Schiffs-Kirche in London
Ziehharmonikadach zum Aufklappen
Die Diözese von London geht mit ihrer Kirche für die Ostlondoner St. Columba Gemeinde neue Wege: Statt eines traditionellen Kirchenbaus steht den Gläubigen seit Herbst 2020 ein Schiff für ihre Gottesdienste zur Verfügung. Auch in seiner Gestaltung handelt es sich um kein gewöhnliches Schiff. Das Kanalboot krönt ein Pop-Up-Dach, das vom Londoner Architekturbüro Denizen Works entworfen wurde.
Gallerie
Der Lastkahn hat seinen Liegeplatz am River Lea Kanal im Queen Elizabeth Olympic Park, in unmittelbarerer Nähe von Here East. Dieser Campus, der bei den olympischen und paralympischen Spielen 2012 das Presse- und Medienzentrum beherbergte, ist heute ein Standort für Kreative, für Medienunternehmen und innovative Startups. Neben rund 4.000 Arbeitsplätzen bietet er Sport- und Freizeiteinrichtungen und Wohnraum. Für die spirituellen Bedürfnisse der Beschäftigten und Bewohner des Viertels sorgt nun die Genesis. Sie ankert hier für die nächsten 3-5 Jahre, bevor sie anderen Gemeinden am Fluss zur Verfügung stehen wird, wo innerhalb der nächsten 25 Jahre mehrere neue Stadtquartiere entstehen sollen.
Bei dem innovativen Schiffsdesign sticht vor allem das kinetische Pop-Up-Dach hervor. Inspiration für den Entwurf waren der Blasebalg einer Orgel bzw. die Dächer von Camper-Vans. Das Dach wird für die Nutzung des großen Eventraums ausgeklappt. Als Material setzte man Aluminium und lichtdurchlässiges Segeltuch ein, das vernäht und wie der Balg einer Ziehharmonika oder ein Leporello gefaltet wurde. Der Mechanismus wird, wie bei einem Kipplaster, per Knopfdruck über hydraulische Druckkolben angetrieben. Eingefasst ist das Dach von LED-Lichtern.
Mit dem eingeklappten flachen Dach kann die Genesis auch die niedrigen Brücken der Londoner Wasserwege passieren. Ist es ausgeklappt, hat es an seinem höchsten Punkt eine Höhe von 3,6 Metern. Vor allem, wenn der Innenraum beleuchtet ist, zieht es die Blicke auf sich. Mit dieser Illumination und dem von einem Schildermaler an der Außenhaut erstellten Zackenmuster-Fries in Pastellgrün und Weiß. das an die Stiche der Nähte auf dem Segeltuch erinnern soll, weckt es Assoziationen zu einem geöffneten Fischmaul. So macht das Design neugierig darauf, das Schiff zu betreten und an einer der Veranstaltungen an Bord teilzunehmen.
Zutritt in das schwimmende Zentrum erlangt man in der Mitte des Schiffes. Auf der Bugseite des Eingangs liegt der große Versammlungsraum. Hier finden nicht nur Gottesdienste, sondern auch Veranstaltungen verschiedenster Art statt, zu denen Krabbelgruppen, Pilates-Klassen, Bewerbungstraining und Konzerte gehören. Um diese sehr unterschiedlichen Nutzungen zu ermöglichen, wurde das Schiff mit einer maßgeschneiderten anpassungsfähigen Innenausstattung versehen. Die Wände sind mit Sperrholz verkleidet, den Boden bedeckt ein hellgrüner Linoleumbelag, der damit die Farbe der äußeren Schiffswände aufnimmt.
Der großzügige Versammlungsraum unter dem Faltdach kann 40 Personen auf Sitzplätzen aufnehmen und bietet bis zu 60 Stehplätze. Er verfügt an den Seiten über Einbau-Bänke in Nischen aus eingefärbten Holzfaserplatten, die in ihrem Innern zusätzlichen Stauraum bieten. Schlichte, maritim wirkende Lampen an den Wänden sorgen für Licht und eine gemütliche Atmosphäre.
Das Mobiliar, das von einer lokalen Designfirma angefertigt wurde, umfasst Stühle aus Sperrholz und Klapptische, die für die Veranstaltungen genutzt werden können. Der Altar, den Denizen Works entworfen hat, zeigt eine abgewinkelte Frontseite, die an einen Schiffsbug erinnert. Diesen kann man ebenfalls flach zusammenfalten und verstauen. Über dem Altar schwebt wie ein Heiligenschein ein großes rundes horizontales Bullauge im Schiffsdach.
Das Zackenmuster aus dem Außenbereich wird bei verschiedenen Details im Innenraum aufgegriffen. Es taucht bei den klappbaren Aluminium-Sichtblenden der Fenster auf, inspirierte die Formgebung der Möbelbeine und wurde bei dem Muster der Fliesen in der Küche verwendet. Sie liegt, ebenso, wie das Büro und die Toiletten, im Heck des Schiffes. Das Schiff ist auch für Rollstuhlfahrende nutzbar.
Genesis steht nicht nur der Kirchengemeinde für ihre Aktivitäten
zur Verfügung, sondern kann auch von Schulen genutzt werden.
Außerdem kann man das Schiff für private Veranstaltungen mieten.
Hat sich eine feste Gemeinde in diesem Stadtquartier etabliert,
wird das Schiff weiterziehen, um in anderen neu geschaffenen
Stadtvierteln vor Anker zu gehen.
Bautafel
Architektur: Denizen Works, London
Projektbeteiligte: Tucker Designs (Schiffsbau); Turks Shipyard Jeckells (Segelmacher); Plyco (Mobiliar); ANR Developments (Innenausstattung)
Bauherrschaft: Diözese von London
Standort: River Lea Kanal im Queen Elizabeth Olympic Park
Fertigstellung: 2020
Bildnachweis: Gilbert McCarragher