Aussichtstürme im Boca Maule Feuchtgebiet
Landmarken für den Landschaftsschutz
Seit 1849 wird in der Stadt Coronel in Chile Steinkohle abgebaut, was erhebliche Kontaminationen zur Folge hat. Gleichzeitig weist Coronel innerhalb des Großraums Concepción den größten Mangel an öffentlichen Grünflächen auf. Während auf der Welt durchschnittlich 9 Quadratmeter Grünfläche pro Einwohner zur Verfügung stehen, beträgt dieser Anteil in Coronel nur 2.5 Quadratmeter. Dabei wären Grünflächen angesichts der starken Verschmutzung der Stadt umso wichtiger. Die Architekten Carolina Catrón und Ricardo Azócar nehmen sich diesem Problem auf besondere Weise an: Mit dem Projekt Two Towers and a Trail – zwei Aussichtstürme und ein Wanderweg – möchten sie auf das aufmerksam machen, was sie nicht bauen: die Landschaft rundherum.
Gallerie
Architektur als Aktivismus
Das Boca Maule
Feuchtgebiet ist eines der wichtigsten natürlichen Ökosysteme der
Stadt Coronel und beherbergt eine komplexe Artenvielfalt. Es liegt
dem Architektenduo besonders zu Herzen, da sie als Kinder dort
gespielt und mitbekommen haben, wie sich die Natur in einen
Trümmerhaufen verwandelt hat. Das Gebiet gehört heute zu den
sogenannten Opferzonen von Chile, in denen durch die
Industrieproduktion schwere Umweltschäden verursacht worden sind.
Ebenso wurde Boca Maule viele Jahre von Privaten und Unternehmen
als Müllkippe benutzt.
Ein Plan das Boca Maule Feuchtgebiet in ein Naturschutzgebiet zu verwandeln wurde abgelehnt. Mit ihrem Projekt möchten Carolina Catrón und Ricardo Azócar dennoch die Aneignung und Restauration des besonderen Ökosystems fördern. Für den Bau der zwei Aussichtstürme im Feuchtgebiet konnten sie die lokale Gemeinde, die Akademie, den Stadtrat und Trekking Organisationen an einen Tisch bringen.
Architektur als Zukunftsvision
Das Architektenduo
platziert die zwei Türme an gegenüberliegenden Rändern eines
Gebiets, das als Ökosystem wiederhergestellt werden soll. Sie
stehen als Wahrzeichen für eine bessere Zukunft. Die beiden Türme
sind monolithisch aussehende Holzstrukturen, welche von Nahem
betrachten jedoch durchlässig sind. Sie haben jeweils ein
unterschiedliches Verhältnis zu ihrem Umfeld. Der Turm am höchsten
Punkt des Trails hat eine Wendeltreppe, welche von Besuchenden
erklommen werden muss, um das gesamte Gebiet überblicken zu können.
Im Gegensatz dazu gibt sich der Turm am tiefsten Punkt des Trails
nach dem Betreten als Unterstand mit einer Bank zu erkennen. Hier
finden die Besuchenden zwei Öffnungen vor, durch die sich gerahmte
Ausblicke auf die Landschaft sowie durch das offene Dach in den
Himmel ergeben.
Wie die beiden Architekten erklären, ist Chiles Problem nicht der Mangel an Grünflächen in Städten, sondern dass natürlich unbebaute Gebiete wie Hügel, Flussmündungen oder Lagunen von der Stadt umschlossen und zum Vorteil der Industrie und des Marktes abgewertet und ausgenutzt werden. Azócar Catrón Architekten sehen in diesen schwierigen Restflächen potentielle öffentliche Orte, die die Lebensqualität der lokalen Stadtbewohner erhöhen könnten. Sie denken, dass konkrete architektonische Interventionen das Potenzial haben einen neuen Dialog zu befördern zwischen den Anwohnern und der Bauindustrie, die das Boca Maule Feuchtgebiet ebenfalls als Müllhalde benutzt.
Architektur als partizipatives Element
Mit den beiden
Türmen wollen Azócar Catrón Architekten aufzeigen, dass solche
Referenzen in der Landschaft das Potenzial haben einen Ort wie Boca
Maule in einen öffentlichen Raum umzuwandeln. Gleichzeitig kommen
durch die Architekturprojekte soziale Akteure in ein Gespräch. Weil
es bisher für diese Art von Architektur keine Kunden oder Aufträge
gibt, bauen die Architekturschaffenden kollaborative Allianzen auf
zum Beispiel mit Nachbarn oder öffentlichen Organisationen, um die
Interventionen zu gestalten und aufzubauen.
Die Architekten haben deshalb ein eigenes Konstruktionssystem
entwickelt, um die Aussichtstürme mit lokalen Einwohnern bauen zu
können. Die Bauweise muss mit einem begrenzten Budget, durch
einfache Vorfertigung und mit der Hilfe von nicht qualifizierten
Arbeitskräften umsetzbar sein. So bestehen beide Türme aus drei
aufeinander gestapelten Holzwürfel, welche wiederum aus der
systematischen Repetition eines Konstruktionsdetails gebaut werden.
Das System bildet Holzquadrate von 15cm Seitenlänge, die aneinander
gereiht eine Wand ergeben, die die Landschaft siebartig ins Innere
durchdringen lässt.
Mit ihrer aktivistischen Herangehensweise um Orte mit natürlichem
Wert zu stärken, haben Azócar Catrón 2020 den ArchDaily Preis als
bestes junges Architekturbüro gewonnen. -sh
Bautafel
Architektur: Azócar Catrón, Concepción, Chile
Projektbeteiligte: Ricardo Azócar, Carolina Catrón, Stefanía Bello, Esteban Castro, Daniela Cifuentes, Fernando Cifuentes, Marcela Escobar, Nataly Fuentes, Alex Hernández, Rodrigo Neira, Javiera Partarrieu, Richard Ríos, Francisca Saelzer, Jorge Soto, Anibal Yévenes (Projektteam)
Bauherrschaft:
Fertigstellung: 2016
Standort: Humedal Boca Maule, Coronel, Bío-Bío, Chile
Bildnachweis: Patricio Zeiss, Chile
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