschoss sind im Rahmen von Besichtigungen öffentlich
zugänglich. Wie schon in der Vergangenheit finden hier Sitzungen
des Stadtrates statt. Das Erschließungskonzept war aufgrund
erheblicher Höhenunterschiede innerhalb der Geschosse eine
Herausforderung; dennoch gelang eine barrierefreie Erschließung
beinahe aller öffentlicher Räume.
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Schauseiten und Bezüge
Mit dem Marktplatz im Osten, zwei stark frequentierten
Fußgängerzonen an den Gebäudeseiten und der Marktkirche im Rücken
zeigt der Baukörper ganz unterschiedliche Fassaden. Der
Haupteingang befindet sich an der aufwendig gestalteten Südseite.
Ausgehend vom Foyer sind sämtliche öffentlich nutzbaren Räume
erreichbar – darunter auch die architektonischen Höhepunkte
Marienkapelle, Ratsdiele, Huldigungssaal und Ratskeller. Für
Mitglieder des Stadtrates gibt es einen separaten Eingang im
Nordflügel. Dem Foyer folgt ein gläsern überdachter Lichthof, in
dem alte und neue Gebäudeteile zusammentreffen: das dünn
geschlämmte Bruchsteinmauerwerk der Apsis der Marienkapelle und ein
verglaster Aufzug, angedockt an einen Steg, der Ratsdiele und
Huldigungssaal verbindet. Eine Blickachse setzt die Madonna in der
Apsis in Szene. Weitere Sichtbezüge sollen die Besucherinnen und
Besucher neugierig machen, das Gebäude zu erkunden.
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Unterirdisches Foyer und verglastes Atrium
Ein neues, unterirdisches Foyer ergänzt das Welterbe-Infozentrum
und ist Verteiler zu den sanitären Anlagen und dem darüberliegenden
Atrium. Das Fragment eines mittelalterlichen Brunnens wurde während
der Sanierungsarbeiten entdeckt und freigelegt, zudem gibt es
Einblicke in den Beinkeller unter der Marienkapelle und ins
Welterbe-Infozentrum. Am Ende des Aufstiegs über die Treppe zum
Atrium bietet sich ein Ausblick auf den Turm der Marktkirche.
Das neue Atrium ist eine filigrane, verglaste Stahlkonstruktion
an der Westseite: Diese ist leicht konkav, als sei sie zwischen den
historischen Gebäudeteilen aufgespannt. Sie verleiht dem Rathaus
ein zeitgenössisches Gesicht und wertet den Stadtraum deutlich auf
– die Beziehung zwischen Rathaus, Marktkirche und dem Schuhhof als
ältestem Platz ist gestärkt. Aus der Glasfassade herausgerückt ist
ein mit Cortenstahl bekleideter, überdachter Eingangsbereich. Ein
schmales Schaufenster markiert den Treppenaufstieg aus dem
Untergeschoss. Die in Cortenstahl gehüllte Treppenskulptur setzt
sich nach innen fort und mündet als Schräge im Boden. Die Figur ist
einem sogenannten Mundloch nachempfunden: ein Begriff aus dem
Bergbau für den Eingang des Stollens an der Tagesoberfläche, auch
Tagesöffnung genannt. Dem Bergbau verdankt die Stadt Goslar ihre
mittelalterliche Blütezeit. Der rostbraune Stahl steht im
reizvollen Kontrast zur teils schieferbekleideten
Rathausfassade.
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Dachsanierung und Schieferdeckung
Die Dachsanierung musste logistisch an den Ausbau von Lichthof
und Atrium anschließen. Diese beiden durch zeitgenössische
Funktionsergänzungen geprägten Raumbereiche in den
mittelalterlichen Baubestand denkmalgerecht einzufügen, war eine
konstruktive Herausforderung. Kompliziert war auch die
Schnittstellenplanung beim Dach, das in verschiedenen Förder- und
Bauabschnitten realisiert wurde, dabei ist die Dachgeometrie für
sich genommen bereits außerordentlich komplex. Alle
Dachkonstruktionen sind bauzeitlich, das heißt aus dem 14. bis 16.
Jahrhundert. Bei der Sanierung wurden Stahlergänzungen der
1970er-Jahre ausgebaut und alle Dachstühle im Sinne der
Ursprungskonstruktion materialgerecht und handwerklich in Holz
ertüchtigt.
Wiederverwendung und Erneuerung
Es handelt sich um eine Altdeutsche Schieferdeckung. Seitens der
Denkmalpflege war zunächst die Bergung und Wiederverwendung des
Bestandsmaterials gewünscht, da Goslarer Schiefer nicht
mehr abgebaut wird. Das Material war allerdings porös geworden.
Über Archivalien konnte belegt werden, dass es sich um eine
Neueindeckung der 1970er-Jahre aus Sauerländer Schiefer handelte.
Daher stimmten die Denkmalbehörden einem Komplettaustausch zu.
Geringe Mengen des Bestandsschiefers wurden für Reparaturbereiche
verwendet.
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Die Schalung über den bauzeitlichen Sparren wurde erneuert, eine
bituminöse Unterspannbahn aufgebracht und darüber die neue
Schieferdeckung verlegt. Auch die Dachentwässerung, Rinnen, Kehlen,
Wandanschlüsse etc. sind neu. Auf Wunsch der Denkmalpflege blieben
einzelne Gauben einschließlich der Deckung erhalten,
ebenso wie die Wandbekleidung des Nordwestflügels zum Hof. Die
Neueindeckung erfolgte mit Fredeburger Schiefer: normaler Hieb, mit
eingebundenen Wangenkehlen, Endorte als Doppelendorte, Anfangort als eingebundener
Stichort. Die Steingrößen wurden gemäß Bestand aus den Sortierungen
1/12-1/32 gewählt. Die Befestigung erfolgte mit konischen,
feuerverzinkten Schiefernägeln. Die Einbindung der
Hauptkehle erfolgte mittels Schwärmer. -us
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