Wasserhaus am Blausee in Kandergrund
Pavillon mit auskragendem Schindeldach
Der Legende nach gaben die Tränen eines Mädchens über den Verlust des Liebsten dem Blausee seine strahlende Farbe. Laut der wissenschaftlichen Erklärung sind extreme Klarheit des Wassers und Mineralreichtum die Ursache. Die idyllische Lage im Kandertal des Berner Oberlands machte den nur 0,64 Hektar großen See und den umgebenden Naturpark bereits im 19. Jahrhundert zu einem beliebten Ausflugsziel in der Schweiz. An seinem nördlichen Ufer befindet sich ein historisches Hotel mit Forellenzucht. Von dort führt ein geschwungener Pfad am Ufer gen Westen zu einem Spielplatz und dem Wasserhaus nach einem Entwurf des Zürcher Architekturbüros Hildebrand.
Gallerie
Den 60 Quadratmeter großen Pavillon gibt es seit 2017. Er dient als Besucherzentrum und zur Verkostung des Quellwassers, denn der Ursprung des Blausees befindet sich in unmittelbarer Nähe. Die Architektur soll die unverwechselbare Identität des Ortes stärken, der Pavillon die rund hundertjährige Tourismusgeschichte fortschreiben, ohne in Nostalgie abzugleiten. Als Leitbild des Entwurfs von HILDEBRAND fungierte das schützende große Dach in weiter Landschaft, wie es für alte Berner Bauernhäuser typisch ist.
Dach: regionale Tradition, ausgeführt von lokalen Handwerkern
Nicht nur die regionale Bautradition, auch die hier lebenden Menschen formten das Bauwerk. Dessen Ausführung übernahmen ausschließlich ortsansässige Handwerker, die Fichtenholz aus der Umgebung verwendeten. Das ausladende Schindeldach erstellte ein Schindelmacher in der vierten Generation, einer der letzten im Berner Oberland. Das Walmdach ist mit drei Lagen Schindeln gedeckt, die auch im Innern des Pavillons sichtbar bleiben.
Konstruktive Gründe bedingten die „geschleifte Fribourger-Technik”, die den Grat der Schindel nicht scharfkantig, sondern gebrochen artikuliert: Jede fünfte Schindelreihe wird in die entgegengesetzte Richtung verlegt, um die Geschwindigkeit des abfließenden Wassers zu bremsen. Diese Technik ist konstruktiv nachhaltiger und gibt dem Dach seine organische Erscheinung. Keine Dachfenster oder Sanitärrohre durchstoßen die kompakte Konstruktion, zudem wurde auf eine Dachrinne verzichtet. So bildet sich an einem regnerischen Tag entlang der Traufkante ein Vorhang aus Wassertropfen.
Die Teamarbeit und der emotionale Bezug zu der Aufgabe führten dazu, dass sich die Anwohner mit dem Bauwerk identifizieren. Trotz seines archaischen Erscheinungsbildes passt der Pavillon durchaus in die heutige Zeit: als Beispiel für eine Architektur im menschlichen Maßstab, die die Sinne anspricht.
Bautafel
Architekten: HILDEBRAND, Zürich
Projektbeteiligte: Pirmin Jung Ingenieure, Thun (Holzbauingenieur); Michael Beetschen Bedachung, Kiental (Bedachung); Holzbau Lauener, Reichenbach (Holzbau); Fritz Schneider, Spiez (Baumeister)
Bauherr: Blausee Aktiengesellschaft
Standort: Blausee, 3717 Kandergrund, Schweiz
Fertigstellung: 2017
Bildnachweis: Erica Overmeer, HILDEBRAND, Zürich