Hofensemble in Gonnersdorf
Recycling und Lokalität
Wie gelingt das Bauen, Bewohnen und Bewirtschaften einer Immobilie im Einklang mit dem sozialen und historischen Umfeld sowie mit der Natur? Ein Beispiel ist im mittelfränkischen Gonnersdorf mit dem behutsam wieder errichteten Hofstelle Stiegler zu finden. Im Familienbetrieb werden hier Haselnüsse angebaut, verarbeitet und vermarktet. Der ortstypische Dreiseithof besteht aus historischen und neuen Bauteilen, denn der heute idyllisch anmutende Komplex aus Wohnhaus, Stall und Heulager ist das Resultat einer bewegten Geschichte. Ein Großbrand im Jahr 2014 zerstörte weite Teile des bis zu 350 Jahre alten Bestands. Einzig die aus Sandstein gebaute Schmiede blieb verschont. Gemeinsam mit Architekt Peter Dürschinger baute die Bauherrenfamilie den Hof neu auf und gab ihm ein zeitgemäßes Antlitz.
Gallerie
Aus dem Material heraus gestaltet
Die Bauten stehen
wie der verlorene Bestand direkt auf der Parzellengrenze. An der
Dorfstraße befindet sich neben der alten Schmiede nun das neu
errichtete Wohnhaus. Während beide über die für die Gegend um
Nürnberg typischen Satteldächer verfügen, ist der Wohnbau trauf-
und die Schmiede giebelständig zur Straße ausgerichtet. Gemeinsam
flankieren sie einen Vorplatz, an dessen westlichem Ende sich der
Hofladen mit hauseigener Schaurösterei befindet. Nördlich daran
schließt ein Freiraum an, der sogenannte Kastanienhof, der dem Café
als Bereich für Außensitzplätze dient.
Am Hofladen vorbei gelangt man in den eigentlichen Hof, der landwirtschaftlich genutzt wird. Er wird von weiteren vier Gebäuden gesäumt: Lager, Werkstatt, Heulager und Fahrzeughalle, der sogenannte Schlepper. Die Lager und Hallen sind aus schlichtem Holz in traditioneller Bodendeckelschalung, was die Fassade haptisch erscheinen lässt. Der Architekt hat sich hier für Pultdächer entschieden, um integrierte Photovoltaik auf den Dächern platzieren zu können. Die durchgehend knappen Dachüberstände sind in der regenarmen Gegend üblich. Details wie die hölzernen Traufen mit dreieckigem Querschnitt hat der Architekt vor Ort gemeinsam mit den Handwerkern skizziert. Dabei sollte die Gestaltung „aus der Materialität heraus“ einen gehobenen Stellenwert einnehmen, genauso wie ortsverträgliche Lösungen und der Dialog mit den Bewohnern und Nachbarn. In der Konsequenz betreute der Architekt den Wiederaufbau von Leistungsphase eins bis neun selbst.
Das Wohnhaus mit grau lasierter Fassade fällt gestalterisch leicht aus dem Rahmen, da es sich mit seinen Metallfenstern und schrägen Laibungen von den traditionelleren Wirtschaftsgebäuden abhebt. Ein Sockel aus wiederverwendeten Sandsteinen erdet den modernen Wohnbau und erschließt die Austragswohnung der Eltern ebenerdig. Die Fassade besteht aus einer vertikal angeordneten Holzschalung, die Loggia ist über Eck verglast.
Nachhaltig Bauen: Wiederverwendetes Sandsteinmauerwerk und
Holz aus eigenem Wald
Die Bauherrenfamilie selbst hat beim
Wiederaufbau mitgearbeitet, was in der ländlichen Gegend Tradition
hat. Die alten Sandsteine haben sie aus dem Schutt gegraben und mit
ihnen die Sockel der neuen Gebäude gemauert. Ebenso recycelt sind
die bunten Pflastersteine des Innenhofes. Das Kiefern- und
Fichtenholz stammt aus dem eigenen Wald, mit dessen Hackschnitzeln
zudem geheizt wird.
Auch das nachhaltige Nutzungskonzept und die Bewirtschaftung ist Teil der Architektur, wurde diese doch dem Biobetrieb „auf den Laib geschustert". So bilden geschlossene Kreisläufe auch hier das Fundament: Statt Pestiziden nutzen die Bauern Hühner. Das Federvieh pickt die Larven der Haselnussbohrer und düngt mit seinen Ausscheidungen gleichzeitig die Plantage. Nebenbei produzieren sie jeden Tag 750 Bio-Eier. Um den Konsumenten zu zeigen woher die Produkte stammen, kann der Hof besichtigt werden. Eine Panoramaverglasung im Hofladen gibt Einblick in die Sortier- und Röstverfahren. Drei Generationen arbeiten heute auf dem Hof zusammen, dazu kommen zahlreiche Mitarbeiter. In einer großen Gemeinschaftsküche kochen und essen alle gemeinsam. Nachhaltige Architektur trifft hier auf einen entsprechenden Lebensstil.
Der Komplex gewann 2019 den Deutschen Landbaukultur-Preis. Die Jury lobte das herausragende Projekt dafür, dass es zeigt, wie mit regionalen Materialien ein wirtschaftlich rentables Gebäude erstellt werden kann – und dabei so wirkt, als wäre es schon immer Teil der Dorfstruktur gewesen. Besonders erwähnt wird die Nachverdichtung und Revitalisierung der gesellschaftlichen Strukturen des Dorflebens. –sh
Bautafel
Architektur: Dürschinger Architekten, Fürth
Projektbeteiligte: Holzbau Augustin, Zirndorf (Holzbau); Norbert Manteuffel Baugeschäft, Cadolzburg (Rohbau); Schreinerei Enßner, Langenzenn (Fensterbau); Rudolf Hörmann, Buchloe (Stallbau); Kühhorn, Großhabersdorf (Heizung/Sanitär)
Bauherrschaft: Fritz Stiegler, Gonnersdorf
Fertigstellung: 2017
Standort: Gonnersdorf 6, 90556 Gonnersdorf bei Cadolzburg
Bildnachweis: Wolfram Reuter, Langenzenn; Peter Dürschinger, Fürth
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